Wie eng mitunter die Verhandlungsspielräume des kleinen Mannes mit höheren Mächten sind, erfahren die Zuffenhausener gleich zum Start ihres Spaziergangs mit dem Oberbürgermeister. Auf dem Vorhof der in besseren Zeiten blitzsauber sanierten Zehntscheuer gibt Frank Nopper eine Anekdote zum Besten: Als Bub habe er sich im Lager der Eisenwarenhandlung „Zahn-Nopper“ in Zuffenhausen, gegründet 1816 von seinem Ur-Großvater, etwas dazu verdient. 5 Mark die Stunde gab es dafür. Als er mit Verweis auf jene 6 Mark Stundenlohn, die der Modehändler C&A damals zahlte, eine Gehaltserhöhung von der Tante forderte, sagte die: „Dann gehsch halt zum C und A.“ Verhandlung beendet.

Ungefähr ein halbes Jahrhundert später ist es Frank Nopper, der seine Stuttgarter bei einer Sommertour durch zehn Stadtbezirke auf den Boden der finanziellen Tatsachen holen muss. Nicht so knallhart wie die Tante seinerzeit, aber doch bestimmt, darüber können der schwäbische Deminutiv („Wir müssen a bissle sparen!“) oder die eine oder andere Floskel („Gut Ding will Weile haben“) nicht hinwegtäuschen.

630 Millionen müssen im Haushalt gespart werden

Abhilfe für kaputte Wege, hässliche Plätze, marode Feuerwehrmagazine, zu kleine Schulen. Zuschüsse zu Vereinshallen, Stadtteilfesten oder Jugendzentren. Vieles könnte im gähnenden Haushaltsloch verschwinden oder stark abgespeckt werden. 630 Millionen sollen im kommenden Doppelhaushalt gespart werden. Wobei Nopper nicht verhehlen will, dass ob dieser Summe auch die „Rasenmähermethode“ zum Einsatz kommen muss.

Eine typische Sommertour-Szene, in diesem Fall aufgeschnappt in Botnang, geht dann so:

Die Gruppe kommt an der Franz-Schubert-Grundschule an, gut 100 Jahre alt.

Nopper: „Schöner Steinsockel, solide gebaut.“

Ein Mitarbeiter des Schulverwaltungsamtes referiert, was ab 2029 gemacht werden sollte, unter anderem: Kantinenneubau, Hallensanierung, größere Räume, Heizung erneuern.

Nopper: „Was soll das kosten?“

Antwort: „30 Millionen.“

Nopper: „Das steht natürlich unter Haushaltsvorbehalt.“

Die mitspazierenden Bürger – das sei gleich gesagt – nehmen diese Sparansagen ähnlich schicksalsergeben hin wie der junge Frank seinerzeit den unverhandelbaren Stundenlohn.

Die sommerlichen Besuche in den Stadtbezirken sind eine Erfindung der Nopper-Amtszeit. Beim ersten Mal eilte der OB durch alle 23 Stadtbezirke, teils drei an einem Tag. In diesem Jahr besucht er nur die Hälfte, die andere ist 2026 dran. Er will mehr Zeit haben, näher ran an die Leut’, die Freuden und Beschwernisse ihres Alltags. Deshalb gibt es nach den eineinhalbstündigen Spaziergängen zu mal schönen, mal neuralgischen Stadtmarken einen geselligen Ausklang mit „Open End“, allerdings das Viertele auf eigene Kosten.

In der Theorie sind die Touren wohl auch ein Versuch, in Zeiten erodierenden Politikvertrauens und einer digitalen Mauler-Kultur gegen „die da droben“ wieder buchstäblich Boden gut zu machen, einen „direkten Draht“ der Bürger in die Stadtverwaltung und umgekehrt zu legen, wie der OB das formuliert. Praktisch führen sie Frank Nopper in die lokalen Befindlichkeiten und Identitäten zwischen kaputten Haltestellenuhren, fehlenden Mülleimern und „läschtigen“ Baustellen – so vielen Baustellen! Zwischen Backhäusle-Nostalgie in Alt-Heumaden und Spielhallen-Elend am Bahnhof von Zuffenhausen. Weshalb man auf diesen Terminen, von denen unsere Zeitung vier begleitet (Botnang, Bad Cannstatt, Zuffenhausen, Sillenbuch) einen generellen Eindruck bekommen kann, wie das gesprächstechnisch so läuft zwischen dem Oberbürgermeister und seinen Stuttgartern.

Gehwegnasen contra Parkplätze

Auftakt also in Botnang mit zunächst rund 40 Bürgerinnen und Bürgern. Später werden etwa 60 Feuerwehrler „and friends“ dazu stoßen, um auf die schimmligen Duschen und das kaputte Dach ihres hinfälligen Magazins hinzuweisen.  Zunächst aber baut sich in der Ortsmitte die von anderswo bekannte Front unter den Spaziergängern auf. 30 bis 40 Parkplätze sollen einem Radweg, Gehwegnasen und Bäumen weichen. „Wo sollen die Leut noch parken, in ihrer Wohnung?!“, fragt süffisant eine Frau. Und Frank Nopper ergreift die Gelegenheit, eine politische Botschaften samt Spitze gegen seine Verwaltung zu platzieren: „Der Rückbau von Parkplätzen muss Grenzen haben!“. Er sieht da mitunter ein „stadtplanerisches Wolkenkuckucksheim“ am Werk. Die Bezirksvorsteherin kann gerade noch drauf hinweisen, dass diese Planung ein Auftrag des demokratisch legitimierten Bezirksbeirats sei. Dann muss man weiter, der nach einem Brand nebenan bald wieder eröffnende Edeka-Markt will auch noch besucht werden.

