Kiel. „Ich habe immer alles dafür getan, meinen Traum zu verwirklichen“, sagt Leah Harding. Sie war strebsam und fleißig und damit eine der Schnellsten und Besten. In Kronshagen bei Kiel machte sie ihr Abitur mit der Note 1,5 und begann in Hamburg, Psychologie zu studieren.
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Schon ab der achten Klasse habe sie gewusst, dass sie als Therapeutin Menschen helfen will. Vor zwei Jahren schloss die heute 27-Jährige ihr fünfjähriges Studium mit dem Master of Science in klinischer Psychologie und Psychotherapie ab. Note: 1,2. Anschließend bestand sie erfolgreich die staatliche Approbationsprüfung.
Die Absolventen sind arbeitslos, Ausbildungsinstituten droht das Aus, Therapieplätze fallen weg
Beste Voraussetzungen also, um im Beruf durchzustarten. Doch es folgte die große Ernüchterung: Es gibt quasi keine Jobs für ihren Uni-Abschluss. Erst arbeitete sie als Psychologin in der Diagnostik und Beratung. Aber es fehlte die Perspektive. Heute ist sie arbeitslos, bewirbt sich und hängt in der Warteschleife. Kein Einzelfall. Wie Leah Harding geht es nahezu allen Absolventinnen und Absolventen ihres Fachs in ganz Deutschland.
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Denn: „Dieser Abschluss wurde nur dafür geschaffen, dass man in die Weiterbildung geht“, erklärt sie. Hintergrund ist eine bundesweite Reform der Psychotherapeuten-Ausbildung aus dem Jahr 2020. Die Ausbildung wurde umstrukturiert, mit einem neuen Studiengang und eben dieser anschließenden Weiterbildung. Allerdings hat die Bundespolitik deren Finanzierung bis heute nicht geregelt. Folge: Die Absolventen haben keinerlei Berufsaussichten, die Ausbildungsinstitute drohen zu schließen, und trotz großer Versorgungslücken fallen Therapieplätze weg.
Jährlich Tausende Absolventen auf der Suche nach einer Weiterbildung als Psychotherapeut
Als Leah Harding ihr Studium in Hamburg begann, war die Reform noch kein Thema. Doch nach ihrem Bachelor stand sie vor der Wahl, ob sie nach dem alten System weitermachen oder ins neue wechseln möchte. Bei dem alten System hätte sie nach dem Studium für die jahrelange Fortbildung 20.000 bis 30.000 Euro bezahlen und für ein Praktikantengehalt arbeiten müssen. Die Reform sollte diesen Missstand beheben: In der neuen Weiterbildung sollen die Teilnehmer wie bei der Facharztausbildung angemessen verdienen.
Doch es fehlen die Mittel. Nur wenige Institute bieten Weiterbildungsplätze an. Nach Schätzungen der Bundespsychotherapeutenkammer sind es insgesamt weniger als 100 Plätze bundesweit. Auf einen solchen Platz hofft Leah Harding – und mit ihr viele andere, denn der alte Ausbildungsweg läuft aus: 2024 schlossen bundesweit 400 Absolventen den neuen Studiengang ab. 2025 rechnet die Kammer mit weiteren 1000 Studienabgängern und ab dem Jahr 2026 jährlich mit 2500 Absolventen – alle auf der Suche nach einer Weiterbildungsstelle.
„Das ist es, was mich so stresst“, sagt Leah Harding. „Es werden von Semester zu Semester mehr Bewerber. Und selbst wenn alle Weiterbildungsinstitute Plätze anbieten, würde es nie für alle reichen.“
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Zwar sind alle Absolventen approbiert. „Aber uns fehlt noch die Fachkunde – beispielsweise in Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse oder tiefenpsychologischer Therapie. Daher dürfen wir nicht als Therapeuten arbeiten, außer in der Weiterbildung.“ Erst anschließend sei es den Therapeuten erlaubt, Patienten zu behandeln, in Praxen, Kliniken und Ambulanzen zu arbeiten und mit den Kassen abzurechnen.
„Ich bin ja schon 27 und will auch irgendwann mal fertig werden“
Die Psychotherapeutenkammer prognostiziert: „Wenn es nicht zu einer baldigen gesetzlichen Regelung für die Finanzierung der Weiterbildung kommt, wird es spätestens Anfang der 2030er-Jahre nicht mehr genügend Psychotherapeuten geben, die die Praxen der altersbedingt ausscheidenden Kollegen und Kolleginnen oder leitende Funktionen in Krankenhäusern übernehmen können.“
Leah Harding appelliert an die Bundesregierung, die Finanzierungsfrage schnell zu lösen. „Ohne Weiterbildung bin ich nichts Halbes und nichts Ganzes“, sagt sie. Je später sie mit der Weiterbildung starte, desto schwieriger werde es, denn: „Eine fünfjährige Vollzeitweiterbildung ist gar nicht so leicht mit der Familienplanung zu vereinbaren.“
Die Zeit rennt: „Ich bin ja schon 27 und will auch irgendwann mal fertig werden, will mich niederlassen, mich selbstständig machen. Das rückt gerade immer weiter in die Ferne. Und das ist frustrierend.“
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Trotz allem bleibt es ihr großer Wunsch, „Menschen zu helfen, sie als Psychotherapeutin in eigener Praxis zu therapieren“. Deswegen bewirbt sie sich weiter. „Sollte ich von den Instituten aber nur Absagen bekomme, dann muss ich mich umorientieren. Ich bin mir sicher, dass ich einen anderen Job finden werde“, sagt sie selbstbewusst. Glücklich macht sie das allerdings nicht: „Denn es wird nicht der Job sein, für den ich das alles gemacht habe.“
KN