Roland Kugler hat den Weg für eine Verkürzung der Einreisesperre für den irakischen Studenten Ramzi Awat Nabi geebnet. Drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein.
Ramzi Awat Nabi, der 24-jährige Student aus Stuttgart, der am 5. August wegen seiner abgelaufenen Duldung in den Irak abgeschoben wurde, könnte schon bald wieder einreisen, um sein Studium der Energie- und Umwelttechnik an der Hochschule Esslingen fortzusetzen. Das hat Roland Kugler in einem Gespräch mit der Stuttgarter Ausländerbehörde geklärt, die dem Einser-Abiturienten wegen der Zweifel an seiner Identität eine Aufenthaltsgenehmigung verweigert und zur Abschiebung angemeldet hatte. Der Stuttgarter Rechtsanwalt und langjährige Grünen-Stadtrat hat es offenbar in kürzester Zeit geschafft, alle Zweifel auszuräumen.
Verkürzung der Sperre denkbar
Die Stadt teilt auf Anfrage mit, sofern die Voraussetzungen für eine Wiedereinreise erfüllt seien und das Regierungspräsidium Karlsruhe zustimme, wäre eine Verkürzung der verhängten Wiedereinreisesperre von 30 Monaten wegen der nicht freiwillig erfolgten Rückkehr auf sechs Monate seit der Abschiebung denkbar – vielleicht sogar auf drei Monate, wenn eine besondere Härte nachgewiesen werden könne. Das sei üblich. Wenn es optimal liefe, könnte Bilal Awat Nabi, der in Stuttgart studiert und seit Wochen den Fall in der Öffentlichkeit bekannt macht, seinen zwei Jahre jüngeren Bruder schon Anfang November, spätestens aber Anfang Februar kommenden Jahres in Empfang nehmen.
Mit dem Segen der Behörden in Land und Stadt ist es möglich, ein Visum für den Studienaufenthalt zu erlangen. Zwei der drei von der Ausländerbehörde genannten Voraussetzungen für die Wiedereinreise sind bereits erfüllt: Die Stuttgarter Polizei hat auf Anfrage bestätigt, dass sie keine Anzeige wegen Widerstandshandlungen im Zusammenhang mit der Abschiebung erstattet habe. Zwar hatte Awat Nabi in Panik die Flucht ergriffen, als die Polizei in der Nacht vom 4. Auf 5. August im Studentenwohnheim in Vaihingen an die Tür geklopft hatte. Das gilt aber nicht als Widerstand.
Die Rechnungen könnten bezahlt werden
Auch die finanziellen Bedingungen sind erfüllbar. Wer ein studentisches Visum beantragt, muss etwa 11.000 Euro auf einem Sperrkonto nachweisen, damit der Lebensunterhalt für ein Jahr gesichert ist. Hinzu kommen Anwaltskosten – und der Abschiebeflug samt Polizeibegleitung muss auch bezahlt werden. Auf einem Spendenkonto befinden sich rund 12.000 Euro, das Sperrkonto will ein im Westerwaldkreis wohnender junger Mann teilweise füllen, der es nicht ertragen könnte, dass sein früherer Schulfreund wegen einigen tausend Euro im Irak bleiben müsste.
Die dritte Voraussetzung ist die Klärung der Identität, ein in den vergangenen Jahren unmögliches Unterfangen, das mehr als einen Verantwortlichen hat. Hätte Ramzi Awat Nabis Vater bei der Flucht übers Mittelmeer 2018 nicht die Personalausweise der Familie entsorgt und sich später gefälschten Ersatz andrehen lassen, wäre die Identitätsfeststellung der beiden Brüder leicht gewesen, liegen doch Reisepässe und Staatsangehörigkeitsurkunden vor.
Weil sie als echt gelten, zeitlich aber nach den gefälschten ID-Karten ausgestellt wurden, bewertet sie das Bundesamt für Migration (BAMF) zumindest als „mittelbar“ – also womöglich auch – gefälscht. Dennoch: während der ältere Bruder Bilal von einer Härtefallkommission in Rheinland-Pfalz mit den identischen Papieren eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hat und sich um eine Niederlassungserlaubnis bewirbt, um rasch eingebürgert zu werden, fand sich sein Bruder Ramzi vor fünf Wochen plötzlich im Abschiebeflieger wieder.
