Es mag wie ein Widerspruch in sich klingen, aber Wolfsburg hatte sich am Samstag ganz schön in Schale geworfen. Die Feierlichkeiten starteten frühmorgens mit einem Legendenspiel, bei dem einige prominente Mittellandkanal-Routiniers mitkickten, unter anderem der verlässliche Roy Präger oder die Brasilianer Grafite und Naldo. Hinterher wurden die Herrschaften in die Wolfsburger Arena kutschiert, wo sie zu Einlaufroutiniers umfunktioniert wurden und die Mannschaften auf den Rasen begleiteten. Zudem wurde ein hübsches Sondertrikot angefertigt, in den Farben Dunkelgrün und Cremeweiß, edel sah das aus. Auch die Heimfans hatten eine aufwendige Choreografie vorbereitet, sie hüllten die Tribünen in die Wolfsburger Vereinsfarben und drapierten standorttypische Begriffe hinzu: Werk. Stadt. Verein.
Kein Zweifel, die Organisatoren und Fans hatten alles in ihrer Macht Stehende getan, um ein nettes und ausgelassenes Vereinsjubiläum zu begehen. 80 Jahre ist der VfL Wolfsburg am Wochenende alt geworden – blöd war da nur, dass die Feierlichkeiten terminlich äußerst ungünstig gelegen waren und mit einem Heimspiel des Wolfsburger Profiteams zusammenfielen. Wobei: Hätte es zu diesem Anlass ein symbolträchtigeres Fußballspiel gegeben als dieses 3:3 gegen den 1. FC Köln?
„Ich fühle sehr viel emotionale Leere“, sagte der Wolfsburger Kapitän Maximilian Arnold. Das klang wie ein zusammenfassender Stimmungsbericht vom Mittellandkanal, wo es in den vergangenen Jahren immer wieder zweierlei zu sehen gab: sedierende Fußballspiele – und viel Mittelmaß. Sogar die grundsätzlich toleranten Wolfsburger Fans waren nach dem Schlusspfiff sichtlich erbost. Kein Wunder. In diesem viel zu langen Fußballspiel, das sich wegen des Unwetters, Pyrorauchs und Videoprüfverfahrens auf eine Spieldauer von mindestens einer halben Ewigkeit auszudehnen schien, wurde den Zuschauern wieder einiges zugemutet. Selten haben sechs Tore weniger Spaß bereitet. Und selten fügte sich ein Nachmittag derart akkurat ins Gesamtbild eines ganzen Fußballvereins – unabhängig davon, dass der Wolfsburger Saisonstart mit fünf Punkten aus drei Spielen zumindest auf dem Papier ganz ordentlich aussehen mag.
Denn beim Weiterblättern stößt man auf besorgniserregende Daten und Fakten. Saisonübergreifend zehn Heimspiele sind die Wolfsburger nun ohne Sieg (sieben Unentschieden, drei Niederlagen); ein vereinsinterner Negativrekord, in dem sich zwangsläufig bitterböse Pointen ansammeln. Am Samstag war es folgende: Den 3:3-Ausgleichstreffer in der 14. Minute der Nachspielzeit, das späteste Tor in der Geschichte der Bundesliga-Statistikerhebung, erzielte – ausgerechnet! – der frühere Wolfsburger Jakub Kaminski, der seit seinem Wechsel nach Köln wieder wie ein absolut erstligatauglicher Fußballer aussieht. An der Qualität der Spieler allein kann’s also nicht liegen. Verschiedenste Trainertypen wurden ausprobiert, zu Saisonbeginn übernahm der smarte Niederländer Paul Simonis. Aber woran liegt es dann?
Immerhin: Mit Blick auf die Feierlichkeiten könne man „leuchtende Augen“ bekommen, sagt Arnold
Eine Antwort auf diese Frage versuchte nach Schlusspfiff Kapitän Arnold zu erörtern, in einem quasi spontan anberaumten Krisengespräch mit einer Führungsperson aus der Wolfsburger Anhängerschaft. Gestik und Mimik nach zu urteilen, war es da nicht gerade zimperlich zugegangen. „Die sind genauso enttäuscht wie wir“, erklärte Arnold hinterher, „vielleicht muss der Frust dann mal von beiden Seiten raus.“ Der Mittelfeldmann, der in der Nachspielzeit einen schicken Freistoßtreffer zum zwischenzeitlichen 3:2 erzielt hatte, klang dabei, als wäre der Prozess des Frustrauslassens bei ihm noch nicht komplett abgeschlossen gewesen. Was verständlich ist, immerhin kennt sich in der Autostadt keiner so gut aus wie der 31-Jährige: Arnold rückte wenige Jahre nach dem Wolfsburger Meistertitel 2009 ins Profiteam des VfL, er hat mit seinem Jugendverein in Mailand und Madrid gespielt und den DFB-Pokal gewonnen.
Mit beeindruckender Verlässlichkeit sind die Wolfsburger nach solchen Höhen aber wieder ins Mittelmaß der Liga zurückgerutscht – nicht zuletzt wegen Fußballspielen wie jenem vom Samstag, in dessen Verlauf Fernsehkommentatoren 80-mal fragen dürfen, wer hier eigentlich der Aufsteiger ist und wer der wohlsituierte Werksklub, der allein für den Kroaten Lovro Majer mehr Geld ausgegeben hat als die Kölner für ihre gesamte Startelf. „Irgendwas haben wir verbrochen“, sagte Arnold noch mit Blick auf die Wolfsburger Gesamtlage. Immerhin: Beim Gedanken an die Feierlichkeiten, sagte Arnold weiter, könne man „leuchtende Augen“ bekommen. In diesem Sinne: alles Beste zum 80. Geburtstag, lieber VfL Wolfsburg!