Berlin – „Wir haben eine Situation, die an 1938 erinnert“ – so drastisch beschreibt EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas (48) die aktuelle Bedrohungslage in Europa.
Im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) warnte sie: „Die Tschechoslowakei bat damals um Hilfe gegen Nazi-Deutschland, bekam sie nicht und fiel in die Hände der Nazis. Der Unterschied heute ist: Wenn die Ukraine fällt, dann ist die Sicherheit ganz Europas bedroht. Wir müssen zeigen, dass wir unsere Lektion aus der Geschichte gelernt haben.“
Die Außenbeauftragte der EU stellte klar: Friedensgespräche über Gebietsabtretungen der Ukraine seien eine Falle. „Die klassische russische Verhandlungstaktik funktioniert in drei Schritten: Zuerst fordert Moskau etwas, das ihm nie gehört hat. Dann folgen Ultimaten und Drohungen. Schließlich werden Stimmen im Westen mobilisiert, die bereit sind, Russland genau das anzubieten, was es zuvor nie besessen hat.“
Am Ende, so Kallas, bekäme der Kreml mehr, als er je zu träumen gewagt habe. Wladimir Putin (72) beanspruche Regionen, die gar nicht von seinen Truppen kontrolliert würden. Kallas’ Warnung: „Das ist in Wahrheit doch kein Kompromiss, wenn man vorher völlig überhöhte Forderungen gestellt hat.“
Kallas spricht offen über ihre Angst
Dass diese Woche mindestens 19 russische Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen sind, ist für Kallas besorgniserregend: „Das war die schwerste Verletzung des europäischen Luftraums durch Russland seit Kriegsbeginn“, so die EU-Chefdiplomatin.
Im ostpolnischen Dorf Wyryki zerstörte eine der russischen Drohnen das Dach eines Wohnhauses
Foto: IMAGO/Eastnews
▶︎ Um den Druck auf Putin zu erhöhen, arbeitet Kallas am 19. EU-Sanktionspaket. Russland habe durch die bisherigen Sanktionen bereits 450 Milliarden Dollar verloren. Wichtig sei es nun, Finanzströme zu kappen, die Ausfuhr von Produkten zu stoppen, die auch für Kriegsführung und Waffenproduktion genutzt werden können, sowie Versuche, die Sanktionen zu umgehen, härter zu ahnden. „Es liegen viele kreative Lösungen auf dem Tisch“, so Kallas.
Im Interview sprach die aus Estland stammende Politikerin auch über eigene Sorgen. „Ja, diese Veränderung macht mir wirklich Angst, ich kann es nicht anders sagen.“ Sie bezog sich auf die enge Zusammenarbeit autoritärer Staaten wie China, Russland, Nordkorea und Belarus, die zu einer Welt zurückwollen, in der allein Macht und Gewalt bestimmen.