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Eine neue Pipeline soll russisches Gas nach China transportieren, vor Kurzem wurde ein Vertrag unterzeichnet. Experten glauben aber: Peking könnte das Projekt noch platzen lassen.

Es soll ein Projekt der Superlative werden – und eines, das Russland und China noch enger zusammenschweißt. In der vergangenen Woche verkündete Alexej Miller, Chef des russischen Konzerns Gazprom, dass sich beide Seiten nach Jahren der Verhandlungen auf den Bau einer neuen Gaspipeline geeinigt hätten. „Power of Siberia 2“ soll bis zu 50 Milliarden Kubikmeter Gas von Sibirien nach China transportieren, über eine etwa 6700 Kilometer lange Pipeline.

China, Russland und das Transitland Mongolei hätten einen Vertrag über 30 Jahre geschlossen, sagte Miller in Peking, wo sich Russlands Präsident Wladimir Putin zu einem mehrtägigen Staatsbesuch aufhielt. Auch sollen Gaslieferungen über eine weitere Pipeline erhöht werden, die sich bereits im Bau befindet.

Staatschef Xi Jinping (re.) mit Russlands Präsident Wladimir Putin (li.) und anderen Regierungschefs auf dem Weg zu einer Militärparade in PekingChina weist den Weg: Staatschef Xi Jinping (re.) mit Russlands Präsident Wladimir Putin (li.) und anderen Regierungschefs auf dem Weg zu einer Militärparade in Peking. © Alexander Kazakov/Pool/AFP

Vier bis fünf Jahre werde der Bau von „Power of Siberia“ dauern, erklärte Miller. Russischen Nachrichtenagenturen zufolge sprach er vom weltweit derzeit „größten“ Gasprojekt. Erfolgsmeldungen wie diese kann Russland gut gebrauchen: Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine brachen große Gaskunden in Europa weg. Zwar sprangen andere Abnehmer ein, vor allem Indien. Der Subkontinent ist heute nach China der zweitgrößte Abnehmer von russischem Gas, vor dem Krieg bezog Neu-Delhi sein Gas noch vornehmlich aus anderen Quellen. Doch Indien zahlt weniger als die europäischen Länder, zudem geriet das Land durch US-Zölle zuletzt massiv unter Druck: US-Präsident Donald Trump will Indien dafür abstrafen, dass es mit den Gaskäufen Russlands Krieg finanziell unterstützt. Gut möglich, dass Neu-Delhi auf lange Sicht seine Gasimporte aus Russland deshalb zurückfährt.

China ist wichtigster Gaskunde Russlands

China ist schon heute der wichtigste Gaskunde des Kreml, „Power of Siberia 2“ würde diesen Status weiter zementieren. Doch Zweifel sind angebracht, dass das Projekt tatsächlich eines Tages zustande kommt. Zum einen wurden wichtige Details des Vertrags über den Bau der Pipeline bislang nicht bekanntgegeben – und über Details hatten Moskau und Peking seit Jahren gestritten. Unklar ist derzeit also, ob wirklich alle Schwierigkeiten ausgeräumt wurden. Auffällig war auch, dass sich China noch bedeckt hält. So war die Pipeline offenbar kein Thema, als Staats- und Parteichef Xi Jinping am Wochenende eine Rede vor dem „China-Russland-Freundschaftskomitee“ hielt.

Streitpunkt zwischen China und Russland war jahrelang vor allem der Preis für das russische Gas. Nach Einschätzung von Experten hatte Peking die Russen bei dem Pipelineprojekt jahrelang zappeln lassen, um den Preis zu drücken. Nun erklärte Gazprom-Chef Miller tatsächlich, dass der Preis, den Peking für das Gas zu zahlen habe, unter dem der Europäer liegen werde. Als Begründung nannte er allerdings geringere Transportkosten. Auch Putin bemühte sich, die Preisfrage herunterzuspielen. „Hier gibt es keine Wohltätigkeit auf beiden Seiten. Es handelt sich um für beide Seiten vorteilhafte Vereinbarungen. Sie werden nach Marktprinzipien umgesetzt“, zitierte die Nachrichtenagentur Tass den russischen Präsidenten.

