Am 7. September 1950 begannen Bauarbeiter der DDR mit dem Abriss der Schlossruine im Herzen der bereits geteilten deutschen Hauptstadt. An ihre Stelle sollte ein Aufmarschplatz treten. Der Oberbürgermeister von Ost-Berlin freute sich darüber.

Das Zerstörungswerk konnte gar nicht schnell genug beginnen. Am Mittwoch, dem 6. September 1950, hatte die Volkskammer, das Pseudoparlament der SED-Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, den Regierungsentwurf des „Gesetzes über den Aufbau der Städte in der Deutschen Demokratischen Republik“ beschlossen. Schon einen Tag später begann dessen Umsetzung – mit der Sprengung des Berliner Stadtschlosses.

Friedrich Ebert, Sohn des gleichnamigen ersten Reichspräsidenten und von sowjetischen Gnaden Oberbürgermeister des Ostsektors der geteilten Stadt Berlin, hatte in der Aussprache keine Zweifel gelassen: Die Schlossruine im Lustgarten müsse auf jeden Fall beseitigt werden. „Das Schloss muss fallen“, rief er den Abgeordneten zu, die nichts mehr tun durften als dem Beschluss des DDR-Ministerrates vom 23. August abzunicken.

Damit folgte Ebert der Stimme seines Herrn. SED-Chef Walter Ulbricht nämlich hatte kurz zuvor verkündet: „Das Zentrum unserer Hauptstadt, der Lustgarten und das Gebiet der jetzigen Schlossruine, müssen zu dem großen Demonstrationsplatz werden, auf dem der Kampfwille und Aufbauwille unseres Volkes Ausdruck finden.“

Einwände wischte Ebert beiseite. Dem Dekan der Baufakultät der West-Berliner Technischen Universität, Hans Freese, empfahl er, sich lieber „für die Ächtung der Atombombe“ einzusetzen als für den Erhalt des Stadtschlosses. Auf dessen abgeräumtem Areal, so versprach Ebert, werde am 1. Mai 1951 die „größte Kundgebung in der deutschen Geschichte“ stattfinden.

Freese war nicht allein. Sein Kollege Richard Hamann, Dekan der Kunsthistorischen Fakultät der Humboldt-Universität, vertrat dieselbe Ansicht. „Solange man mir den Mund nicht gewaltsam verschließt, werde ich nicht aufhören, gegen den Beschluss zu protestieren“, hatte er schon im Juli 1950 die Entscheidung der SED kommentiert, das Schloss zu beseitigen.

Ähnlich äußerte sich Johannes Stroux, der Präsident der (Ost-Berliner) Akademie der Wissenschaften: „In Anbetracht seiner europäischen künstlerischen, seiner geschichtlichen, seiner städtebaulichen und sozialgeschichtlichen Bedeutung, in Anbetracht dessen, dass das Schloss ein Zeuge der Berliner Baukunst durch fünf Jahrhunderte ist, wendet sich die Deutsche Akademie der Wissenschaften mit schwersten Bedenken gegen eine etwa geplante endgültige Zerstörung des Schlosses.“

Selbstverständlich warnte auch Ernst Gall, ehemaliger Chef der preußischen Schlösser und 1950 in München Leiter der Museumsabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung, unmissverständlich: „Hier steht wahrhaft zeitlose und große Form vor uns, auch in der Ruine spricht sie noch laut und eindrucksvoll genug. Man sollte sie retten, wiederherstellen. In Berlin aber wird weiterhin gesprengt und eingerissen – die Sprengung des Berliner Schlosses ist ein unbegreiflicher Akt fanatischen Zerstörungswillens, den die Geschichte als sinnlos und frevelhaft verurteilen wird.“

All das änderte nichts: Am 7. September 1950 begannen rund hundert Arbeiter mit dem Abriss. Die ältesten Teile wurden zuerst gesprengt, darunter die Hofapotheke und der „Grüne Hut“, ein Türmchen mit grünem Dach zwischen der Erasmuskapelle und dem Herzoginhaus an der Spree, der zum ursprünglichen Renaissance-Schloss gehört hatte. Aber auch in anderen Gebäudeteilen waren schon Sprengladungen angebracht. Zum Schutz der Sprengungsvorbereitung bewachten DDR-Volkspolizisten jeden Eingang des großen Komplexes.

Den Grundstein für das Schloss hatte 1443 Friedrich II., der Kurfürst der Mark Brandenburg, vor den Toren der Doppelstadt Berlin-Cölln gelegt. In den folgenden gut vier Jahrhunderten kamen zahlreiche Erweiterungen hinzu; vor allem Andreas Schlüter und Johann Eosander von Göthe prägten die Architektur des Schlosses. Mit der 1844 bis 1854 aufgesetzten Stüler-Kuppel bekam der Bau sein Berlin prägendes Äußeres.

