Der Himmel wechselt zwischen nahezu vollständigem Schwarz und einem dunklen Grünton, das Meer ist eine Mischung aus Grau und Braun. Unter Deck ist es düster – und ohrenbetäubend laut. Es ist ein eher unheimliches Spiel der Farben und Töne, das auf aktuellen Videos und Bildern von Bord der südlich von Sardinien segelnden Seaexplorer-Yacht des Teams Malizia in die Welt geschickt wurde. Der Wind tobt unentwegt, die Wellen spülen in kurzen Abständen Hunderte Liter Wasser über das Boot und lassen es hin und her und auf und nieder schaukeln. Die Crew an Bord wird fast aus ihren Kojen geworfen, steht komplett schief im Cockpit – und versucht bei all den Turbulenzen, die mit fast 30 Knoten (etwa 55 Kilometer pro Stunde) über das Mittelmeer jagende Yacht sicher und möglichst schnell durch die Gewitterfront zu führen.

Kurz gesagt: Es sind die Bedingungen, für die Boris Herrmann die Seaexplorer-Yacht hat bauen lassen. Und diese wilden Stunden während der letzten Etappe des Ocean Race Europe sind genau der Abschied, den sich der 44 Jahre alte Hamburger von seinem 2022 vom Stapel gelaufenen Boot gewünscht hat. „Es ist mein größter Wunsch, mit diesem Boot noch einmal eine starke Etappe zu segeln, vielleicht noch einmal auf dem Podium zu stehen und danach mit einem guten Gefühl die Schlüssel zu übergeben“, hatte Herrmann vor dem Start des abschließenden fünften Ocean-Race-Abschnitts im norditalienischen Genua gesagt.

Mehr als 100.000 Seemeilen in drei Jahren

Zweimal ist der beste und erfolgreichste deutsche Hochseesegler in den vergangenen drei Jahren mit der Seaexplorer um die Welt gesegelt. Er hat dabei mehr als 100.000 Seemeilen zurückgelegt, einige Gefahren gemeistert, aber auch mehrere Enttäuschungen erlebt. Kurz nach dem Zieleinlauf kommende Woche in der Boka Bay in Montenegro wird Herrmann die Yacht offiziell an seine derzeitige Teamkollegin Francesca Clapcich weitergeben.

Die Amerikanerin mit italienischen Wurzeln will 2028 mit der Seaexplorer an der Vendée Globe teilnehmen, die die Segler nonstop und solo einmal um die Welt führt. Dort wird sie auch Boris Herrmann herausfordern, der für seine dann dritte Vendée Globe abermals ein neues Boot bauen lässt.

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Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Herrmann und seine Crew sich den vor dem Start geäußerten Wunsch zumindest teilweise erfüllen können: Am Mittwoch segelte die Seaexplorer – etwa nach der Hälfte der Etappe – als Mitglied einer vierköpfigen Spitzengruppe teilweise in Führung liegend der Nordspitze Siziliens entgegen, wo eine der zahlreichen virtuellen Wegmarken passiert werden musste, bevor es um den Süden der Insel sowie um das italienische Festland herum, die Adria hinauf, bis nach Montenegro geht. Am Sonntag hatten sich die sieben Yachten von Genua aus – wegen zunächst quälend leichter Winde – in den ersten 36 Stunden nahezu in Zeitlupe über den etwa 2000 Seemeilen langen Kurs bewegt, bevor es dann westlich von Sardinien endlich auffrischte und die Herrmann-Crew nach vorne katapultierte.

„Ruhig, aber nicht lässig“

Der Weg durch Mittelmeer und Adria dauert insgesamt mehr als eine Woche und gerät trotz der mitunter ungemütlichen Bedingungen zu einer Triumphfahrt für das mit 41 Punkten souverän führende französische Team Biotherm. Die Crew segelt laut ihrem Skipper Paul Meilhat dem wahrscheinlichen Gesamtsieg „ruhig, aber nicht lässig“ entgegen.

Für Herrmann und sein Malizia-Team ist es dagegen kaum mehr möglich, noch aufs Podium zu segeln und damit das vor der Regatta gesteckte Ziel zu erreichen. Als Fünfte im Klassement liegt die Crew mehr als neun Punkte hinter der von der Niederländerin Rosalin Kuiper angeführten Holcim-PRB. Zwar folgt der letzten Etappe im Zielhafen Boka Bay am 21. September noch ein abschließendes Küstenrennen im Wert einer vollen Etappe, doch müsste Malizia selbst bei zwei Siegen noch auf ein ziemlich schlechtes Ergebnis der Kuiper-Crew hoffen.

Boris Herrmann: „Wir haben an mehreren Stellen den Anschluss verpasst“Boris Herrmann: „Wir haben an mehreren Stellen den Anschluss verpasst“dpa

Trotzdem wäre ein abschließender Erfolg für Herrmann und Malizia nach dem größtenteils eher unbefriedigend verlaufenden Ocean Race Europe eine Genugtuung und ein wichtiger Antrieb, die selbst gesteckten Ziele mit dem dann neuen Boot in den kommenden fünf Jahren zu erreichen. Zwar startete die Crew mit einem zweiten Platz auf der ersten Etappe von Kiel nach Portsmouth erfolgreich in die Regatta.

Doch verpasste es die Seaexplorer immer wieder, auf den für das Gesamtklassement so wichtigen Wegmarken Punkte zu sammeln. Zudem führten einige taktische Defizite dazu, dass die Zielhäfen in Cartagena, Nizza und Genua nur als viertes oder gar fünftes Boot erreicht wurden. „Wir haben an mehreren Stellen den Anschluss verpasst. Es waren kleine Details mit großen Folgen“, sagte Herrmann nach der vierten Etappe selbstkritisch.

Als Reaktion auf die unbefriedigenden Ergebnisse änderten Herrmann und seine Crew daraufhin für die letzte Etappe noch einmal die Organisation an Bord. So kümmert sich derzeit Ko-Skipper Will Harris an Bord ausschließlich um die Navigation, die Wetteranalyse und die Planung der Route, während Herrmann sowie Cole Brauer und Francesca Clapcich abwechselnd die Steuerung und die Einstellung der Yacht übernehmen. „Wills Schlafpausen sind so regelmäßig und kurz, wie beim Solosegeln. So kann er das Wetter besser beobachten, und wir laufen nicht Gefahr, Schlüsselmomente zu verpassen, wenn die Bedingungen beginnen, sich zu ändern“, sagte Herrmann vor dem Start der Etappe. „Das ist unserer Ansicht nach die beste Organisation für die wechselnden Bedingungen im Mittelmeer.“

Eine Änderung, die sich bislang auszahlt und die rund um die Uhr und bei jedweden Bedingungen alles aus der Seaexplorer herausholt. Auf ihren letzten gemeinsamen Seemeilen sind Boris Herrmann und seine Yacht noch einmal unerbittlich zueinander.