interview

Stand: 12.09.2025 19:55 Uhr

In Amerika ist Elizabeth Loftus eine Berühmtheit – als Psychologin war sie bei Prozessen um Harvey Weinstein oder Kevin Spacey dabei. Ihr Spezialgebiet ist die Erinnerung. Regisseur Hendrik Löbbert hat nun einen Dokumentarfilm über sie gedreht.

NDR Kultur: „Memory Wars“, also Erinnerungskriege. Warum haben Sie so einen martialischen Titel gewählt für Ihren Film?

Hendrik Löbbert: Ich habe auch schon darüber nachgedacht, ob das etwas zu martialisch ist, aber es gab tatsächlich einfach diese entscheidende Auseinandersetzung in den 1990-ern, die vor allem in den USA ausgefochten worden ist, zwischen zwei Ideen, wie Erinnerung funktioniert.

Da gab es auf der einen Seite die Idee, dass man Erinnerung abspalten kann, wenn die besonders traumatisch ist und über Jahre vergessen kann, was passiert ist. Das bezog sich vor allem auf sexuellen Missbrauch damals.

Und auf der anderen Seite gab es Leute, Wissenschaftlerinnen wie Elisabeth Loftus, die an dieser Art von Abspaltung von kompletten Erinnerungen gezweifelt haben. Diese Phase hatte diesen konkreten Namen, und das war für mich von Anfang an der Arbeitstitel.

Lange Forschungsarbeit

NDR Kultur: Das ist ja tatsächlich auch genau die Dame, die im Zentrum ihres Films steht, der seit gestern in den Kinos in Deutschland zu sehen ist: Elizabeth Loftus, US-amerikanische Psychologin. Was hat Sie an Ihrer Arbeit so sehr fasziniert?

Löbbert: Ich habe das erste Mal Elisabeth Loftus 2016 für eine Fernsehdokumentation als eine von mehreren Protagonistinnen vor der Kamera gehabt. Mir war damals schon klar, dass sie heraussticht aus dem Zirkel, weil sie vor Gericht als Expertin ihre eigene Forschung vertritt.

Sie forscht selber seit den 1970er-Jahren zu Augenzeugenerinnerungen beziehungsweise zu der Fehlbarkeit von Augenzeugenerinnerungen und wird seit den 1970ern auch in große US-Prozesse einbezogen auf der Seite der Angeklagten, um vor der Jury den Jurymitgliedern zu erklären, dass den Augenzeugen, die vor Gericht auftreten, nicht immer zu trauen ist.

Und diese Kombination aus Wissenschaftlerin und Expertin in diesen großen Fällen hat für mich dafür gesprochen, dass man einen Film über Wahrheit drehen kann: aus unterschiedlichen Perspektiven anhand einer Figur.

Kritik von Opferverbänden

NDR Kultur: Für all das ist Elizabeth Loftus von Opferverbänden durchaus kritisiert worden. Finden Sie das berechtigt?

Löbbert: Ja, das gehört auch dazu. Und das gehört auch mit zu der Wahrheit. Also, es ist nicht so einfach. Ich möchte mit dem Film eigentlich erreichen, dass man wieder ins Gespräch kommt. Elizabeth Loftus ist durch ihre Forschung auch eine Art Aktivistin, weil sie auch nur ganz bestimmte Sachen erforscht.

Oft ist es die Fehlbarkeit von den Erinnerungen von Opferzeugen. Und dadurch macht sie sich natürlich auch angreifbar. Denn das ist eine sehr einseitige wissenschaftliche Sicht, die aber nicht falsch ist. Ich glaube, die Anfeindungen sind aus der Sicht der Opfer total berechtigt. Es ist schwer genug, wegen sexuellen Missbrauchs vor Gericht zu gehen und die Täter anzuklagen. Natürlich erleben die das, was Elizabeth Loftus vor Gericht macht, als Ohrfeige.

Theorien der Erinnerung

NDR Kultur: Wie zuverlässig ist unser Gedächtnis, gerade wenn es um Ausnahmesituationen wie Unfälle oder schwere Verbrechen geht?

Löbbert: Ich glaube, im Generellen ist unser Gedächtnis ziemlich fabelhaft. Es funktioniert extrem gut und wir können viel erinnern und wir können viel damit machen. Der Zweifel tritt ja nur dann auf, wenn es um genau solche Situationen geht, die vor Gericht verhandelt werden und wo es zwei Variationen gibt.

Und da kommt im Film die Theorie dazu: E s geht um „Happening Truths“ und „Story Truths“, also das, was tatsächlich passiert ist und das, was wir uns erzählen, was passiert ist. Im Leben ist das total normal, dass wir Sachen schönreden oder anders kausal zusammenbringen.

Nur vor Gericht gibt es das Problem, dass es um ein Urteil geht und da ist entscheidend, dass jedes Detail stimmt. Geschichten, die wir uns erzählen, können sich auch total verändern. Da kann es dann sein, dass der Fisch, den wir vor zehn Jahren gefangen haben, mit jeder Erzählung ein paar Kilo schwerer wird. Das ist in Ordnung, da geht es ja auch um nichts. Da geht es einfach nur um eine schöne Geschichte.

Das Gespräch führte Keno Bergholz für NDR Kultur. Es wurde für eine bessere Lesbarkeit leicht redigiert und gekürzt.