Im Zweiten Weltkrieg erhielt das Schloss im Mai 1944 einen ersten schweren Bombentreffer auf der Lustgartenseite. Im Februar 1945, beim Großangriff auf die Innenstadt, brannte der Komplex weitgehend aus. Aber das riesige Bauwerk war weniger zerstört als etwa das Schloss Charlottenburg. Seine Mauern standen weitgehend, beschädigt zwar, aber reparierbar.

Obwohl Karl Liebknecht, Ahnherr der deutschen Kommunisten, vor einem Portal des Schlosses am 9. November 1918 die bolschewistische Revolution ausgerufen hatte (die von den Demokraten in einem monatelang immer wieder aufflammenden Bürgerkrieg niedergeschlagen werden musste), hatte sich Ulbricht auf die Beseitigung der Ruine festgelegt. Unbeirrt von jedem Einwand zog er sein Vorhaben durch.

An seiner Seite: Kurt Liebknecht, der Neffe des 1919 von Freikorps-Kämpfern ermordeten Karl. Als Architekt und Stadtplaner war er 1931 in die Sowjetunion emigriert, 1948 in die entstehende DDR zurückgekommen. Im Auftrag Ulbrichts berechnete er, was man mit dem Areal des Schlosses einschließlich der beiden Freiflächen im Nordwesten und im Südosten, des Lustgartens und des Schlossplatzes, nach Sprengung der Ruine anfangen könne: Die acht Hektar böten zusätzlich zu einer Tribüne für die Parteiführung bei Kundgebungen Platz für 320.000 stehende Personen, nämlich vier pro Quadratmeter und bei Vorbeimärschen für 125.000 Menschen pro Stunde in einer 70 Menschen breiten Kolonne, also bei einer sechsstündigen Veranstaltung für 750.000.

Übrigens distanzierte sich Kurt Liebknecht im August 1990 von der Sprengung des Schlosses. „Die Initiative zum Abriss ging eindeutig von Walter Ulbricht aus, der damals sehr viele Dinge allein entschied, und ich muss sagen, etliche auch falsch“, zitiert der Historiker und Schloss-Experte Christian Walther aus einem Interview mit der „Berliner Zeitung“, dem ehemaligen SED-Bezirksblatt. Weiter sagte Kurt Liebknecht: „In vielen Gesprächen, auch früher schon, habe ich die Meinung vertreten, dass das Schloss auf seinem Standort hätte stehen bleiben müssen. Ich wurde durch die Parteiführung dazu gebracht, beim Abriss mitzumachen, ihm zuzustimmen. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, es war ein großer Fehler.“

Sogar noch weiter geht eine Anekdote, die Wolf Jobst Siedler, der große Kulturbürger, einmal berichtete. Demnach habe Kurt Liebknecht 1950 sogar öffentlich gesagt: „Genossen, ich höre immer, dass die Zwingburg der Junker abgerissen werden müsse. Aber ich habe noch nie einen Junker mit einer Maurerkelle oder einem Hobel gesehen. Genossen, ihr wollt das Werk deutscher Arbeiter zerstören. Das ist unser Schloss, nicht das Schloss der Hohenzollern.“

Es nützte alles nichts: Bis zum 30. Dezember 1950 fielen die letzten Mauern des Schlosses. In den folgenden zehn Wochen gab es noch weitere Sprengungen im Fundamentbereich. Das abgeräumte Areal wurde mit dem Lustgarten, der Schloßfreiheit vor dem ehemaligen Hauptportal und dem Schloßplatz zusammengefasst; der neue Name lautete nun Marx-Engels-Platz.

Am 1. Mai 1951 fand hier zum ersten Mal die zentrale Kundgebung der SED zum Mai-Feiertag statt. Über der Tribüne prangten auf einem riesigen Plakat die Häupter von Karl Marx, Friedrich Engels, Wladimir Lenin und Josef Stalin. Bis 1973 blieb die zunehmend baufällige Konstruktion, natürlich mit abgeteiltem VIP-Teil für die Führung der Partei, stehen, dann entstand hier der Palast der Republik, eine Art Schloss des Ulbricht-Nachfolgers Erich Honecker.

Sven Felix Kellerhoff ist Leitender Redakteur bei WELTGeschichte. Auf dem Schlossplatz, damals Marx-Engels-Platz, stand er erstmals 1985 – und wunderte sich, wie man so unwirtliche Leere inmitten einer Stadt schaffen kann.