Am Samstagmorgen glich die hallesche Innenstadt weniger einem bunten Straßenfest als einer militärisch gesicherten Zone. Wer sich durch das Zentrum bewegte, konnte kaum einen Blick werfen, ohne auf Polizei zu stoßen. Überall standen Einsatzfahrzeuge, schwer gepanzerte Einheiten waren präsent, und die sogenannten „Hamburger Gitter“ der Polizei durchzogen die Straßen. Insgesamt 550 Polizeikräfte waren im Einsatz – eine Zahl, die selbst die Veranstalterinnen und Veranstalter des CSD in Staunen versetzte. Noch vor wenigen Jahren, so erzählen sie, habe man mit einem einzigen Streifenwagen der Polizei angefangen. Die Zeiten, in denen der CSD in Halle lediglich eine bunte Parade durch die Straßen war, sind längst vorbei.

Heute ist der Christopher Street Day auch eine politische Kampfansage – und leider auch ein Sicherheitsrisiko. Denn queeres Leben, Sichtbarkeit und Solidarität sind in Deutschland, und ganz besonders in Sachsen-Anhalt, wieder unter Beschuss geraten. In diesem Jahr waren gleich zwei Gegendemonstrationen aus dem rechten Spektrum angemeldet. Schon in den frühen Morgenstunden formierten sich am Hauptbahnhof die ersten Teilnehmer*innen der sogenannten Anti-CSD-Demo. Gleichzeitig, nur wenige Meter entfernt, sammelten sich etwa 400 Menschen, um lautstark gegen die rechtsextreme Präsenz zu protestieren.

Rechte Szene mobilisiert – Antifa hält dagegen

Bereits kurz nach 10 Uhr begannen sich die ersten Teilnehmenden der rechten Aufmärsche vor dem Bahnhof zu versammeln. Die Zahl blieb überschaubar. Wenige dutzend Neonazis standen eingekesselt zwischen Gittern, Mauern und Polizeiblockaden, abgeschirmt vom restlichen öffentlichen Leben. Immer wieder war zu hören, dass man auf „Kameraden aus Magdeburg“ warte – tatsächlich traf ein Zug mit fünf weiteren Personen ein. Am Ende zählte die Polizei 40 Teilnehmer auf Seiten der Rechtsextremen. Diese waren kaum sichtbar, dafür umso hörbarer. Sie skandierten Parolen wie „Alerta, Alerta, die Heimat ist stärker“ und „Ob Ost, ob West – nieder mit der roten Pest“.

Dem gegenüber standen über 400 Gegendemonstrierende, die laut und klar ein Zeichen gegen Faschismus setzten. Rufe wie „Nazis raus“ oder „Alle zusammen gegen den Faschismus“ schallten über den Bahnhofsvorplatz. Die geplante Kundgebung der rechten Szene wurde zunächst verschoben – auf 15 Uhr – und sollte mit einem Demonstrationszug durch den halleschen Osten und die Innenstadt enden. Doch dazu kam es nicht. Viele der rechtsextremen Teilnehmer, vorwiegend angereist aus Chemnitz und Umgebung, entschieden sich, den Tag vorzeitig zu beenden. Ohne Kundgebung und ohne Marsch verließen sie die Stadt. Für die Organisator*innen des CSD ein klarer Erfolg. Henriette Quade von „Halle gegen Rechts“ sprach anschließend von einem wichtigen Sieg für die Demokratie: Der rechte Protest blieb nicht nur zahlenmäßig klein, sondern auch politisch wirkungslos.

Interner Streit um Pro-Palästina-Gruppen

Doch nicht alle Konflikte kamen von rechts. Auch innerhalb der linken Proteste kam es zu Spannungen. Insbesondere ein Streit um Pro-Palästina-Gruppen sorgte für Unruhe. Die Polizei griff ein, als Mitglieder des „Solidaritätsnetzwerks“ versuchten, sich mit palästinensischen Flaggen und Slogans in die Demo gegen Rechts einzugliedern. Diese Gruppierung war zuvor vom Protest ausgeschlossen worden. Henriette Quade hatte sich im Vorfeld deutlich positioniert: Wer Fahnen oder Symbole antisemitischer Organisationen wie Handala mit sich führe, sei nicht willkommen. Wer auf die Fahne dennoch nicht verzichten wolle, solle sich am Ende der Demo einreihen – doch dazu waren die Aktivist*innen nicht bereit. Stattdessen schwenkten sie ihre Fahnen in den vorderen Reihen und riefen „Free Palestine“, woraufhin sie von der Polizei zurückgedrängt wurden.

