Die Schweiz hat ein Interesse daran, dass das gemeinsame europäische Asylsystem funktioniert. Daher sollte sie auch beim umstrittenen Solidaritätsmechanismus mitmachen. Aber nur unter einer Bedingung: Italien muss wieder Dublin-Flüchtlinge zurücknehmen.

Die Asylreform soll die irreguläre Migration einschränken. Die Asylreform soll die irreguläre Migration einschränken.

Christian Merz für NZZ

Viele Gemeinden und Kantone haben sich bis heute nicht von den Fluchtbewegungen aus der Ukraine erholt. So herrscht in den Kantonen Aargau und Luzern immer noch eine Asylnotlage. Sie erleichtert es unter anderem, Plätze zur Verfügung zu stellen, etwa in Zivilschutzanlagen.

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Mitten in dieser schwierigen Ausgangssituation diskutiert das Parlament eine Vorlage, die den Asyldruck auf Europa und damit auch auf die Schweiz vermindern soll. Es handelt sich um den sogenannten EU-Migrations- und -Asylpakt, der in der EU im Juni 2026 in Kraft tritt und von dem die Schweiz Teile übernehmen muss.

Eigentlich soll die Vorlage das schlecht funktionierende gemeinsame europäische Asylsystem verbessern. Die irreguläre Migration soll beispielsweise durch verstärkte Kontrollen der Aussengrenzen reduziert werden. Davon profitiert die Schweiz, auch wenn sie sich nicht beteiligen muss.

Doch die Reform enthält auch einen Passus, der die Schweiz in die Verantwortung nimmt: den Solidaritätsmechanismus für Anrainerstaaten. Länder an vorteilhaften geografischen Lagen im Innern Europas sollen belasteten Staaten am Mittelmeer helfen. Beispielsweise, indem sie ihnen Flüchtlinge abnehmen, sie finanziell oder mit Fachpersonal unterstützen.

Für die Schweiz ist der Solidaritätsmechanismus freiwillig. Die bürgerlichen Parteien sind zu Recht skeptisch: Es dürfte schwierig sein, der Bevölkerung zu erklären, warum man trotz überlasteten Infrastrukturen und klammen Staatsfinanzen freiwillig weitere Flüchtlinge aufnimmt oder Zahlungen leistet.

Gleichzeitig käme es in Europa schlecht an, wenn sich die Schweiz konsequent verweigert. Kein Land profitiert so stark vom Schengen-Dublin-System wie die Schweiz. Von vier Gesuchen kann die Schweiz drei an die EU überstellen und erhält im Gegenzug nur ein Verfahren aus der EU «zurück». Die Kooperationsbereitschaft anderer Staaten bei den Dublin-Überstellungen wird deutlich abnehmen, wenn die Schweiz unter diesen Voraussetzungen beim Solidaritätsmechanismus ausschert.

Nun hat eine Allianz aus Freisinnigen und Mitte-Vertretern im Ständerat eine pragmatische Lösung gefunden, die einen Ausweg aus dem Dilemma aufzeigt. Sie sieht vor, dass sich die Schweiz beteiligt – allerdings nur dann, wenn sich «wesentliche Dublin-Staaten» an die Rückübernahmeverpflichtungen halten.

Heute ist das nicht der Fall. Italien nimmt seit dem Amtsantritt von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Ende 2022 keine Asylsuchenden mehr zurück. In der Schweiz betrifft das über 1700 Gesuche. Damit muss Schluss sein: Italien soll wieder Flüchtlinge zurücknehmen, sonst gibt es keine Solidarität.

Auch muss die aktuelle Situation der Schweiz berücksichtigt werden. Gemäss Vorlage kann der Bundesrat jedes Jahr aufs Neue beschliessen, ob die Schweiz sich solidarisch zeigt – und wie. Der Ständerat fordert, dass der Bundesrat jeweils die Kantone konsultieren muss, bevor er Massnahmen erlässt. Er entspricht damit einem Wunsch der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren. Denn es wäre nicht vertretbar, wenn Gemeinden und Kantone in Zeiten von Asylnotlagen weitere Menschen aufnehmen müssten.

Es ist zu hoffen, dass sich die FDP-Mitte-Allianz auch im Nationalrat durchsetzt. Bei den Linken kommt der Vorschlag wie zu erwarten war schlecht an. Vor allem die Grünen wünschten sich einen kulanteren Umgang mit renitenten Staaten wie Italien und möchten die Asylbedingungen lockern – Forderungen, die bei der Bevölkerung kaum auf Verständnis stossen dürften.

Die SVP wiederum befindet sich in Totalopposition zur Reform. Würde die Vorlage tatsächlich nicht behandelt, wie es die Partei verlangte, hätte das im Extremfall den Ausschluss der Schweiz aus dem Schengen-Dublin-System zur Folge.

Man mag auf den ersten Blick ein gewisses Verständnis für die Skepsis haben: Das europäische Asylsystem weist derzeit schwere Mängel auf, und die irreguläre Migration ist zu hoch. Auch ist unklar, ob die europäische Asylreform gelingt. Doch solange die Chancen dafür intakt sind, ist das Risiko für einen Alleingang der Schweiz schlicht zu hoch. Die Asylgesuche in der Schweiz drohten sich zu vervielfachen – und die Belastung der Gemeinden und Kantone könnte weiter steigen.