Mario stellt sich heute weit hinten an. Vor ihm warten schon rund 20 andere Menschen in der Schlange vor dem knallroten Bus „Vierjahreszeiten“. Ein paar Minuten später ist Mario dran: „Einmal bitte was zu Essen, danke. Und einen Kaffee, weiß.“ Kurz darauf hält er eine Bohnensuppe in der einen, den dampfenden Kaffee in der anderen Hand. Sich für sein Essen bei einem Projekt für Bedürftige anzustellen, ist noch ungewohnt für ihn.
Denn Mario ist neu in Halle. Und neu im Leben ohne eigene Wohnung. Und: Er hat es beim besten Willen nicht kommen sehen. „Kein Stück. Kein bisschen“, sagt er und schüttelt entschieden den Kopf. „Wirklich nicht. Aber ich sag mal so, wenn man nach 27 Jahren Ehe die Frau verliert und die Kinder verliert, dann wird es einsam um einen. Da ist das Obdachlossein noch nicht mal das Schlimmste.“
Plötzlich wohnungslos
Mario ist 54 Jahre alt. Im Mai trennt er sich von seiner Frau, verlässt die Drei-Zimmer-Altbauwohnung im sächsischen Vogtland. Findet so schnell nichts Neues, ist plötzlich wohnunglos. Er tingelt nach Berlin, landet aber schließlich durch Zufall in Halle. Hier wohnt er im Haus der Wohnhilfe am Böllberger Weg. „Man hat wenig Privatsphäre“, sagt er und erzählt von seinem Dreibettzimmer mit wechselnden Menschen. Mario steckt auf einmal in einem ganz eigenen Kosmos – umgeben von Konflikten, Alkohol und anderen Drogen. „Ohne Wohnung ist es doch kein Leben“, sagt er.
Wie viele wohnungslose Menschen es in Sachsen-Anhalt gibt, lässt sich schwer sagen. Im Januar 2025 waren knapp 1.200 Menschen in Einrichtungen untergebracht. Dazu kommt allerdings noch ein großer Teil von verdeckten Fällen, die zum Beispiel bei Freunden oder Bekannten unterkommen. Und auch obdachlose Menschen, die auf der Straße, unter Brücken oder in alten Brachen schlafen, tauchen in dieser Statistik nicht auf. Zu ihnen gehörte auch Annette vier Jahre lang. Sie steht neben Mario am Bus.
Ein Leben auf der Straße
Annette begleitet Mario durch die Tage, ist in Halle aufgewachsen, zeigt ihm die Ecken ihrer Stadt. Und: Gibt ihm Halt im Leben ohne Wohnung. Sie kennt die Lage nur zu gut. „Ich hab mal in der Bahnhofshalle übernachtet, mal unter der Brücke, mal vor dem Hotel da drüben“, sagt sie und deutet über den gewaltigen Riebeckplatz. „Und hier am ZOB hab ich auch schon geschlafen.“
Annette deutet auf ein Wartehäuschen, verzieht die Nase, als sie die Urinpfütze und den Abfall in der Ecke sieht. „Man kann hier nicht schlafen, weil es stinkt und alles dreckig ist. Hier sind die ganzen Drogenjunkies, die spritzen sich, nehmen Crystal.“ Mario steht daneben und schüttelt den Kopf. Er sei froh, nicht richtig draußen auf der Straße schlafen zu müssen, sagt er.