Es beginnt noch recht ruhig. Zu den Klängen von „Bela Lugosi’s Dead“ schauen die Schauspieler hinter einem Gitter hervor und erzählen, worauf sich das Publikum an diesem Abend einstellen kann: Trostlos ist das Dorfleben in den späten Siebzigern. Was tun, als Teenager in einem Ort ohne Vorbilder und ohne Identität?
Punk werden. So wie Rocko Schamoni. Der Musiker und Schriftsteller aus der Hamburger Schule hat seine Jugendjahre schon 2004 in „Dorfpunks“ autobiografisch niedergeschrieben. Regisseur Helge Tramsen hat sich des Werks angenommen und es in ein lautstarkes, abwechslungsreiches Stück mit einer guten Prise Ironie verwandelt. Dieses feierte nun im Schnürschuh-Theater Premiere.
Von der Theater-Bühne zum Konzertsaal
Der Schauplatz: Kühe, Dörfer, Norddeutschland: Das ist das Leben des jungen Schamoni in einem 5000-Seelen-Dorf in der Nähe von Kiel. Viele kurzweilige Szenen führen in 90 Minuten durch Schamonis junge Jahre. Es geht um nächtliche Mofa-Fahrten, Großstadtabenteuer in Berlin-Kreuzberg und eine Töpferausbildung mit Starbesuch. Dazwischen streuen die Schauspieler immer wieder Lieder von Schamonis Bands ein, was den Theatersaal zeitweise zum Klub werden lässt. Nur selten durchbrechen ernste Szenen die wilden Momente. Mal geht es um Sinnkrisen, mal um Jagdszenen mit den örtlichen Nazis.
Die Schauspieler: Die autobiografische Erzählung und die Figur des Rocko Schamoni auf drei Darsteller aufzuteilen, ist ein gelungener Kniff. Dabei ergänzen sich Pascal Makowka, Ulrike Knospe und Holger Spengler oft ohne Atempause, fallen sich ins Wort oder werfen sich mit Bierdosen ab. Makowka spielt den Schamoni immer dann, wenn die beiden anderen Darsteller Nebencharaktere übernehmen. Meist verkörpert er den mürrischen Teenager und verleiht der Figur dabei viel Farbe. Ulrike Knospe – erst als Hardrockerin im Kiss-T-Shirt, später als Punkerin in Leggins und mit blau gefärbten Haaren – glänzt dabei in den ruhigen Szenen, ebenso als schrille und übertrieben optimistische Mutter.
Aus der Band und Teenie-Clique kommt außer Schamoni niemand zu Wort. Viele der prägenden Nebenfiguren wie ein weltfremder Guru oder ein tumber Dorfnazi werden von Holger Spengler hervorragend gespielt – mit expressiver Mimik, großer Dialektvielfalt und hohem komödiantischen Timing. Alle drei Akteure sorgen für durchgehend gute Stimmung im Publikum.
Minimalistische Beleuchtung: Bei der Mofafahrt im Schnürschuh leuchten die Strahler ausnahmsweise in die andere Richtung.
Foto:
Thomas Tiensch
Das Bühnenbild: Vier verschiebbare Maschengitter dienen wahlweise als elterliches Landhaus, als Absperrgitter beim Großkonzert oder als Gefängniszelle. Das Set mit Bass, Gitarre und Schlagzeug könnte eins zu eins in jedem Proberaum stehen. Mehr braucht es für Punk nicht, zumal sich das Becken eines Schlagzeugs auch wunderbar als Töpferscheibe zweckentfremden lässt. Wenn die drei Schauspieler nicht gerade eigene Versionen zum Besten geben, fangen sie die Musik der damaligen Zeit stilecht ein. Sid Vicious liefert mit „My Way“ den ruppigen Part der Identitätsfindung, und die Specials lassen mit „Ghost Town“ die passende Dorf-Kulisse entstehen. Das Licht wird dezent eingesetzt, etwa als Scheinwerfer einer nächtlichen Mofa-Aktion. Besonderer Höhepunkt: ein vollbeleuchteter Discokugel-Helm.
Mit einer eigenen Version von „Für immer Punk“ von den Goldenen Zitronen endet die Aufführung. Dabei versagt die Gitarre – ob beabsichtigt oder nicht, ist nicht ganz klar – und wird kurzerhand zur Seite geworfen. Ganz im Stil der Punkwelle, die Ende der 70er in England hochschäumte und 1983 in Deutschland verebbte. Laut, kurzweilig und nie zu ernst.
Info
„Dorfpunks“ läuft im Schnürschuh-Theater Bremen wieder am 26. und 27. September sowie am 4., 11. und 30. Oktober. Beginn ist um 19.30 Uhr, Karten gibt es bei Nordwest-Ticket und unter www.schnuerschuh-theater.de