Die Anklage wegen Vergewaltigung und schweren sexuellen Missbrauchs war gerade verlesen worden, als Richter Alexander Schräder den Angeklagten am Wuppertaler Landgericht am Montag bat, etwas über sich zu erzählen. Der 22-jährige Deutsch-Türke soll zwei Cousins über Jahre hinweg sexuell missbraucht und die Taten mit dem Handy gefilmt haben.
Noch während die Staatsanwältin die Anklageschrift verlas, sackte der junge Mann auf der Anklagebank in sich zusammen. Die Eltern der beiden Opfer verließen den Saal, sie wollten sich die Details der Taten nicht anhören. Als er dann endlich über sich selbst sprach, brach der Angeklagte weinend zusammen. Der Vorsitzende unterbrach die Verhandlung, ein Notarzt wurde gerufen. Lange war nicht klar, wie es weitergehen sollte im Prozess. Eine knappe Stunde später wurde die Verhandlung fortgesetzt – der Angeklagte, so war es vom Vorsitzenden zu hören, habe hyperventiliert.
Dem Zusammenbruch vorausgegangen waren Schilderungen des Mannes, der offenbar selbst als Kind über Jahre sexuell missbraucht wurde. Das sei, so Verteidigerin Sandra Doelfs, in Anbetracht eigener Missbrauchserfahrungen „eine schwierige Aussagesituation“ für ihren Mandanten. Auch bei ihm soll es ein Familienangehöriger gewesen sein, der ihn zu sexuellen Handlungen gedrängt haben soll.
Ähnliche Vorwürfe standen nun auch in der Anklageschrift, die seine eigenen Taten auflistet. Warum er sich damals niemandem anvertraut habe, wollte der Richter von dem Mann wissen. Er habe es nicht gekonnt, er habe sich geschämt. Der Verwandte, der ihn missbraucht haben soll, habe gesagt, das sei normal unter Cousins, er solle ihm vertrauen und einfach machen, was er sage.
Einen psychiatrischen Gutachter hatte das Gericht nicht hinzugezogen, an der Schuldfähigkeit des 22-Jährigen bestand offenbar kein Zweifel. Was die Anklage jenseits der Tatvorwürfe nun zu dem auflistete, was der Solinger mit seinen anfangs drei und sechs Jahre alten Cousins getan haben soll, wirft Fragen auf. Auf den Aufnahmen, die er selbst mit dem Handy gefilmt hatte, waren Stimmen von Frauen und einem weiteren Kind zu hören, offenbar nicht weit entfernt. Bei den Taten „ertappt“ zu werden, scheint der Angeklagte dennoch nicht befürchtet zu haben. Die Opfer sollen währenddessen mit einem Handy gespielt und sich nicht bemerkbar gemacht haben.
In der Anklageschrift war die Rede von 20 Tatvorwürfen über sechs Jahre hinweg bis hin zum Vorwurf der Vergewaltigung. Die Kammer hatte auch darüber zu entscheiden, ob aufgrund des Alters des Angeklagten noch das Jugendstrafrecht zur Anwendung kommt.
Um das beurteilen zu können, wurde auch eine Jugendgerichtshelferin gehört. Nach dem Zusammenbruch des Angeklagten hatte der Vorsitzende die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen. Nach der Beweisaufnahme verkündete die Kammer das Urteil: Der 22-Jährige muss drei Jahre in Jugendhaft.