Der Protest geriet ins Stocken. Für Quade war dieser Zwischenfall frustrierend. „Es kotzt mich wahnsinnig an, dass es nicht möglich ist, hier solidarischen und entschlossenen antifaschistischen Protest auf die Beine zu stellen, der klar macht: Antifa heißt gegen jeden Antisemitismus.“ Die Linke ist in Sachsen-Anhalt wie auch bundesweit immer wieder mit dieser inneren Zerreißprobe konfrontiert – zwischen Solidarität mit Palästina und der notwendigen Abgrenzung gegenüber israelfeindlichen, antisemitischen Haltungen. Der Vorfall am Rande des CSD machte diese Spaltung erneut sichtbar.

Eine besondere Stimme erhob Luxuria Rubina „Geile Sau“ Rosenburg, eine bekannte Dragqueen und politische Aktivistin aus Berlin (Sich selbst nennt sie „Polittunte aus Berlin). Wie jedes Jahr war sie eingeladen worden, um beim CSD in Halle für Stimmung zu sorgen. Doch in diesem Jahr nutzte sie vor ihrem Bühnenauftritt die Möglichkeit, um den Demonstrierenden am Bahnhofsvorplatz eine eindringliche Botschaft zu übermitteln. Sie sprach von dem Respekt, den sie für die Menschen in Halle empfinde, die sich tagtäglich gegen rechte Hetze und Queerfeindlichkeit stellen.

Sie erinnerte sich an das Vorjahr, als sie auf Bitten des Veranstalterteams direkt vom Hotel in die Tiefgarage gebracht wurde, um sicher zur Demo zu gelangen. Das zeige, wie angespannt die Lage sei. Gleichzeitig lobte sie den Mut und die Organisation der CSD-Teams in Halle. Es sei nicht selbstverständlich, so eine Veranstaltung in einer Stadt wie Halle auf die Beine zu stellen. Es brauche nicht nur Feierlaune, sondern auch eine gehörige Portion Mut und den Willen, politisch sichtbar zu bleiben.

Politische Prominenz und deutliche Worte

Zurück auf dem Marktplatz zeigte sich die Bühne des CSD als Ort der Sichtbarkeit, der Freude – aber auch des politischen Statements. Politische Vertreter*innen zeigten sich solidarisch. Es sprachen unter anderem die Bundestagsabgeordnete Janina Böttger (Linke) sowie mehrere Landtagsabgeordnete: Katja Pähle (SPD), Konstantin Pott (FDP) und Wolfgang Aldag (Grüne). Auch zahlreiche Stadtratsmitglieder wie Guido Haak (CDU), Katja Müller (Linke), Melanie Ranft (Grüne) und Ferdinand Raabe (Volt) waren anwesend und zeigten Flagge – im wahrsten Sinne des Wortes.

Hendrik Lange, Mitorganisator vom bbz lebensart und Landtagsabgeordneter der Linken, fand deutliche Worte in Richtung Bundespolitik. Besonders scharf griff er Bundestagspräsidentin Julia Klöckner an, die das Hissen der Regenbogenfahne auf dem Reichstag untersagt hatte. „Dieser Deckmantel der Neutralität ist nichts anderes als ein stinkkonservatives Programm“, sagte Lange. Das sei nicht nur rückständig, sondern ein Skandal. Er betonte, wie wichtig es sei, dass Städte wie Halle während der Pride Weeks ein sichtbares Zeichen setzen – etwa durch das Hissen von vier Regenbogenflaggen vor dem Stadthaus.

Gleichzeitig warnte er vor dem wachsenden Einfluss der AfD. Umfragen sehen die rechtspopulistische Partei bei 39 Prozent in Sachsen-Anhalt – eine alarmierende Zahl. Lange sprach von einer direkten Bedrohung für die Lebensrealität queerer Menschen. Er zog eine Parallele zu den USA unter Donald Trump, wo die Demokratie mit „atemberaubender Geschwindigkeit“ abgebaut werde. Seine Botschaft war klar: Keine Anpassung an die Rechten, keine Aufgabe von Diversity-Programmen in vorauseilendem Gehorsam. „Kein Kniefall vor den Faschisten“, sagte er unter lautem Applaus. Der CSD sei nicht nur ein Fest. Er sei ein politischer Protest – für Rechte, für Freiheit, für Sichtbarkeit.

