Flugzeuge, die erst nach Mitternacht Berlin erreichen, sollen trotz Nachtflugverbot am BER landen dürfen. Das fordert neben der Fluggesellschaft Ryanair jetzt auch die Flughafenchefin. Doch Politik, Behörden und Nachbargemeinden halten dagegen. Von Thomas Bittner
Es ist das Szenario, das sich kein Passagier nach einem Städtetrip oder einem Badeurlaub wünscht. Wenn ein Flugzeug wegen schlechten Wetters oder Verzögerungen bei der Abfertigung verspätet Richtung Flughafen BER startet und deswegen erst kurz nach Mitternacht in der Region eintrifft, wird der Flieger am BER abgewiesen.
Statt in Schönefeld (Dahme-Spreewald) bei Berlin landen die Maschinen dann in Hannover oder Leipzig. Mitten in der Nacht geht es dann drei Stunden per Bus von dort zum Berliner Airport. Manche dieser Busfahrten ist länger als der Flug. Erst vergangene Woche strandete ein Eurowings-Flug aus Mallorca in Niedersachsen. Häufiger werden auch Ryanair-Maschinen in der Nacht umgeleitet.
Das Ryanair-Management kritisiert vor allem die Gemeinsame Obere Luftfahrtbehörde Berlin-Brandenburg (LuBB) wegen ihrer starren Haltung. Die Behörde ist für die Einhaltung des Nachtflugverbots zuständig. Sie kann im Einzelfall auch über Ausnahmen entscheiden.
Koalitionen in Berlin und Brandenburg streiten über Nachtflugverbot
Nachts dürfen am Flughafen BER keine Maschinen landen. Die Anwohner haben dann Ruhe, Airlines stöhnen jedoch über Umwege. Während der Berliner Regierungschef auf Lockerungen drängt, diskutiert Brandenburg eine Ausweitung der Verbotszeiten.mehr
Abgestuftes Nachtflugverbot
Von 22 Uhr bis 6 Uhr gilt ein abgestuftes Nachtflugverbot am BER. Was nicht heißt, dass in dieser Zeit gar keine Flugzeuge in Schönefeld starten oder landen dürfen. Nach 22 Uhr abends dürfen – wenn überhaupt – nur lärmarme Jets fliegen, bis 23:30 Uhr sind aber planmäßige Flüge gestattet. Die letzte halbe Stunde des Tages ist für „Verspätungen und Verfrühungen“ reserviert. Ab Mitternacht bis 5 Uhr ist der BER für reguläre Passagierflüge tabu. Nur die Regierungsflotte, Postflugzeuge oder Ambulanzflieger dürfen dann starten und landen. Ab 5 Uhr morgens beginnt mit den gleichen Einschränkungen wie vor Mitternacht der Flugverkehr wieder, ab 6 Uhr gibt es keine Einschränkungen.
Dass der Himmel über Berlin Punkt Mitternacht geschlossen wird, ist zum Streitfall zwischen Airlines, Flughafen und Luftfahrtbehörde geworden. Der deutsche Ryanair-Kommunikationschef Marcel Meyer spricht von veralteten und diskriminierenden Regelungen. „Es wäre wesentlich vernünftiger und auch umweltfreundlicher, den Fluggesellschaften eine angemessene Flexibilität zu gewähren, um in vertretbarem Maße nach Beginn des Nachtflugverbots noch in Berlin landen zu dürfen“, so Meyer in einer Pressemitteilung.
Die Fluggesellschaft Ryanair kritisiert zudem die deutsche Luftverkehrssteuer, die hohen Kosten für Luftsicherheitskontrollen und die angeblich schlechte Qualität deutscher Fluglotsen. Die Kritik an der Luftfahrtbehörde Berlin-Brandenburg reiht sich in diese Polemik ein. Ryanair erhöht den Druck – demnächst sollen vom BER aus sechs Strecken weniger angeboten werden als bisher.
