An einem sonnigen Augusttag an der Côte d’Azur bemühte sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, nach einem gemeinsamen Kabinettstreffen die Sorgen Berlins zu zerstreuen. Er versicherte, dass eine weitere innenpolitische Krise in Paris die wiederbelebte Freundschaft zwischen beiden Ländern nicht gefährden werde.
Nach den Beratungen mit Bundeskanzler Friedrich Merz und seinem Kabinett stellte sich Macron den Fragen der Journalisten. Diese wollten wissen, ob die zahlreichen bilateralen Initiativen – von Energie über Handel bis Verteidigung – Bestand haben, wo doch in Paris bereits Nachrufe auf die (nun gescheiterte) Regierung von Premier François Bayrou geschrieben wurden.
Macron betonte, innenpolitische Turbulenzen seien „noch nie ein Hindernis“ für die entscheidende Kooperation zwischen den beiden größten Volkswirtschaften der EU gewesen, die zusammen rund ein Drittel der Bevölkerung des Staatenbundes stellen.
Die Realität spricht allerdings eine andere Sprache: In den vergangenen Jahren haben politische Dauerkrisen in Paris wie in Berlin immer wieder den Ausbau der Partnerschaft gebremst.
Die deutsch-französische Freundschaft, einst als Motor der Europäischen Union gefeiert, der Binnenmarkt und Großprojekte zuverlässig vorantrieb, ist ins Stocken geraten. Sowohl Paris als auch Berlin waren zuletzt immer wieder durch eigene politische Krisen vom gemeinsamen Kurs abgelenkt.
Am Montag stürzte ein Misstrauensvotum Bayrou – Macrons vierter Premier in nur drei Jahren. Der erneute Regierungswechsel wirft Fragen über die Zukunft des deutsch-französischen Kerns Europas auf.
Die Bundesregierung in Berlin gibt sich nach außen betont gelassen. Regierungssprecher Stefan Kornelius erklärte vor der Abstimmung, man schaue auf den Nachbarn „mit gar keiner Sorge“. Auch führende Koalitionsabgeordnete spielten die Gefahr einer Spaltung herunter.
Hinter den Kulissen jedoch wächst die Unruhe. Ein Koalitionsabgeordneter räumte ein, es gebe „große Besorgnis über die französische Blockade und die fiskalischen Probleme, die die deutsch-französische Zusammenarbeit beeinträchtigen“ – Sorgen, die auch mit der Regierung geteilt worden seien.
Manche Stimmen fragten bereits, ob Deutschland angesichts eines zunehmend unzuverlässigen Partners eigene Wege gehen müsse. Besonders in sensiblen Bereichen wie den gemeinsamen Rüstungsprojekten sehen Parlamentarier wachsende Risiken.
Rollenwechsel
Noch vor wenigen Jahren war es Paris, das auf Berlin blickte – mit Verärgerung über die Handlungsunfähigkeit der Ampelkoalition unter Kanzler Olaf Scholz. Die Dreierallianz zerstritt sich regelmäßig über Klima- und Haushaltspolitik.
Macron wiederum verspielte im vergangenen Sommer durch Neuwahlen seine Parlamentsmehrheit, kurz nachdem der rechte Rassemblement National bei der Europawahl triumphiert hatte. Wenig später zerbrach auch Scholz’ Koalition.
Nach Einschätzung von Yann Wernert vom Jacques-Delors-Centre spiegeln diese wechselseitigen Krisen eine größere Verschiebung in Europa wider: Angesichts unsicherer US-Sicherheitsgarantien und neuer Kriege auf dem Kontinent geraten Budgets und Regierungen gleichermaßen unter Druck.
Ironischerweise fällt Bayrous Sturz just in eine Phase der Annäherung. Kanzler Merz hatte vor zwei Wochen mit Macron in Frankreich ein großes Zeichen der Einheit gesetzt – samt umfangreicher Agenda für Wirtschaft und Sicherheit. Diese Vorhaben wären nun „im Standby“, sagte Jacob Ross von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Die Ernennung des Macron-Vertrauten Sébastien Lecornu zum Premier soll Stabilität signalisieren. Ob ein neues Kabinett jedoch an Zusagen seiner Vorgänger festhält, ist ungewiss.
Strukturelle Schwäche
Mit Bayrous Abgang scheiterten auch Pläne für Haushaltskürzungen – und erneut wurde Frankreichs Unfähigkeit deutlich, ernsthafte Budgetreformen durchzusetzen. Mit der dritthöchsten Schuldenquote in der EU bleibt Paris kaum Spielraum.
Seit Jahren kann Frankreich im europäischen Finanzgefüge nicht mithalten, während Deutschland mehr Lasten schultern muss. Gemeinsame Projekte sind deshalb oft auf kleine Maßnahmen beschränkt oder hängen von deutscher Finanzkraft ab.
„Es gibt ein Ungleichgewicht bei den fiskalischen Beiträgen“, sagt Wernert, verweist aber darauf, dass Frankreich im Gegensatz zu Deutschland bereits über eine vergleichsweise gut ausgestattete Armee verfüge.
Die Herausforderungen Europas erfordern indes enorme Investitionen.
Ex-EZB-Präsident Mario Draghi errechnete in einem vielbeachteten Bericht, dass jährlich zusätzlich 800 Milliarden Euro – mehr als vier Prozent der EU-Wirtschaftsleistung – nötig seien, um Wiederaufrüstung, Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Frankreich kann kaum beitragen: Allein die Schuldendienste verschlingen 67 Milliarden Euro pro Jahr, mehr als die Verteidigungsausgaben. Auch bei der Ukraine-Hilfe liegt Berlin deutlich vor Paris.
Keine Alternative
Gleichwohl gilt in Berlin: Ohne ein starkes deutsch-französisches Tandem ist eine europäische Agenda kaum durchzusetzen. Großbritannien ist ausgetreten und instabil, Polen und Spanien stecken selbst in Turbulenzen, Italien in der gleichen Haushaltsfalle wie Paris.
Viele hoffen daher auf eine stabile französische Regierung – auch mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2027, bei der Marine Le Pens Rechtsaußenpartei auf den Machtwechsel spekuliert.
CDU-Außenpolitiker Armin Laschet forderte, der künftige Premier müsse Reformen „im Konsens und mit größerem Gespür“ umsetzen. SPD-Europapolitiker Markus Töns relativierte: Frankreichs Schulden seien „ein weites Stück davon entfernt, ernsthaft Anlass zur Sorge zu geben“. Andere EU-Staaten stünden im Vergleich weit schlechter da.
Doch die Gefahr bleibt: „Wenn das Konzept des deutsch-französischen Motors unrettbar und aus der Zeit gefallen ist, bedeutet das aus meiner Sicht, dass die bisherige europäische Integration in einer Sackgasse steckt“, warnt DGAP-Experte Ross.
„Ohne gemeinsame deutsch-französische Kompromisse und Initiativen kann es keine weitere Vertiefung der EU geben.“
Laurent Geslin hat zur Berichterstattung beigetragen.
(bts, jl)