Ein Oberbürgermeister zeigt Flagge

Auch Oberbürgermeister Dr. Alexander Vogt bezog Stellung. Er hatte die Schirmherrschaft über den diesjährigen CSD übernommen und erinnerte an die historische Bedeutung Halles. Bereits 1989, Endzeit der DDR, war Halle mit der „Schorre“ die erste Stadt, in der queere Diskos erlaubt wurden. Damals reisten Menschen aus Berlin, Leipzig, Dresden und Erfurt an, um in der Schorre zu feiern. Vogt erzählte auch von seinem eigenen Coming-Out im Jahr 1995. Er habe, bis auf wenige Ausnahmen, nie Diskriminierung erfahren. Im Wahlkampf sei seine sexuelle Orientierung kein Thema gewesen – dafür sei er dankbar. Doch er wisse auch, dass viele andere queere Menschen nicht dieses Glück hätten. Besonders im Umland sei es noch immer gefährlich oder zumindest unangenehm, als gleichgeschlechtliches Paar sichtbar zu sein. Vogt versprach: „Solange ich Oberbürgermeister dieser wunderschönen Stadt bin, werden bei mir diese Flaggen da wehen.“ Vier Regenbogenflaggen wehen vorm Stadthaus.

Landesbeauftragte Schulze: „Keine Angst, keine Diskriminierung“

Eindringlich war auch die Rede von Sarah Schulze, der Landesgleichstellungsbeauftragten von Sachsen-Anhalt. Für sie gehe es beim CSD nicht um leere Parolen, sondern um gelebte Solidarität und den Mut zur Sichtbarkeit. Sie mahnte, dass viele queere Menschen noch immer mit Ausgrenzung, Vorurteilen und Gewalt leben müssten. Die Zahlen queerfeindlicher Straftaten stiegen – auch in Sachsen-Anhalt. Schulze betonte: „Hass, Hetze und Herabwürdigung haben in unserer Demokratie keinen Platz – unter gar keinen Umständen.“

Besonders im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen 2026 sei es wichtig, dass demokratische Kräfte gemeinsam und entschlossen gegen diese Entwicklungen auftreten. Es dürfe nicht sein, dass Menschen Veranstaltungen aus Angst meiden müssten. Eine Gesellschaft, in der queeres Leben nur geduldet werde, sei keine vollständige Demokratie. „Nur dort, wo Respekt und Würde für alle gelten, ist unsere Demokratie verwirklicht“, sagte Schulze.

Nach den Reden ging es dann los. Rund 2.000 Menschen beteiligten sich an der CSD-Demo vom Marktplatz über Steintor und Reileck zurück zum Marktplatz. Damit lag diese Zahl in etwa so hoch wie die meisten Jahre zuvor. Eine Ausnahme war das vergangene Jahr, als 3.400 Teilnehmende gezählt wurden.

Stimmen aus der Community

Auch die Veranstalter selbst zeigten sich am Ende zufrieden, aber auch wachsam. Marcel Dörfern von der Aidshilfe sprach von einer gelungenen Demonstration, die gezeigt habe, dass Halle bunt sei – trotz aller Bedrohungen. Mirko Rische vom bbz lebensart lobte die gute Zusammenarbeit mit der Polizei. Und Ole, ebenfalls vom bbz, warnte vor finanziellen Einschnitten angesichts der politischen Großwetterlage: „Unsere Angebote sind nicht in Stein gemeißelt“, sagte er – eine Mahnung an die Politik, queere Strukturen nicht aufzugeben.

Politiker*innen wie Konstantin Pott (FDP), Janina Böttger (Linke) und Wolfgang Aldag (Grüne) machten deutlich, dass die Politik in der Pflicht sei, die Freiheit und Selbstbestimmung queerer Menschen aktiv zu schützen. Katja Pähle (SPD) betonte die Bedeutung schulischer Aufklärung – auch als Schutzmechanismus gegen rechten Einfluss. Es sei in diesen Zeiten wichtiger denn je, aufzustehen und Gesicht zu zeigen.

Rechte Provokation auf dem Marktplatz

Doch auch auf dem Marktplatz selbst kam es zu einem unangenehmen Zwischenfall. Auf der Westseite versammelte sich eine kleine Gruppe von etwa zehn Menschen, die mit Deutschland- und DDR-Fahnen sowie einem Schild mit der Aufschrift „Free Marla“ provozierten. Unter den Anwesenden waren bekannte Personen aus dem Umfeld des rechtsextremen Aktivisten Svenja Marla Liebich. Die Gruppe rief Parolen wie „Ganz Halle hasst den CSD“ und hatte sich teilweise bereits zuvor in einem Café direkt neben rechtsextremen Demo am Hauptbahnhof platziert. Die Polizei beobachtete die Szenerie, griff jedoch nicht ein – die Gruppe blieb zahlenmäßig zu klein, um die Veranstaltung zu stören.