VDI: Wie kam es zur Gründung des Faches Sicherheitstechnik und was zeichnet den bundesweit einmaligen Studiengang in puncto Forschung und Lehre aus?

Pieper: Bereits kurz nach Gründung der Bergischen Universität als Gesamthochschule im Jahr 1972 kam es zu ersten Bemühungen für den Aufbau einer sicherheitstechnischen Fachrichtung – zunächst im Rahmen des Maschinenbaus, mit dem die Sicherheitstechnik seit 2015 in einer gemeinsamen Fakultät integriert ist. Am 1. Oktober 1975 wurde der bis 2003 bestehende Fachbereich 14 Sicherheitstechnik gegründet. Das erste Fachgebiet war „Allgemeine Sicherheitstechnik“, danach folgten „Arbeitssicherheitstechnik“, „Brandschutz“ und „Verkehrssicherheitstechnik“.

Prof. Dr. Peter C. Compes gilt in diesem Zusammenhang als Gründer der Sicherheitstechnik. Seiner Überzeugung nach zählt es zu den Kernaufgaben der Sicherheitswissenschaft, eigenständige Konzepte und Methoden zu erforschen und zu lehren, mit dem Ziel, die Sicherheit von Menschen bei der Arbeit und den Schutz der Umwelt zu gewährleisten und zu verbessern. Die Sicherheitstechnik war und ist dabei nicht auf ingenieurs- und naturwissenschaftliche Fächer begrenzt. Vielmehr kennzeichnet sie seit ihrer Etablierung die disziplinübergreifende Auseinandersetzung mit Risiken.

Fünf Jahrzehnte Forschung und Lehre in der Sicherheitstechnik haben in zentralen Bereichen wie Arbeits-, Umwelt- und Verkehrssicherheit, Qualitäts- und Zuverlässigkeitswesen, Brandschutz, Chemikaliensicherheit, Bevölkerungs- und Katastrophenschutz sowie in sozial- und arbeitswissenschaftlichen Schwerpunkten wichtige Beiträge zum heutigen Stand der Prävention und Gefahrenabwehr geleistet. Inzwischen hat eine Reihe von Hochschulen die Blaupause der Sicherheitstechnik an der BUW übernommen.

Ein Studium der Sicherheitstechnik eröffnet viele berufliche Möglichkeiten

VDI: Welche beruflichen Perspektiven haben Absolventinnen und Absolventen der Sicherheitstechnik?

Bracke: Die Absolventinnen und Absolventen der Studiengänge Bachelor Sicherheitstechnik, der auch dual möglich ist, Master Sicherheitstechnik und Master Qualitäts- und Zuverlässigkeitsingenieurwesen erwerben fundierte sicherheitswissenschaftliche Kenntnisse. Diese befähigen sie, sicherheitstechnisch relevante Risiken zu ermitteln, zu beurteilen und Minimierungsstrategien abzuleiten. Sie können Problemstellungen identifizieren und innovative Lösungswege auf Basis des Stands der Technik und aktueller sicherheitswissenschaftlicher Erkenntnisse entwickeln. Darüber hinaus sind sie in der Lage, wissenschaftliche Erkenntnisse kritisch einzuordnen und gesellschaftliche Prozesse verantwortungsbewusst mitzugestalten. Der Abschluss qualifiziert sie zur Entwicklung eigener Lösungsstrategien für typische Herausforderungen der Sicherheitstechnik und des Ingenieurwesens. Dabei sind sie befähigt, in wissenschaftlichem und praxisnahem Kontext teamorientiert sowie interdisziplinär zu arbeiten und komplexe Aufgaben effektiv in Teams zu lösen, auch durch ausgeprägte Selbstorganisation.

Diese Kompetenzen qualifizieren unsere Absolventinnen und Absolventen für Tätigkeitsfelder sowohl in Industrie, Wissenschaft, bei Behörden und gesetzlichen Unfallversicherungsträgern als auch im technischen Sachverständigenwesen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt in freiwilligen und Berufsfeuerwehren und in Katastrophen- und Notfalldiensten. Dazu kommen Tätigkeiten als Auditorinnen und Auditoren, bei Zertifizierungsstellen und im industriellen Qualitätsmanagement. Nach dem Master-Abschluss kann eine Promotion aufgenommen werden.

Prof. Dr. Ralf Pieper – Foto: Bergische Universität Wuppertal
Das Studienfach Sicherheitstechnik ist interdisziplinär aufgebaut

VDI: Welche Rolle spielt die interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Sicherheitstechnik?

