Leichter Sprühregen. Über dem Neckartal hängen Dunstwolken, die Luft ist noch kühl. In Isenburg, einem abgelegenen Stadtteil von Horb im Südwesten der Stadt, lässt man es an diesem Samstagvormittag ruhig angehen. Kaum jemand ist auf den Straßen unterwegs. Viel Grün, wenig Menschen, eigentlich die perfekte Ecke, um zu sich zu kommen.
Ingrun und Simon Schmidt genießen den noch müde scheinenden Tag mit einem Becher heißem Kaffee in ihrem alten Bauernhaus, die Kinder sind gerade nicht da oder verreist. Irgendwo kräht ein Hahn. Ansonsten ist diese Ruhe einfach cool, findet der Besucher. Kaum zu glauben, dass Horb nur zehn Minuten mit dem Rad entfernt ist. Und Stuttgart gerade mal eine dreiviertel Autostunde.
Bauernhaus samt Grundstück in Horb
Der Architekt und die Heilpraktikerin haben in die Tat umgesetzt, wovon viele Menschen träumen. Die Familie hat eine Alternative gesucht und gefunden – zur Enge und zum Lärm der Stadt. Aus dem Zentrum Stuttgarts hinein in ein dorfähnliches Idyll. Im Jahr 2022 haben die Schmidts das Bauernhaus samt Grundstück entdeckt und gekauft, eine Anzeige auf einem Immobilienportal, nach langer Suche. Zunächst hatte man ruhiger gelegene Objekte in Ballungsraum Stuttgart besichtigt, doch die aufgerufenen Preise selbst für Wohnungen waren niederschmetternd. Also erweiterte man den Radius.
Stuttgart ist nichts für schwache Nerven
Die Schmidts wohnen mitten in der City Stuttgarts, ihre Wohnung bildet bis heute den Lebensmittelpunkt der Familie. Doch der Geräuschpegel selbst in den Nächten hat in den letzten Jahren gefühlt zugenommen. Irgendwo ist immer eine Party oder fühlt sich jemand bemüßigt, den Mitmenschen lautstark sein momentanes Gefühlsleben kundzutun, und zwar an sieben Abenden die Woche. Man muss als Bewohner der Stuttgarter Innenstadt schon gute Nerven haben. Gute Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung. Oder einen Zweitwohnsitz.
Haus und Hof der Stuttgarter Bauherrenfamilie Schmidt in Horb am Neckar. Foto: S. Schmidt
„Für mich war klar, dass wir das machen“, sagt Simon Schmidt. „Es war das zweite Bauernhaus, das wir uns angeschaut haben.“ Schmidt ist ein erfahrener Architekt, der wusste, was auf ihn und seine Partnerin zukommen würde – denn das Paar wollte vieles in Eigenregie sanieren. Dazu muss man wissen: das Bauernhaus stammt aus dem Jahr 1829. Als die Schmidts das Objekt gekauft haben, stand es schon seit drei Jahren leer. „Drinnen, in der Scheune, lag sogar noch Heu“, erinnert sich Ingrun Schmidt.
Eine Herausforderung für das Stuttgarter Paar
Zwar war sofort klar, dass an Haus und angrenzender Scheune vieles, um nicht zu sagen: alles gemacht werden müsste. Die Elektroinstallation war völlig veraltet. Das Dach musste neu gedeckt, die Fenster und Türen ersetzt, die Balken des Fachwerks begutachtet und stellenweise ausgetauscht, die Fassade energetisch mit ökologischem Material gedämmt, eine neue Heizungsanlage samt Rohren und Heizkörpern für die Bodenheizung installiert werden.
Ganz zu schweigen von der Gestaltung der Inneneinrichtung. Das kostet Zeit, viel, viel Geld, noch mehr Ausdauer und Geduld. An solch einem Projekt können Menschen verzweifeln, Beziehungen scheitern. Doch die Schmidts sehen trotz der immensen Anstrengungen glücklich aus – wie ein Paar in den Flitterwochen. Die beiden strahlen förmlich und fühlen sich sichtlich wohl in Ihrem schmucken Hideaway.
In Stuttgart arbeiten – und am Wochenende sanieren
Dabei hat das Paar zahllose Wochenenden auf der Baustelle ihres Bauernhauses in Horb verbracht, denn beide sind in Stuttgart voll berufstätig, und die Kinder gibt es ja auch noch. Ein echtes Familiending, keine Frage, so ein Projekt kann Spaß machen, auch allesamt zusammenbringen, wenn alle mitanpacken, doch der Risiken muss man sich von Anfang an bewusst sein.