Schlimmer Fehler im Verfahren
Mittlerweile scheint klar, dass Awat Nabi anwaltlich nicht optimal beraten war. Dass der Anfang Oktober per Postzustellungsurkunde von der Ausländerbehörde an die nun nicht mehr beauftragte Kanzlei versandte Bescheid über die Ablehnung des Antrags auf einen Aufenthaltstitel nicht nur gegenüber dem Mandanten, sondern vor allem gegenüber der ausstellenden Behörde unkommentiert blieb, ist aus Expertensicht unverzeihlich. Es hätte zwingend Widerspruch eingelegt und ein Antrag auf Aussetzung der Abschiebung gestellt werden müssen, um weiter über die Wertigkeit der Urkunden zu reden. Stattdessen wurde einige Monate später ein neuer Antrag auf einen Aufenthaltstitel gestellt, der wegen des fehlenden Einspruchs wirkungslos bleiben musste.
Strittig bleibt die Bewertung der vorgelegten Urkunden. Dass, wie der Fachbürgermeister Clemens Maier (Freie Wähler) behauptet, die Stadt alles richtig gemacht habe, dürfte sich aufs Abschiebeverfahren beschränken. In den beiden dicken Aktenordnern finden sich mindestens zwei Urkunden, die durchaus geeignet gewesen sein könnten, die wahre Identität des Flüchtlings zu bestätigen: ein Realschulabschlusszeugnis, mit dem Awat Nabi im Westerwaldkreis in die zehnte Klasse des örtlichen Gymnasiums eingeschult werden konnte. Vor allem aber ein Auszug aus dem irakischen Zentralregister, mit dem der Betroffene vor zwei Jahren im irakischen Konsulat in Frankfurt seinen neuen Reisepass erfolgreich beantragt hatte.
Der Auszug aus dem irakischen Zentralregister soll die Identität des Studenten Ramzi Awat Nabi final bestätigen. Foto: Privat
Dieser Computerausdruck kann nur im Irak geordert werden, weshalb das Konsulat in Frankfurt eine offizielle Vollmacht für den Onkel Mohamad Nabi Hamad ausstellte, der dann in Bagdad die Urkunde besorgte. Dass diese Vollmacht mindestens so wichtig sein soll wie der Registerauszug, war dem Betroffenen offenbar nicht bewusst. Nach einer Anfrage unserer Zeitung an ihn zu den im Konsulat vorgelegten Dokumenten hat er sich an die Vollmacht erinnert, die nun auch der Ausländerbehörde präsentiert wird. Damit sei, so Anwalt Kugler, nachvollziehbar, dass der aktuelle Reisepass nicht aufgrund von Dokumenten mit möglicherweise falschen Daten beantragt worden sei.
Im Dokumentenstapel der Brüder befinden sich auch noch die Geburtsurkunden und die Heiratsurkunde der Eltern, jeweils mit beglaubigter Übersetzung. Dass der Student mit bester Perspektive dennoch abgeschoben wurde, stößt in der Öffentlichkeit vor allem deshalb auf Unverständnis, weil regelmäßig über Flüchtlinge berichtet wird, die Deutschland trotz Straftaten nicht verlassen müssen.
Geduldet, verhaftet, aber nicht abgeschoben
So wie der 31-Jährige aus dem Kreis Göppingen, der sich derzeit vor dem Landgericht Stuttgart wegen Verbreitung von Kinderpornografie, unerlaubtem Waffenbesitz und Fahrens ohne Führerschein verantworten muss. Er sitzt auch nicht zum ersten Mal in Untersuchungshaft. Wie Awat Nabi stammt er aus der kurdischen Autonomieregion im Irak, anders als der Student hat er sich aber in den zehn Jahren in Deutschland nicht um einen Bachelor-Abschluss bemüht, sondern sich mehrerer Straftaten verdächtig gemacht.
Das Justizministerium erklärte zwar auf Anfrage, ein besonderes Augenmerk auf eine verstärkte Rückführung von Straftätern und Gefährdern zu legen, dafür sei sogar ein Sonderstab gebildet worden. Es räumt aber ein, dass es den seit 2019 ausreisepflichtigen Iraker nicht abschieben könne – „aufgrund fehlender Reisedokumente“. Es reichte ihm offenbar, keinen Reisepass vorzulegen. Aber auch die Vorgaben des Herkunftslands zur Ausstellung von Passersatzpapieren und zu Rückführungen würden eine Abschiebung verhindern, so das Justizministerium. Der Irak nimmt offenbar nicht jeden zurück.