Pieper: Bezogen auf die Lehre sind Psychologie und Informatik im Bachelor-Studiengang integrale Bestandteile des Curriculums. Die Grundlagen der Arbeitspsychologie ist im ersten Fachsemester ein Pflichtfach. Die Informatik ist essenziell, um Gefahrensituationen zu simulieren, und wird im fünften Fachsemester gelehrt. Des Weiteren sind die Fächer Maschinenelemente, Technisches Zeichen, Technische Mechanik und wesentliche Aspekte des Maschinenbaus Pflichtveranstaltungen sowohl im Bachelor- als auch im Master-Studiengang Sicherheitstechnik.

Das Studienfach ist von Grund auf interdisziplinär aufgebaut, worauf bereits die Bezeichnungen der Fachgebiete hinweisen. Zu diesen gehören Soziotechnische Systeme, Zuverlässigkeitstechnik und Risikoanalytik, Arbeitssicherheit, Umweltsicherheit, Verkehrssicherheit, Prozess- und Anlagensicherheit, Produktsicherheit und Qualität, Branddynamik, Chemische Sicherheit und abwehrender Brandschutz, Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit, Arbeitswissenschaft und Sicherheits- und Qualitätsrecht. Interdisziplinarität ist insofern ein Wesensmerkmal der Sicherheitstechnik.

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Megatrends wie Klimawandel, Digitalisierung oder Urbanisierung gehören zu den Forschungsfeldern

VDI: Inwieweit beeinflussen gesellschaftliche Megatrends wie Klimawandel, Digitalisierung oder Urbanisierung die Sicherheitstechnik heute und in Zukunft?

Bracke: Die Profillinie „Umwelt, Engineering und Sicherheit“ der BUW verbindet interdisziplinäre Forschungen zu den Themen Umweltsysteme und ökonomische, ökologische sowie soziale Nachhaltigkeit. Input dafür liefern die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen. Dies gilt insbesondere für die Sicherheitstechnik sowie für Teile der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften – auch in Kooperation mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Bedient wird die gesamte Kette der Wissensproduktion von der Grundlagenforschung bis hin zur Entwicklung anwendungsnaher Produkte und Hightech-Verfahren beziehungsweise effizienter Systeme in Kooperation mit der Industrie. Umweltsystemforschung, Engineering und Sicherheitsstrategien haben das Ziel, das Verständnis komplexer Zusammenhänge in ökologischen und technischen Systemen zu verbessern und technologische Innovationen zu fördern. Anwendungsbezogen steht die Frage im Vordergrund, wie sich im Wandel der Umweltbedingungen und der Ressourcenverfügbarkeit künftige Bedürfnisse von Konsumenten und Produzenten, aber auch die Herausforderungen des Umweltschutzes und der Globalisierung erfüllen lassen.

In der Sicherheitstechnik machen zudem die in Forschungsprojekten, Dissertationen und studentischen Abschlussarbeiten vermehrt behandelten Themen zu den Megatrends wie Klimawandel, Digitalisierung oder Urbanisierung deren heutigen und künftigen Einfluss deutlich.

Die Wuppertaler Sicherheitstechnik ist stark mit der Industrie verbunden und International vernetzt

VDI: Welche Kooperationen werden mit der Industrie, öffentlichen Einrichtungen, internationalen Partnern sowie weiteren Institutionen gepflegt?

Pieper: Die Lehrstühle der Sicherheitstechnik verfügen über eine Vielzahl von internationalen und nationalen Kooperationen mit der Industrie, Universitäten und Hochschulen sowie mit weiteren Non-Profit-Organisationen. Aufgrund der ausgeprägten Interdisziplinarität bestehen Kooperationen zu einer Reihe von Industriezweigen – zu diesen gehören:

  • die Automobil- und Zulieferindustrie, einschließlich Elektromobilität und Batteriezellfertigung,
  • der Maschinen- und Anlagenbau, wozu Werkzeugmaschinen, Apparate- und Anlagenbau, Chemieanlagen sowie Energieanlagen zählen,
  • die Chemie- und Verfahrenstechnik,
  • die Elektro- und Elektronikindustrie, speziell in den Bereichen Halbleiterfertigung, Automatisierung, Medizintechnik und Messtechnik,
  • die Energiewirtschaft und die Umwelttechnik mit Fokus auf erneuerbare Energien wie Wind, Solar und Wasserstoff und
  • die Recycling- und Kreislaufwirtschaft.

Dasselbe gilt für die Kooperationen zu anderen Universitäten und Hochschulen: Enge Zusammenarbeit in Forschung und Lehre findet hier beispielsweise in Europa, insbesondere Frankreich, Polen, Norwegen, Italien, Slowakei und Tschechien, den USA sowie in Asien, vor allem Japan und Südkorea, statt.

Prof. Dr. Stefan Bracke – Foto: Bergische Universität Wuppertal
Die Sicherheitstechnik begegnet vielen neuen sicherheitstechnischen Problemstellungen

VDI: Was wünschen Sie sich für die nächsten 50 Jahre Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal?

