Die britische Regierung hat nicht festgestellt, dass Israel im Gazastreifen einen Genozid begeht. „Gemäß der Völkermordkonvention liegt das Verbrechen des Völkermords nur dann vor, wenn die konkrete ‚Absicht besteht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören‘“, erklärte Vizepremierminister David Lammy der Nachrichtenagentur Reuters zufolge in einem Brief vom 1. September an einen Parlamentsausschuss. Die Regierung sei „nicht zu dem Schluss gekommen, dass Israel mit dieser Absicht handelt“.
In dem Brief heißt es weiter: „Die hohe Zahl ziviler Opfer, darunter Frauen und Kinder, und die enorme Zerstörung im Gazastreifen sind absolut entsetzlich. Israel muss viel mehr tun, um das Leid, das dieser Konflikt verursacht, zu verhindern und zu lindern.“ Lammy war von Mitte 2024 bis zum vergangenen Freitag Außenminister, bevor er im Rahmen einer Kabinettsumbildung durch Yvette Cooper ersetzt und zum stellvertretenden Premierminister ernannt wurde.
Downing Street betonte laut der BBC am Dienstag, dass dies keine Änderung der britischen Position darstelle. Diese sei weiterhin, dass es Sache internationaler Gerichte sei, zu entscheiden, ob Israel in Gaza einen Völkermord begangen habe oder nicht. Der offizielle Sprecher des Premierministers sagte demnach, Lammys Brief „spiegelt die Position Großbritanniens wider, dass wir zu keinem Schluss gekommen sind, ob in Gaza ein Völkermord begangen wurde oder nicht“.
Genozid-Forscherverband wirft Israel Völkermord in Gaza vor
Die britische Haltung steht im Kontext eines nicht bindenden Gutachtens des Internationalen Gerichtshofs der Vereinten Nationen aus dem Juni 2024, laut dem die israelische Siedlungspolitik in besetzten palästinensischen Gebieten gegen internationales Recht verstößt. Britische Ministerien geben laut einem Guardian-Bericht zufolge an, die Auswirkungen dieses Gutachtens auf die britische Politik noch zu prüfen. Premierminister Keir Starmer hatte Mitte August Pläne angekündigt, im September einen palästinensischen Staat anerkennen zu wollen, wenn Israel bis dahin keine Schritte unternehme, um die humanitäre Krise in Gaza zu lösen.
Under anderem die weltweit größte Vereinigung von Völkermord-Forschern hatte Israel in der vergangenen Woche in einer Resolution vorgeworfen, im Gazastreifen einen Genozid zu begehen. 86 Prozent der Mitglieder der International Association of Genocide Scholars (IAGS) stimmten demnach für die Erklärung. Die israelische Regierung weist die Vorwürfe zurück und beruft sich auf ihr Recht auf Selbstverteidigung.
Bei ihrem Großangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 hatten Kämpfer der Hamas mehr als 1200 Menschen getötet und 251 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Israel geht seither massiv militärisch in dem Palästinensergebiet vor. Dabei wurden nach Angaben der Hamas-Behörden, die nicht unabhängig überprüft werden können, bislang mehr als 64.500 Menschen getötet.
Der israelische Präsident Isaac Herzog wird am Mittwoch zu einem Besuch in London erwartet, wo er voraussichtlich auf Starmer treffen wird.