Ryanair streicht Flüge vom BER
„Die Airlines wandern dann ab“
Jetzt bekommt Ryanair Rückendeckung von der BER-Chefin. Aletta von Massenbach, die Vorsitzende der Geschäftsführung, sagte in einem Interview mit der „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ [Bezahlinhalt], sie könne den Wunsch nach einer Lockerung der Nachtflugregeln verstehen. Andere Flughäfen seien viel kulanter. „Ryanair kostet das viel Geld, weil alles durcheinandergerät, wenn der Flieger abends nicht in Berlin in die Garage kommt und am nächsten Morgen nicht wieder losfliegen kann“, sagte sie. „Als Folge wandern die Airlines dann vom BER ab.“
Für die Brandenburger SPD kommt der Appell der Flughafen-Chefin überraschend. Ludwig Scheetz, flughafenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, sagte dem rbb: „Die Region trägt die gesamte Last des Hauptstadt-Flugverkehrs weg. Jede Aufweichung der lärmmindernden Maßnahmen ist schwierig.“ Der Politiker, der auch seinen Wahlkreis im Flughafen-Umfeld hat, erinnert an den Koalitionsvertrag. Dort ist verabredet, dass sich die Koalition sogar für ein komplettes Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr einsetzt.
Eine Änderung der Nachtflugregeln muss zwischen Brandenburg, dem Land Berlin und dem Bund verabredet werden. Nur Brandenburg steht derzeit für die Ausweitung des Verbots.
BER-Chefin zur Präsidentin des Flughafenverbands ADV gewählt
Keine Ausnahmen nach Null Uhr
Die Berlin-Brandenburger Luftfahrtbehörde begründet ihre strikte Haltung mit dem Planfeststellungsbeschluss des Flughafens. In der Regel gebe es keine Ausnahmen für Zeiten nach 0 Uhr, weil ja bereits die halbe Stunde vor Mitternacht in den Verfahren zur Planfeststellung für Verspätungen berücksichtigt und genehmigt wurde. „Flüge, die beispielsweise nach Null Uhr landen wollen, haben also mindestens 30 Minuten Verspätung, in der Regel aber noch mehr, da ihre geplante Landezeit vor 23:30 Uhr liegen muss“, erläutert die Behörde am Montag auf rbb-Anfrage.
„Null Uhr ist Null Uhr“, sagt auch der Bürgermeister von Blankenfelde-Mahlow, Michael Schwuchow (SPD). Die Gemeinde ist am stärksten vom Fluglärm betroffen, weil sie im Westen des Flughafens liegt und zwei Drittel der BER-Flüge in dieser Richtung starten und landen. Viele Menschen im Ort haben sich mit der Lage arrangiert. Aber für eine Ausweitung der Start- und Landezeiten hat hier keiner Verständnis. Der Planfeststellungsbeschluss sei mehrfach gerichtlich bestätigt worden, erklärt Schwuchow dem rbb. Eine „butterweiche Augenmaß-Regelung“ für Ausnahmen in der Kernnachtzeit sei da schwer einzuarbeiten. Die Gemeinde würde sich auch gerichtlich dagegen wehren, wenn die bisherige Praxis aufgeweicht würde.
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Flugpläne besser eintakten
Es gehört zum Geschäftsmodell der Ryanair, dass ihre Maschinen möglichst oft abheben. So erklärt sich der straffe Flugplan, der dafür sorgt, dass die Jets der Airline am Tagesende oft gegen die Uhr fliegen müssen.
Doch die Brandenburger Landesregierung will sich nicht von einer Fluggesellschaft unter Druck setzen lassen. Der zuständige Infrastrukturminister Detlef Tabbert (BSW) kontert: Es sei fast nur die Ryanair, die von den Umleitungen betroffen sei. „Wenn die Mehrheit der Airlines in der Lage ist, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten und ein Carrier immer an die Randzeiten herankommt, dann sollte er sich fragen, wie er seine Flugpläne so eintaktet, dass er in der Regel diese Zeiten realisieren kann“, sagt Tabbert im rbb-Interview. In der Abwägung zwischen den Gesundheitsinteressen der Bevölkerung und den kommerziellen Interessen von Ryanair sei die Antwort: „Wir werden das Nachtflugverbot einhalten!“ Auch über einen Nachtausweich-Flugplatz für Zuspätkommer – etwa in Neuhardenberg – werde in der Landesregierung nicht weiter nachgedacht. Anfang September hatte Tabbert noch angekündigt, eine solche Option prüfen zu wollen.
Dass manch eine Flugreise in der Nacht mit einer Bustour quer durch Deutschland endet, wird also voraussichtlich auch in Zukunft zu den BER-Erlebnissen gehören.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 15.09.2025, 19:30 Uhr