Bracke: Es zeichnen sich einige Trends und Herausforderungen ab, denen sich die Sicherheitstechnik stellen wird. Diese betreffen zum einen die Fachdisziplin selbst, zum anderen die Entwicklung der Gesellschaft im Allgemeinen sowie der universitären Lehre und Forschung im Besonderen. Beeinflusst werden diese etwa durch technologische Entwicklungen und globale Bedrohungsszenarien. Die Komplexität und Funktionalität technischer Produkte und Prozesse steigt weiterhin exponentiell. Hier gilt es, die soziale und ökologische Beherrschbarkeit der Technologie sicherzustellen und die Risikoprävention in den Vordergrund zu rücken. Des Weiteren werden sicherheitstechnische Problemstellungen vermehrt durch den Einsatz von Artificial Intelligence, kurz A.I., gelöst werden müssen; dazu gehört unter anderem die Chancen und Risiken von A.I. zu bewerten. Sie kann Anomalien feststellen, aber auch missbraucht werden, zum Beispiel durch Deepfakes oder automatisierte Angriffe. A.I. muss erklärbar sein, damit Sicherheitsentscheidungen, insbesondere im öffentlichen Raum oder bei automatisierter Risikoprävention, nachvollziehbar sind.

Hinzu kommt, dass durch den technologischen Fortschritt und die weltweiten Umbrüche neue Bedrohungsszenarien entstehen, darunter Hybrid- und Terrorbedrohungen und die Kombination physischer und digitaler Angriffe, aber auch biologische und chemische Risiken, etwa im Kontext von Pandemien und Laborunfällen. Schließlich führen globale Krisen wie Klimawandel und Ressourcenknappheit zu neuen Sicherheitsanforderungen, beispielsweise beim Schutz von Wasser- und Energieanlagen.

Neue Konzepte und Studienformate sollen Einzug in das Fach finden

VDI: Wie wird sich die Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität diesen Herausforderungen stellen?

Pieper: Mit Internationalisierung und globalen Wettbewerb, damit einhergehend ein stärkerer Austausch von Studierenden, Lehrenden und Forschenden im Bereich der Sicherheitstechnik weltweit. Hierbei wird der Aufbau internationaler Studienprogramme sowie strategischer Partnerschaften mit weiteren Top-Universitäten zur Gewinnung internationaler Studierender und Lehrender von zentraler Bedeutung sein.
Die Implementierung von Digitalisierung und A.I. wird angemessen in die Disziplinen des Faches erfolgen. Hierbei ist ein ergänzender Kompetenzaufbau unabdingbar. Auch wird sich der lange abzeichnende demografische Wandel weiter fortsetzen. Dazu gehört auch, dass die Qualifizierung von Menschen nicht mit dem Abschluss des ersten Hochschulstudiums enden kann. Vielmehr werden Konzepte für ein lebenslanges Lernen, also berufliche Weiterbildung, Zertifikatskurse und flexible Studienformate, in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen.

Auch werden Diversität und Inklusion weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Neben der bereits etablierten Förderung benachteiligter Gruppen und der Gendergerechtigkeit wird die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – explizit im Hinblick auf die seit Jahren sinkende Geburtenrate – ein entscheidender Aspekt sein.

Dies alles ist im Kontext des Wettbewerbs um die besten Talente bei Studierenden und Lehrenden zu sehen. Die Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal ist dafür gut aufgestellt! »mw«

Prof. Dr. Stefan Bracke

Prof. Dr. Stefan Bracke leitet seit 2010 den Lehrstuhl für Zuverlässigkeitstechnik und Risikoanalytik an der Bergischen Universität Wuppertal. Der Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit und Lehre liegt in der Zuverlässigkeits- und Risikoanalytik bei der Entwicklung, Herstellung sowie beim Feldeinsatz technischer, komplexer Produkte. Des Weiteren forscht und lehrt Stefan Bracke seit 2013 in Kooperation mit der Meiji-Universität, Tokyo, Japan zu den Themenfeldern Technische Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit und war Gastprofessor an der Meiji-Universität, Kanagawa, Japan.

Prof. Dr. Ralf Pieper

Prof. Dr. Ralf Pieper ist seit 2003 Leiter des Fachgebiets Sicherheits- und Qualitätsrecht. Neben der Forschung und Lehre zu sicherheitsrechtlichen Schwerpunkten konzipiert und organisiert Ralf Pieper in Kooperation mit dem Institut ASER e.V. seit 2004 das Sicherheitswissenschaftliche Kolloquium und seit 2015 in Kooperation mit dem VDSI e.V. das Sicherheitswissenschaftliche Forum. Der Wuppertaler Sicherheitstag 2025 zum Jubiläum „50 Jahre Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal“ wird im Rahmen des 14. Sicherheitswissenschaftlichen Forum am 18. September 2025 auf dem Campus Freudenberg durchgeführt.

Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal

Bergische Universität Wuppertal – Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik