Beim „After Work“ auf der Neckarinsel kommt das junge Stuttgart vom Tag runter. Fürs eigentliche Ziel des Vereins müssen die meisten Fans aber erst noch begeistert werden.

Der junge Mann mit der Schirmmütze ist baff. „Mega“, sagt er. „Ich hätte nie gedacht, dass hier so was ist.“ Er kam eben frisch über die Eisenbrücke, die über die Stuttgarter Schleuse führt – in eine andere Welt. Würde man wirklich nie denken, wenn man drüben am Fußweg steht und die König-Karls-Brücke hinter sich gelassen hat. Der Mann mit der Schirmmütze zieht los, um das fremde Eiland zu erkunden.

In dieser anderen Welt ist eine Bar aufgebaut, an der orangefarbener Neckarino – Geheimrezept – ausgeschenkt wird. Zwischen zwei Bäumen baumelt eine Hängematte, am Rand der Holzterrasse sitzen einige Frauen im Schneidersitz in der Abendsonne, sie lachen, reden, trinken. Fast wie in einem Werbefilm. Willkommen zum „After Work“ auf der Neckarinsel, einem realen Traum.

Gleich neben der Schleuse, eingekesselt von Straßen und Eisenbahnbrücken, hat ein kleiner Verein Großes vor. Die 35 Leute der Neckarinsel möchten den Fluss zurückerobern. Von der Schifffahrtsstraße zum Schwimmbad – so wie das beispielsweise seit diesem Jahr an der Seine in Paris möglich ist. „Wir wollen baden“, lautet der Schlachtruf der Neckarinsel. Bis jetzt ist das in Stuttgart verboten.

Die Neckarinsel Stuttgart hat Großes vor. Sonja Schwarz (r.) und Mithelfer Max, Elmer, Carla Foto: Lichtgut/Ferdinando Iannone

Unter einem Kirschbaum, etwas abseits des After-Work-Trubels, hat sich ein Mann auf den blau-weiß gestreiften Klappstuhl gesetzt und liest in seinem Buch. Kommt er hier nach Feierabend gut runter vom Tag? „Ich habe Urlaub und daher Zeit“, sagt er. Er komme aus Filderstadt. „Ich habe von Freunden davon gehört.“

Die Idee findet er „privat und gesellschaftlich“ interessant. Dass es Menschen gibt, die auf ihren Flyern fragen: „Wo kannst du das Wasser berühren?“ oder „Was wünschst du dem Fluss?“ Die eine greifbare Ahnung davon geben, wie es sein könnte. Auf dem Klappstuhl sitzt er mitten drin in diesem Möglichkeitsraum.

Neckar in Stuttgart ein „Industriefluss“?

Und will der Filderstädter auch im Neckar baden? „Ooohhh“, ist die spontane Reaktion. Dann, nach kurzem Überlegen: Wichtig wäre ihm, dass die Behörden vorher grünes Licht geben. „Ich will ja nicht in der letzten Giftbrühe sitzen.“

Mit seiner Skepsis ist er nicht allein. Oben auf der Holzterrasse in der Frauenrunde, die tatsächlich direkt von der Arbeit kommt, geht nur eine Hand hoch, als es darum geht: Wollt ihr baden? Es gebe ja viele Gerüchte um diesen „Industriefluss“, sagt eine.

Sonja Schwarz kennt die Reaktionen. „Total viele ekeln sich vor dem Neckar“, sagt sie, während sich Chillout-Musik mit dem Stuttgarter Straßensound mischt. Die 28-Jährige ist eine der beiden Hauptamtlichen im Neckarinsel-Verein. Um dem schlechten Image des Flusses entgegenzuwirken, machen sie das Ganze ja. Die Idee: Wenn die Stuttgarter ihren Neckar anders erleben, Zeit an seinem Ufer verbringen, sinkt vielleicht auch die Skepsis.

Zudem werden seit diesem Jahr einmal die Woche Wasserproben entnommen. Die Neckarinsel veröffentlicht die Werte tagesaktuell auf ihrer Homepage. Mit dem Ergebnis: An den meisten Tagen sei die Wasserqualität schwimmtauglich. Gäbe es da nicht das Badeverbot.

Um an dem Verbot zu rütteln, lädt der Verein zum Beispiel für diesen Sonntag, 14. September, zu einer Critical Nass: ein zweistündiges Stand-up-Paddling auf dem Fluss. Wer dabei ins Wasser fällt, macht sich übrigens nicht strafbar. „Das zählt offiziell nicht als Baden“, sagt Sonja Schwarz.

Am Sonntag, 28. September, nehmen die Neckarfreunde dann für dieses Jahr Abschied vom Fluss. Bei einem Insel-Closing gibt es die legendären Freibad-Fritten, sagt Sonja Schwarz. „Damit hat alles angefangen.“ Vorne am Mühlsteg, als sie die Neckarinsel noch nicht geentert hatten.