Energieexperte Joe Webster, Senior Fellow bei der US-Denkfabrik Atlantic Council und Herausgeber des Newsletters China-Russia Report, vermutet, dass „Power of Siberia 2“ auch deshalb nie gebaut werde, weil die Kosten extrem hoch seien. „Die Pipeline wird mit ziemlicher Sicherheit deutlich teurer sein als ‚Power of Siberia 1‘, was die ohnehin schon schwierige Finanzierungslage weiter verschärfen wird“, schreibt Webster. Über „Power of Siberia 1“ fließt bereits seit Ende 2019 russisches Gas nach China. Wie teuer die zweite Sibirien-Pipeline werden soll, ist nicht bekannt, Schätzungen gehen aber von einem zweistelligen Milliardenbetrag in Euro aus.

Putins Verbündete: Diese Länder stehen im Ukraine-Krieg an der Seite RusslandsRusslands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen der Gemeinschaft unabhängiger StaatenFotostrecke ansehenAus Angst vor US-Reaktion: Peking könnte „Power of Siberia 2“ scheitern lassen

Zudem sei China nicht auf russisches Gas angewiesen, so Webster. „China verfügt über Energiealternativen (Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge und so weiter), die es im Inland produzieren kann.“ Peking hat seine Gaslieferungen schon lange diversifiziert, um sich nicht von einem oder wenigen Lieferanten abhängig zu machen. So bezieht die Volksrepublik beispielsweise auch aus Turkmenistan, Kasachstan und Myanmar große Mengen an Gas. Schätzungen zufolge könnte Chinas Abhängigkeit von russischem Gas auf 50 Prozent steigen, sollte „Power of Siberia 2“ tatsächlich gebaut und in Betrieb genommen werden. Peking dürfte das kaum wollen.

Energieexperte Webster mutmaßt, dass Peking die Pipeline letztendlich auch deswegen scheitern lassen könnte, um den Westen nicht allzu sehr zu verärgern: „Peking ist sich bewusst, dass die Unterzeichnung eines Megaprojekts mit dem Kreml eine äußerst provokative Handlung wäre, die Gegenmaßnahmen seitens Washingtons und Brüssels erforderlich machen würde.“ Die USA wären sogar direkt betroffen, weil sie bislang – wenn auch in geringem Umfang – Flüssiggas (LNG) an China verkaufen, das deutlich teurer ist als Pipelinegas. „Power of Siberia 2“ würde die teuren US-Lieferungen also überflüssig machen. 2019, also drei Jahre vor Beginn des Ukraine-Kriegs, hatte China noch deutlich mehr Gas aus Russland importiert als 2024 – wohl auch aus Angst vor westlichen Sanktionen.

Berührungsängste, Geschäfte mit Russland zu machen, hat China allerdings nicht. So verkaufen chinesische Hersteller in großem Maße Produkte nach Russland, die auch militärisch genutzt werden können, darunter zum Beispiel Bauteile für Drohnen. Zudem haben Unternehmen aus China viele Lücken besetzt, die der Rückzug westlicher Firmen aus Russland hinterlassen hat.

Auch wenn China wirtschaftlich also vom Ukraine-Krieg profitiert, sehen viele Beobachter Russland als den Juniorpartner im Verhältnis zwischen Peking und Moskau. Denn während China sich weitgehend aussuchen kann, mit wem es Handel treibt, ist Russland derzeit vom westlichen Markt fast vollständig abgeschnitten. Für Russland ist China der wichtigste Handelspartner – umgekehrt gilt das nicht. „Power of Siberia 2“, schreibt Henrik Wachtmeister für das China-Russia-Dashboard, ein Projekt mehrerer Denkfabriken, könnte Russland „noch abhängiger“ von seinem wichtigsten Handelspartner China machen.