Absagen, Ziele & Vuskovic-Klausel 

HSV-Boss Kuntz: Müssen jetzt alles oder zumindest ganz vieles richtig machen

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Stefan Kuntz, Sportvorstand beim Hamburger SV, geht die Herausforderung Bundesliga mit den Norddeutschen nach sieben Jahren Zweitklassigkeit mit Demut an, will aber auch neue Ziele verfolgen. „Die Vergangenheit ist wichtig, um Erfahrungen zu sammeln, und die Zukunft ist wichtig, um Ziele und Ehrgeiz zu entwickeln. Wir sind ambitioniert! Grundsätzlich lebe ich aber extremst im Hier und Jetzt. Und im Fußball liegt der Fokus auf der bestmöglichen Arbeit in der Gegenwart. Wir waren lange weg. Deshalb sind wir auch realistisch genug zu wissen, dass wir als Aufsteiger nicht sofort die erste Liga rocken werden“, erklärte der 62-Jährige im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.

Nach der Erlösung im Mai mit der umjubelten Rückkehr ins Oberhaus ist von der Mannschaft des Vorjahres nicht mehr viel übriggeblieben. 12 Neuzugange für insgesamt 8,8 Millionen Euro wurden verpflichtet, während 18 Spieler – darunter Eckpfeiler wie Ludovit Reis (Club Brügge) Torschützenkönig Davie Selke (Basaksehir) – den Verein verlassen haben.

Auf dem Transfermarkt ließ sich für den HSV aber nicht alles wie gewünscht umsetzen, wie Kuntz verriet: „Kurz nach dem Aufstieg glaubten einige, dass nur Luka Modrić oder Thomas Müller HSV-adäquate Zugänge gewesen wären. Die Wahrheit aber ist: Wir waren an Fabian Rieder und William Bøving dran – der eine entschied sich für Augsburg, der andere für Mainz. Das sind Klubs, die waren, mit Verlaub, im Transfersommer früher gar keine Konkurrenz für den HSV. Sieben Jahre sind eine lange Zeit. Wir sind größtenteils mit einem Zweitligakader aufgestiegen. Deshalb fiel der Umbruch im Sommer auch so groß aus.“


Die Hamburger haben zuletzt „zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit Schuldenfreiheit verkünden können“, in sportlicher Hinsicht ist man dem Ziel Bundesliga-Aufstieg aber jahrelange hinterhergelaufen. „Jedes Zweitligajahr tut im Nachhinein weh, finanziell und sportlich“, gab Sportchef Kuntz zu. Es werde „Jahre brauchen, um diese Diskrepanz aufzuarbeiten“, sagte der Europameister von 1996 mit Blick auf den letzten Platz in der TV-Geld-Tabelle. „Und das heißt: Wir müssen jetzt alles oder zumindest ganz vieles richtig machen.“

HSV musste radikal an den Aufstiegskader ran – Hintertür bei Vuskovic

Kuntz‘ Ausführungen zufolge wurde anhand von Daten nachgewiesen, dass der HSV in Sachen Sprints, intensiven Läufen und gelaufenen Kilometern Schlusslicht der Bundesliga wäre, hätte man ohne Veränderungen einfach so weitergemacht. „So hätten wir im Leben keine Chance auf den Klassenerhalt gehabt. Wir mussten deswegen radikal an unseren Kader ran – auch wenn es natürlich wehtut, sich von verdienten Spielern zu trennen.“

Auf der Zielgeraden des Transferfensters setzten die Rothosen drei Ausrufezeichen mit dem Arsenal-Duo Fábio Vieira und Albert Sambi Lokonga sowie Tottenham-Leihgabe Luka Vuskovic, Bruder des bis Ende 2026 dopinggesperrten HSV-Verteidigers Mario Vuskovic. „Im Laufe der Verhandlungen waren dann Höhen und Tiefen dabei. Aber unsere Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt. Luka will bei uns den nächsten Schritt machen, allerdings dürfte es nahezu unmöglich werden, uns mit Tottenham nach der Saison auf eine Kaufsumme zu einigen. Aber ich würde auch nie irgendwas ausschließen“, gab Kuntz mit einem Schmunzeln zu Protokoll.

Der „Bild“ zufolge hat sich Tottenham in den Verhandlungen mit dem Bundesligisten eine Notfall-Klausel gesichert. Sollten die Londonern akute Verletzungssorgen in der Verteidigung haben, könnten sie den eigentlich bis Sommer verliehenen, aber dann dringend benötigten Vuskovic im Winter vorzeitig zurückholen.

Kuntz erklärt HSV-Leitfaden für die nahe Zukunft

Bei den Personalien Sambi Lokonga und Vieira bewiesen die HSV-Verantwortlichen Geduld, beide Profis wurden schon lange beobachtet. „Bis kurz vor Transferschluss waren sie auch noch außerhalb unserer Reichweite. Als HSV, überhaupt als Verein aus der Bundesliga, mussten wir warten, bis sich solche Chancen auftun – um dann auf den Punkt da zu sein“, sagte Kuntz. Dem Vernehmen nach hat sich der HSV für den portugiesischen Offensivmann Vieira, der per Leihe von den Gunners kam, eine Kaufoption in Höhe von 20 Millionen Euro gesichert. Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, dass die Norddeutschen ebenjene Summe, die neuer Vereinsrekord wäre, aufbringen können. „Zum Ziehen seiner Kaufoption müssen wir selbstredend in der Liga bleiben. Und dann bin ich der Letzte, der – wie gesagt – irgendwas ausschließen würde“, so Kuntz.


Darüber hinaus formulierte der Hamburger Sportboss, früher selbst 449-mal in der Bundesliga am Ball, wie er sich den einstigen Dino vorstellt: „Nur wenn ich an 100 Prozent meines Leistungsvermögens komme, weiß ich, was mir zu den Besten der Welt noch fehlt. Ich arbeite jeden Tag daran, genau diese Denkweise zu etablieren. Das ist unser HSV-Leitfaden für die nahe Zukunft.“ Nach einem Remis und einer Niederlage zum Auftakt reist der Klub am Samstagabend zum FC Bayern (18:30 Uhr).