Die Begeisterung in der Olympiahalle ist grenzenlos, als auf dem leicht transparenten Gazevorhang, der die Bühne umhüllt, ein Schattenriss Typ langer Lulatsch mit spitzen Öhrchen erscheint. Sie ist gefühlt noch ein bisschen grenzenloser, als der lange Lulatsch kurz ein Sample des durchgenudelten Soul-Evergreens „Sunny“ anklingen lässt, dessen Credit an den 2010 verstorbenen Sänger Bobby Hebb geht.
Und sie ist schließlich mit Händen greifbar, als das Sample dann in einen Loop geschickt wird, der feine Vorhang fällt und den verlässlich pandamaskierten Cro mitsamt siebenköpfiger Band freigibt, die sich mit größtem Elan an die Live-Umsetzung seines sonnenwarmen Durchbruchshits „Easy“ machen. „Ey, yo München, ich liebe euch“, schmeichelt Cro, und das reicht dann auch erst mal, um diesen altehrwürdigen Laden für den größten Teil des Konzerts in ein Tollhaus zu verwandeln.
Ein bisschen Transparenz und ein bisschen Geheimnis, das sind denn auch die beiden Pole, zwischen denen sich das Künstlerleben des Carlo Waibel bewegt. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, mit der der kommerziell maximal erfolgreiche schwäbische Rapper, Sänger, Maler, Modeschöpfer und Müsliverkäufer („Spacies“) seit seinem fulminanten Karrierestart in Form des ebenso jugendlich anschlussfähigen wie locker-flockigen Rap-meets-Pop-Debütalbums „Raop“ genussvoll spielt.
So erfährt man in seinen Tracks zwar einerseits, dass er ein für einen Hip-Hop-Star standesgemäßes Faible für schöne Frauen, teure Autos und seine „Gang“ pflegt und in seinem prächtigen Hauptwohnsitz auf Bali, durch den er in einem Video für das Magazin Architectual Digest nicht ohne Stolz führt, ein offenbar bewegtes Liebesleben führt. Andererseits zieht er die Sache mit der Anonymität, die er sich mittels seiner Pandamaske(n) verschafft, mit eiserner Konsequenz durch. Und warum auch nicht, wenn man so auf der Straße seine Ruhe hat, lieber die Kunst für sich stehen lassen will und dabei auch noch ein bisschen markenfördernde Geheimniskrämerei betreiben kann.
In der Olympialle feiern die Fans über weite Strecken eine erfrischend eskapistische Sause. (Foto: Johannes Simon)
Beim ersten der beiden ausverkauften Konzerte von Cros karriereumspannender „Cronicles Tour“ (in diesem Fall selbstverständlich ohne „h“) in der Olympiahalle zeigt sich dieses Wechselspiel zwischen prominent in den Vordergrund treten und sich auch mal dezent in den Hintergrund zurückziehen auf anschauliche Weise. Natürlich ist Cro bei dieser erfrischend eskapistischen Sause der alles überstrahlende Star, der vorne die gesamte Länge des Bühnenlaufstegs nutzt, während seine Band mitsamt der drei stimmbegabten Backing-Sängerinnen die Songs meist von weiter hinten aus mal kraftvoll anschiebt, mal wunderbar filigran zusammentupft.
Und so gerät vor allem die erste Hälfte dieses leitmotivisch von Cros Maskenmetamorphosen getragenen Abends – von der futuristischen Edelausgabe zurück zur günstigen Stoffversion der frühen Tage und am Ende wieder nach vorn zu einer Art metallischen Daft-Punk-Hommage – zu einem euphorisch bekreischten Spektakel aus dem Pop-Lehrbuch. Mit flutschender Leichtigkeit, die Cro und Band mal mit einem kurzen Publikums-Basketballspiel mit luftgefüllten Riesenbällen, mal mit T-Shirt-Kanonen und mobilen Nebelmaschinen spielerisch befeuern, wird man hier an einen Ort jenseits aller Krisen und Sorgen gebeamt.
Am Ende zieht er sich zurück, um befreundeten MCs die Bühne zu überlassen
Mit sommerlichen Fernweh-Songs wie der soulgetränkten Oldschool-Hip-Hop-Nummer „Nie weg“. Mit der ebenso schwer verliebten wie Dancehall-verbouncten Schmachterei von „Dein Song“, in dem Cro metaphorisch etwas unglücklich sein „Herz gefickt“ bekommen hat. Mit der von tausenden Handylichtern illustrierten Herzschmerz-Süße und -Entschleunigung von „Letzter Song“. Oder mit dem Pathos von „Unendlichkeit“, das als autotuneverleierte Reflexion darüber, dass man trotz allem Ruhm und Reichtum letztlich doch auch der Endlichkeit ausgeliefert ist, zwar keine bahnbrechende Erkenntnis, jedoch eine erstaunliche Dringlichkeit transportiert.
Löblich solidarisch und doch dramaturgisch ungeschickt indes, dass Cro das Credo, das er in „Meine Gang (Bang Bang)“ setzt – „Und mir ist so egal, was ihr denkt / Denn alles, was ich brauch‘, ist die Gang“ – dann auch konsequent umsetzt. Natürlich ist das nett, wenn er sich zum Ende hin zurückzieht und befreundeten MCs wie Badchieff oder Wilsn die Bühne überlässt, um dann selbst als umtanzter DJ noch ein wenig inmitten des Publikums aufzulegen.
Die geschickt geschaffene Blase des kollektiven Fan-Glücks lässt er damit jedoch auf eine Weise platzen, die gar nicht mal so wenige auf den verfrühten Heimweg schickt. Aber wie heißt es so schön selbstbestimmt im Song der Backstreet Boys, den er zum allgemeinen Erstaunen ebenfalls auf die Plattenteller legt: „I want it that way“.