Die EZB lässt die Leitzinsen unverändert. Bei der Medienkonferenz standen auch die Krise Frankreichs und die steigenden Renditen des Landes im Fokus. Lagarde sagte jedoch, die Anleihemärkte würden derzeit «ordnungsgemäss und reibungslos funktionieren».
Das EZB-Hauptgebäude in Frankfurt: Die Notenbank hat am Donnerstag die Leitzinsen für die Euro-Zone unverändert bei 2 Prozent belassen.
Florian Gaul / Imago
Frankreich ist das neue Italien: hoch verschuldet und unregierbar. Deshalb wird an den Finanzmärkten wieder über die Gefahr einer neuen Schuldenkrise in der Euro-Zone diskutiert.
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Die französischen Staatsschulden dürften in diesem Jahr auf 116 Prozent des Bruttoinlandprodukts steigen, eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Im Euro-Raum sind nur Italien mit 135 Prozent und Griechenland mit 154 Prozent höher verschuldet. Doch diese Länder haben in den vergangenen Jahren den Schuldenstand gehalten oder sogar deutlich reduziert. Und sie weisen zudem stabile Regierungsverhältnisse auf.
EZB behält Einlagensatz bei 2 Prozent
Bei dem Versuch, die Schulden in den Griff zu bekommen, ist am Montag bereits die zweite französische Regierung innerhalb weniger Monate gescheitert. Premierminister François Bayrou überstand die gestellte Vertrauensfrage im Parlament nicht. Linke und rechte Parteien weigerten sich, seinen Kurs zur Reduktion der Staatsschulden zu unterstützen.
Infolge der Regierungskrise waren an den Finanzmärkten die Renditen für französische Staatsanleihen deutlich gestiegen. Das Geschehen in Frankreich überschattete am Donnerstag entsprechend auch die Zinssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die Notenbank liess ihre drei Leitzinssätze erwartungsgemäss unverändert. Der derzeit massgebende Einlagensatz notiert damit weiterhin bei 2 Prozent. Die EZB hatte im Juni 2024 die Zinswende für den Euro-Raum eingeleitet und die Leitzinsen in acht Schritten um insgesamt 2 Prozentpunkte gesenkt, da sich auch die Inflation in der Euro-Zone kontinuierlich in Richtung des erwünschten Wertes von mittelfristig 2 Prozent bewegt hatte.
In ihrem Werkzeugkasten hat die EZB unterschiedliche Instrumente, um Mitgliedstaaten der Euro-Zone notfalls von den Finanzmärkten abzuschirmen. Das wäre nötig, wenn die Zinsen für die Schuldenlast so gross würden, dass ein Land in Finanzierungsschwierigkeiten geriete. Das neueste und bisher noch nicht eingesetzte Instrument ist das sogenannte TPI, das Transmission Protection Instrument.
Die EZB betonte am Donnerstag wieder einmal, dass das TPI zur Verfügung stehe, «um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euro-Raum» darstellten. Die Notenbank argumentiert also, beim TPI gehe es darum, die Transmission der Geldpolitik für die gesamte Euro-Zone sicherzustellen – und nicht etwa darum, die Mitgliedstaaten vor dem unangenehmen Druck der Finanzmärkte zu schützen.
Die Präsidentin Christine Lagarde wollte sich auf der Medienkonferenz nicht zu den Vorgängen in ihrem Heimatland Frankreich äussern. Mitglieder der Zentralbank kommentieren traditionell die Entwicklungen in einzelnen Ländern nicht offiziell. Lagarde sagte jedoch, die europäischen Staatsanleihemärkte würden derzeit «ordnungsgemäss und reibungslos funktionieren». Insofern sehen die Notenbanker derzeit wohl keinen Grund zur Aktivierung des TPI.
Renditen auf höchstem Stand seit 2011
In der vergangenen Woche hatten vor allem die Renditen für dreissigjährige französische Staatsanleihen, ausgehend von der Regierungskrise in Paris, den höchsten Stand seit 2011 erreicht. Das Gleiche galt auch für die Anleihen des Stabilitätsankers Deutschland, wo die neue Regierung die Schuldenbremse deutlich gelockert hat. Allerdings notieren die deutschen Renditen noch 0,8 Prozentpunkte unter den französischen. In dem ebenfalls hoch verschuldeten Vereinigten Königreich stiegen die Renditen für dreissigjährige Staatsanleihen sogar auf den höchsten Wert seit 1998. Das heizte die Diskussion über eine neue Schuldenkrise zusätzlich an.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron setzte umgehend nach dem Scheitern der Regierung Bayrou mit dem vorherigen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu einen neuen Premierminister ein. Er soll sich nun mit der Opposition auf Sparmassnahmen verständigen und eine neue Regierung bilden. Dies hat an den Finanzmärkten vorerst zu einer gewissen Beruhigung geführt.
Mit 3,45 Prozent notieren die Renditen für zehnjährige französische Staatsanleihen allerdings immer noch auf dem Niveau von Italien und sogar höher als jene von Griechenland, Spanien, Portugal und Irland. Diese Länder standen während der Staatsschuldenkrise 2011 im Zentrum.
Einigermassen unter Kontrolle erscheint immerhin die Inflation, die im Oktober 2022 mit 10,6 Prozent einen Rekordwert erreicht hatte. In diesem August ist die Teuerung nach einer ersten Schätzung der Statistikbehörde Eurostat zwar wieder von 2,0 auf 2,1 Prozent gestiegen. Doch Ökonomen rechnen damit, dass die Inflationsrate in den kommenden Monaten eher wieder unter 2 Prozent fallen dürfte.
Der Hauptgrund dafür ist der anhaltende Rückgang der Energiepreise, die im Vergleich mit dem Vorjahr im August um fast 2 Prozent gesunken sind. Als Treiber der Teuerung erweisen sich immer noch Lebensmittel, Alkohol und Tabak (3,2 Prozent) sowie Dienstleistungen (3,1 Prozent). Die Ökonomen der EZB erwarten jedoch in den kommenden Monaten eine Normalisierung der Preise in diesen beiden Segmenten.
Die Gesamtinflation soll laut den am Donnerstag aktualisierten EZB-Prognosen im Jahr 2025 bei durchschnittlich 2,1 Prozent notieren, 2026 bei 1,7 Prozent und 2027 bei 1,9 Prozent. Die Werte entsprechen etwa den vorherigen Erwartungen. Dagegen korrigierte die EZB die Wachstumsprognose für das Jahr 2025 nach oben, von 0,9 auf 1,2 Prozent. Die Wachstumsprojektionen für 2026 notieren nun allerdings mit 1,0 Prozent etwas niedriger, für 2027 liegen sie unverändert bei 1,3 Prozent.
Zollstreit mit den USA beigelegt
Die Präsidentin Lagarde hatte bereits im Juli betont, die Notenbank sei in einer guten Position, um die weitere Entwicklung zu beobachten. Zudem hat die EZB nach eigener Einschätzung inzwischen das neutrale Zinsniveau erreicht, bei dem die Leitzinsen die Wirtschaft weder bremsen noch ankurbeln. Die Festlegung des geldpolitischen Kurses solle weiterhin von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen, teilte die EZB am Donnerstag mit. Die Notenbank werde sich nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad festlegen.
Zugleich hat sich die geopolitische Unsicherheit seit der Sommerpause deutlich reduziert, da der Handels- und Zollstreit zwischen den USA und der EU nicht eskaliert ist, sondern vorerst beigelegt wurde. Insofern haben sich die geopolitischen Unsicherheiten im Hinblick auf das transatlantische Verhältnis zwar beruhigt. Doch innerhalb der Euro-Zone haben sie zugenommen.
Ob es zu einer neuen Schuldenkrise, ausgehend von Frankreich, kommt, hängt vor allem davon ab, ob sich in Paris eine Mehrheit der Parlamentarier auf eine signifikante Reduktion der Schulden einigen kann. Bayrou wollte das Haushaltsdefizit von 5,4 Prozent in diesem Jahr auf 4,6 Prozent im Jahr 2026 reduzieren. Das hätte einer Kürzung um 44 Milliarden Euro entsprochen. Doch selbst damit wäre das Haushaltsdefizit weiterhin viel zu hoch. Auf den neuen Premierminister Lecornu wartet eine schwierige Aufgabe.
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