„Die Sanierung eines dermaßen alten Hauses setzt eine detaillierte Planung voraus – und man sollte keine Angst vor Überraschungen haben“, relativiert Simon Schmidt. „Bei der Besichtigung muss man auf vieles achten. Die Substanz sollte einigermaßen gut sein, klar. Aber auch die unmittelbare Umgebung, der Zustand der Straßen, des Hofes sowie der Nutzgebäude spielt eine wichtige Rolle.“
Das Fachwerk konnt erhalten werden
Gut ist auch, wenn man sich auskennt, vor der aufwändigen energetischen Sanierung der Außenhülle einen Energieberater hinzuzieht, der gleichzeitig Bauphysiker ist. Das Fachwerk wurde komplett freigelegt, alle Steine entfernt und eine spezielle zehn Zentimeter dicke ökologische Innendämmung eingezogen, die dann wieder von innen und außen verputzt wurde. So konnte das Fachwerk erhalten werden, ohne dass man beim Heizen eine Zeitreise in die Vergangenheit antreten muss. „Energetisch entspricht unser Haus dem Neubaustandard“, erklärt Simon Schmidt und zeigt auf die Wärmepumpe.
Apropos Überraschungen: Bei der Ertüchtigung von alten Gebäuden weiß man nie, was nach Jahrzehnten, gar nach Jahrhunderten wieder zum Vorschein kommt. So schlummerte in der alten Stube hinter der grauslichen abgehängten Decke der originale Holzplafond. Ein Glücksfall. In solch einem Fall ist man Archäologe, ein anderes Mal ist man Restaurator und Interior Designerin. „Die alte Leiter ist jetzt die Brüstung für das Schlafzimmer“, sagt Ingrun Schmidt lachend. Selbst drei, vier der übrig gebliebenen Ochsengespanne konnten zu schicken Halterungen für die Leuchtkörper umfunktioniert werden.
Reduzierte Ästhetik trifft auf Vintage
Dass aber kein falscher Eindruck entsteht: die Schmidts sind keine verschrobenen Antiquitätensammler, die ihr dreistöckiges Landhaus in ein Museum für bäuerliches Leben im 19. Jahrhundert verwandelt haben. Nein, die beiden haben ein Faible für eine reduzierte Ästhetik, alles ist hell, luftig, die Möblierung bleibt sehr dezent, manch ein Vintage-Möbel – die Stuhlgruppe zum Beispiel – ist ein Fundstück auf dem Internetportal Kleinanzeigen.
Das Stuttgarter Bauherrenpaar Simon und Ingrun Schmidt im umgebauten Domizil. Foto: Privat
Das so komponierte Raumgefühl ist dafür einfach großartig, vor allem im knapp fünf Meter hohen Wohnzimmer. Wenn man sich hier mit dem Kopf im Nacken um die eigene Körperachse dreht, erkennt man erst, warum so viel Tageslicht in die gute Stube gelangt: viele Fenster! Mit Sprossen. Groß. Zur Straßenseite auch bodentief. In der Decke sowieso. Insgesamt wurden im ganzen Gebäude 40 Fenster verbaut. Alles mögliche wurde in Eigenregie erledigt.
„Alle Türen haben wir selbst eingebaut“, sagt Ingrun Schmidt, die offensichtlich mit handwerklichem Talent gesegnet ist und keine Angst vor Do-it-yourself-Videos kennt. So hat die Bauherrin die Paneele in der Gästetoilette eigenhändig eingebaut, und was soll man sagen: das sieht wirklich professionell aus. Auch wenn es im Anleitungsfilm auf Youtube nur einen Tag gedauert hat – und Ingrun Schmidt für die Anbringung fünf Tage benötigt hat, wie sie selbstkritisch anmerkt.
Den Bestand weiterdenken
Egal, der Aufwand hat sich gelohnt. Das Bauernhaus ist wohnlich, gemütlich, stylisch. Nach der Sanierung sind es nun 240 Quadratmeter Wohnfläche – statt 100 Quadratmeter zuvor. „Unser Ziel war es, den alten Bestand nicht nur zu restaurieren, sondern die komplette Grundstruktur weiterzudenken“, sagt Simon Schmidt.
Klar, es gibt noch viel zu tun in Horb am Neckar. Der Garten. Ein weiteres Nutzgebäude auf dem leicht abschüssigen Grundstück. Die Naturhecke. Viel Arbeit, aber auch viel Lust auf Land. Ob in der heißen Sommersonne oder bei Sprühregen und unter kühlen Nebelschleiern. Und nicht selten fragen sich die Schmidts nun, ob sie an dem einen oder anderen Sonntagabend wieder zurück in ihre Wohnung in der nervösen Stuttgarter City zurückwollen.