Schnell gleitet der Filzstift über das Ringbuchblatt. Hier ein Strich, da eine Rundung, den Trubel des samstäglichen Flohmarkts auf dem Karlsplatz festhaltend. Gwendolyn Kleemann zeichnet konzentriert, Hand, Arm und Blick erfassen die flüchtigen Momente des Jetzt für das Morgen. „Gezeichnet? Habe ich seit ich denken kann“, sagt sie und lacht. Nun müsse sie schnell zu „ihrer Gruppe“. Die Lehrerin ist auf einem „Sketchwalk“, einem Stadtspaziergang, auf dem gezeichnet wird. Diese sind Teil des Deutschlandtreffens der Urban Sketchers, das zum neunten Mal stattfindet – und zum ersten Mal in Stuttgart.

Urban Sketchers ist eine weltweite Bewegung mit dem Motto „We show the world, one drawing at a time!“, also „Wir zeigen die Welt, Zeichnung für Zeichnung!“. 2007 gründete sie der barcelonische Journalist und Illustrator Gabriel Campanario im US-amerikanischen Seattle: Er teilte seine Arbeiten und verbundenen Aktivitäten in Blogs und sozialen Netzwerken. Das ging flugs um die Welt, Ortsgruppen entstanden und eine integrative Gemeinschaft aus professionell und in der Freizeit Kunst Schaffenden.

Urban Sketchers erstmals in Stuttgart

An diesem Samstagmorgen empfangen die Urban Sketchers Stuttgart 750 Begeisterte aus der Republik und anderen Ländern wie Österreich, Frankreich, gar den USA am Eingang des StadtPalais, geben dort Namensschilder aus, teilen die Teilnehmenden den begleiteten Sketchwalks zu. Gezeichnet wird am Eugensplatz, Kraftwerk Münster, Erwin-Schöttle-Platz, Kunstverein Wagenhallen, Teehaus, im Rosensteinpark, vor dem Le Corbusier-Haus in der Weißenhofsiedlung und an vielen Orten mehr. „Die Sketchwalks finden am Vormittag und Nachmittag statt“, ist vom Orga-Team Christian Lang, Nadja Pidan und Riona Kuthe zu erfahren. „Zusätzlich gibt es noch am Abend Sketchen im Dunkeln und Good Morning Sketching.“ So hätten sich um 7.30 Uhr 30 Leute auf dem Degerlocher Santiago-de-Chile-Platz versammelt, um den grandiosen Blick auf die Innenstadt festzuhalten. Auch das „Drink, Talk and Draw“ am Abend zuvor im Theaterhaus sei gut besucht gewesen.

Eine Zeichnerin bei der Arbeit am Schillerplatz. Foto: Christoph Schmidt/Lichtgut

Derweil zeichnen Gwendolyn und ihre Gruppe, nachdem sie von ihrer Begleiterin Edith Meissner im Renaissance-Innenhof des Alten Schlosses in die Geschichte der Bauten – Fruchtkasten, Alte Kanzlei, Markthalle und mehr – eingeführt wurden, auf dem Schillerplatz; darunter Tobias aus Hamburg, Judith aus Berlin, Deisy aus Rottweil. Manche auf Klappsitz, andere auf der Treppen unter Bertel Thorvaldsens berühmtem Dichterdenkmal. Neben Wasserfarben sei ein Edding zum Highlighten im Gepäck, verrät Deisy, neu bei USk. Alexandra, länger dabei, skizziert die Skyline in orange und schmunzelt: „Habe alles mit, was der Schreibtisch hergibt, spannend hier, die Verbindung von Alt und Neu.“

Menschen aus aller Welt bei Urban Sketchers in Stuttgart

Wilfried, Dortmunder Architekt in Rente, fährt mit der Feder Bleistiftlinien nach: die Apsis der Stiftskirche, die Blumen des Markts. David Chamness bannt das Gesamtensemble mit Tusche aufs Papier. „Ich bin aus Seattle“, nickt der pensionierte Architekt, von den Anfängen der Bewegung schwärmend. Im August sei er erstmals beim internationalen USk-Symposium im polnischen Posen gewesen, jetzt in Stuttgart, wo seine Tochter lebt. „Beim Sketchen erlebt man Gemeinschaft und Freiheit, bekommt neue Perspektiven. Wir sehen dasselbe, doch nicht gleich, immer kommt was anderes heraus, das öffnet Horizonte.“

Längst mischen sich die Gruppen im Herzen Stuttgarts. Sophie aus Heidelberg beschreibt, es gehe ums Erinnern, um Gerüche, Gefühle. Das unterstreicht Simone, die mit 20 Leuten aus Köln anreiste. „Mit nichts kann man so gut Stimmung und Atmosphäre ausdrücken, als mit Zeichnen.“ Das ist beim „Throwdown“ zu sehen, nach den Sketchwalks betrachten die Gruppen ihre Arbeiten gemeinsam. Und am Sonntagvormittag werden ab 9.30 Uhr die Skizzenbücher im StadtPalais präsentiert.