Nach dem mutmaßlichen Eindringen russischer Drohnen in den Luftraum Polens steigt in Europa die Nachfrage nach ukrainischen Abwehrsystemen. Das berichtete die Online-Zeitung Kyiv Independent unter Berufung auf Diplomaten und Hersteller. „Wir haben schon zuvor mit der ukrainischen Seite über Investitionen in Abfangdrohnen gesprochen, aber jetzt sind wir noch interessierter“, sagte ein europäischer Militärdiplomat der Zeitung. Europa müsse sich auf Krieg vorbereiten, „also ist es höchste Zeit, von der Ukraine zu lernen“.

Innerhalb weniger Stunden nach dem Angriff habe das ukrainische Beratungsunternehmen Triada Trade Partners zahlreiche Anfragen aus Polen, Deutschland, Dänemark und den baltischen Staaten erhalten, erklärte Analyst Bohdan Popov. Besonders gefragt seien neue Abfangdrohnen, die Präsident Wolodymyr Selenskyj vor drei Monaten vorgestellt hatte.

Ukrainische Soldaten der Aufklärungseinheit Ochi starten eine Furia-Drohne, um russische Stellungen an der Frontlinie zu überfliegen.

Ukrainische Soldaten der Aufklärungseinheit Ochi starten eine Furia-Drohne, um russische Stellungen an der Frontlinie zu überfliegen.AP

Ukrainische Abfangdrohnen: schnell, günstig, explosiv

Die Geräte sind laut Herstellern aufgerüstete Quadrokopter, die mit hoher Geschwindigkeit in große Höhen steigen können und etwa 5000 US-Dollar kosten. Jeder sei mit einer Sprengladung ausgestattet, die in der Nähe eines Ziels gezündet werde, um es aus der Luft zu holen.

Die massive Verletzung des polnischen Luftraums hatte den ersten direkten Nato-Einsatz gegen russische Streitkräfte seit Beginn des Angriffskriegs ausgelöst. Eingesetzt wurden polnische F-16, niederländische F-35, deutsche Patriot-Systeme und Sidewinder-Raketen. Letztere kosten etwa 400.000 Dollar pro Stück, während die russischen Drohnen nur rund 10.000 Dollar wert sind.

Während die Nachfrage nach ukrainischen Systemen steigt, gibt es zugleich Befürchtungen über verdeckte Industriespionage. „Wir erhalten Anfragen aus aller Welt, aber wir wissen, dass es sich dabei meist um getarnte Versuche handelt, an unsere Lösungen zu kommen“, sagte der Mitgründer des Fonds Wild Hornets, der die Abfangdrohne Sting entwickelt.

Ukrainische Hersteller dürfen nur mit Genehmigung der Exportkontrollbehörde liefern. Wenn sich die internationale Nachfrage erhöhe, könnte Kiew Exporte in Nachbarstaaten jedoch erleichtern, sagte Popov. „Niemand weiß, was morgen oder in den nächsten Monaten passiert. Die Ukraine ist die beste Antwort auf die Frage, wie man Russland bekämpfen und sich gegen Luftangriffe verteidigen kann.“

Nato prüft „militärische Reaktion“ auf Drohnen-Vorfall in Polen

In der Nacht zum Mittwoch waren nach Angaben Polens mindestens 19 russische Drohnen teils hunderte Kilometer weit in den Luftraum des EU- und Nato-Lands eingedrungen. Mindestens drei von ihnen wurden abgefangen. Warschau und andere Nato-Länder, darunter auch Deutschland, verurteilten die Vorfälle als „gezielte Provokation“ gegen das gesamte westliche Militärbündnis. Wie am Donnerstag bekannt wurde, bereitet die Nato eine „defensive militärische Reaktion“ vor. Ziel sei es, die Abschreckungsposition des Bündnisses an seiner Ostflanke zu stärken, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Demnach koordiniert der Oberbefehlshaber des US-European Command und Nato-Kommandeur Alexus Grynkewich derzeit die Lagebewertung. Sein Stab prüft laut Bloomberg, ob und welche zusätzlichen Luftverteidigungs- oder Drohnenabwehrsysteme benötigt würden. Polen habe seine Alliierten bereits offiziell um solche Systeme gebeten, um den Schutz seiner Grenze zu verstärken. Konkrete militärische Schritte sind bislang noch in der Planung. Die Nato betont, sie sei ein Verteidigungsbündnis, ihre Reaktion solle daher vor allem die Abschreckungskraft unterstreichen.