Ein Mann in weißem Schutzanzug, blauer Weste und gelben Gummistiefeln mit Stahlkappen nimmt aus einer Kiste ein triefnasses Buch. Weißer und grüner Schimmel blüht auf den Buchdeckeln. Um davon nichts einzuatmen, trägt der Mann einen Mundschutz. Mit einem Gartenschlauch spritzt er das Buch auf einem Klapptisch ab, bis der Schimmel verschwunden ist. Das ist der erste Schritt der Erstversorgung von Schriftgut und Archivalien mit Wasserschaden, die 24 Mitarbeitende des Notfallverbunds im Großraum Nürnberg an diesem Nachmittag üben.

Archive und Bibliotheken aller Größen und Arten, darunter die Stadtarchive in Nürnberg, Erlangen, Fürth und Schwabach, die Nürnberger Stadtbibliothek, das Staatsarchiv und das Landeskirchliche Archiv der evangelischen Kirche haben sich zusammengeschlossen, um im Katastrophenfall gewappnet zu sein und sich gegenseitig unterstützen zu können.

Der Ernstfall, das sind Starkregenereignisse und Überschwemmungen. Aber auch ein simpler Wasserrohrbruch kann jahrhundertealte Schriften, Urkunden und andere Dokumente innerhalb kürzester Zeit zerstören. „Ein einzelnes Haus kann so ein Schadensereignis gar nicht alleine bewältigen“, sagt Arnold Otto, Leiter des Stadtarchivs Nürnberg, das diesen Trainingstag mitorganisiert hat.

Nach einem Wasserschaden das Schlimmste verhindern

Mit der nötigen Schutzkleidung ausgestattet, lernen die Mitarbeitenden die Schritte kennen, die sie schnell und sicher durchführen müssen, um das Schlimmste nach einem Wasserschaden zu verhindern. Dafür wurden hinter der Stadtbibliothek verschiedene Stationen aufgebaut. Die Bergung der beschädigten Stücke aus einem Gebäude können sie an diesem Tag nicht üben, deshalb stehen in großen Containern und Kisten bereits vollkommen durchnässte Bücher, Akten, Pläne, Fotoalben und andere Papiere bereit. Damit keine wertvollen Bestände für die Übung herhalten müssen, wurde aussortiertes Material aus Archiven und Bibliotheken gesammelt und für rund eine Woche von der Spezialfirma Schempp für Bestandserhaltung gewässert – nicht nur mit Leitungswasser, sondern mit verschiedenen Verschmutzungen, damit möglichst realistisch geübt werden kann.

Matthias Frankenstein von der Universitäts- und Landesbibliothek der Technischen Universität Darmstadt ist einer der erfahrenen Experten, die die Bibliotheks- und Archivmitarbeitenden anleiten. Er erklärt die Schritte der Erstversorgung. Nach dem Abspülen der Objekte folgt die Dokumentation.

„Sofern noch nachvollzogen werden kann, was es für Objekte sind, also zum Beispiel eine Signatur erhalten ist, wird das festgehalten.“

Dann werden zwei Ziffern vergeben: eine steht für das Behältnis, in dem das Objekt gelagert und weitertransportiert wird, die andere ist eine laufende Nummer innerhalb der Kiste, „damit jedes Objekt nachher eindeutig gekennzeichnet ist und wiedergefunden werden kann“.

Rettung auch finanzielle Frage

Nach dem Fotografieren werden die einzelnen Objekte in Frischhaltefolie eingewickelt, damit sie in der Transportbox nicht zusammenkleben. An dieser Stelle endet die Erstversorgung. Die Kisten kommen dann in ein Kühlhaus, wo sie eingefroren werden, um Schimmelbildung zu verhindern. Hierbei kommt es aufs Tempo an: „Zwischen dem Schadensereignis und dem Gefrieren sollten nicht mehr als drei Tage liegen“, sagt Frankenstein. In gefrorenem Zustand kann das Archiv- und Bibliotheksgut für einige Zeit auf den nächsten Schritt warten: das Gefriertrocknen. Das entzieht den Objekten die gesamte Feuchtigkeit. Danach können sie gereinigt und restauriert werden.

Das Retten von Schriftgütern ist oft nicht nur eine Frage der Schnelligkeit, sondern auch der finanziellen Mittel, weiß Frankenstein. „Wenn man gleich am Anfang richtig handelt, spart das auch viele Kosten bei der Restaurierung.“ Damit im Notfall alles reibungslos läuft, werden in einem theoretischen Teil der zweitägigen Übung auch die Aufgaben und Zuständigkeiten geklärt, „auch wenn wir natürlich hoffen, dass der Ernstfall nie eintritt“, sagt Stadtarchivleiter Arnold Otto.