In der Unterländer Straße Zuffenhausen beklagen Bürgerinnen und Bürger unter anderem überhöhte Geschwindigkeit und fehlende Mülleimer. Foto: LICHTGUT

Ohnehin sind die Stadtspaziergänge nicht auf Tiefenbohrungen oder feste Zusagen des OBs angelegt. Auf die wichtigen Haltepunkte ist er mit Zahlen und Fakten vorbereitet, wobei er erstaunliches Detailwissen offenbart, etwa, dass der Heumadener Liederkanz 1891 gegründet wurde, also „zwei Jahre vor dem VfB“. Aber wenn Bürger wissen wollen, ob die Spielcasinos am Zuffenhauser Bahnhof Bestandsschutz haben oder wie viele Kitaplätze es grad im Hallschlag gibt, dann muss der OB verständlicherweise passen. „Bitte mitnehmen“, heißt es dann zu seinen Mitarbeitern oder „Neue Landesverordnung zu Schulstraßen? Der Sache muss ich nachgehen!“ Man werde es dann „an die zuständigen Stellen in der Stadtverwaltung weitergegeben“, die es dann bearbeiten .

Es ist eher ein kurzes Dasein, Ohrhinhalten, Hineinhopsen in die zurückliegenden und anstehenden Themen des Bezirks. Ein Akt auch symbolischer Politik, die aber gerade in Zeiten der Krise so wichtig ist. Also werden Baustellen abgelaufen, Mehrgenerationenhäuser stolz hergezeigt, darbende Einkaufsstraßen beklagt. Der OB gibt sich im akkuraten Anzug, feinem Schuhwerk und Krawatten wechselnder Couleur amtswürdig und gewappnet. Mit breitbeinig-festem Stand wendet er sich den Menschen zu: „Ich grüße Sie!“ – „Was kann ich tun?“- „Hallo!“ – „Sehr gut!“

Manchmal fordert Frank Nopper ein Lob auch ein

Er schüttelt Hände, merkt sich erstaunlich viele Namen, will wissen, „wo der Schuh drückt“.   Wobei auch Lob ausdrücklich erlaubt ist. Es kommt halt nur selten – weshalb er es auch mal mit freundlicher Penetranz herausbohrt: Nopper zu einer Frau, die ein Tempolimit vor der Grundschule in Bad Cannstatt fordert: „Wohnen Sie gern hier?“ – keine Antwort – „Aber Sie wohnen doch gern hier, oder? Gell, schon!“ – „Ja.“ – „Na also!“ Das Tempolimit soll die Frau dann auf eine der gelben Karten an die Verwaltung notieren.

Überhaupt lässt sich auf der Bad Cannstatter Tour – gelbe Krawatte, rund 40 spazieren mit – ganz gut beobachten, wie die Noppersche Charmeoffensive an den Funktionsjacken widerborstiger Bürgerinnen abprallen kann. Die Gruppe ist auf dem Hallschlag unterwegs, wo 18 Jahre lang saniert, gebaut, gestreetworked, vernetzt wurde, um den Problembär Hallschlag zur „Sozialen Stadt“ umzubauen. Aber wann immer der OB sich an einer vorbildlich sanierten Fassade oder einem neuen Kinderspielgerät erfreuen will, grätscht eine Frau von der Linken rein. Mahnt zu hohe Mieten, zu viel Abriss oder Nachverdichtung an. Ist der Stachel in einer allzu euphorischen Erfolgskommunikation.

Immerhin am Hattinger Platz kann Nopper kurz punkten. Er schlägt vor, den seit Jahren ausgetrockneten Brunnen einfach mit Blumen zu bepflanzen. Gleich meldet sich ein Anwohner aus der Gruppe, der dabei gern helfen will. „Sehr gut, Namen notieren“, sagt Nopper. So schön einfach kann’s manchmal sein.

Die Stadt Stuttgart ist auf Tiktok

Die Sommertour ist freilich nur ein Baustein in der Bürgerkommunikation. Andere Nopper’sche Formate sind: die OB-Wirtschaftstour, „Auf ein Viertele mit OB Nopper“, Sprechstunden live oder am Telefon, samstägliche Bürgerbesuche im Rathaus (ab 2026). Und man spricht auf den Sozialen Medien, seit ein paar Wochen auch auf der Videoplattform Tiktok. Sehr erfolgreich (insgesamt 450.000 Aufrufe) waren die Videos vom Schnupperpraktikum des Influencers @a1per.drk46 im Rathaus. Der junge Mann hatte zuvor in einem Video gesagt, er würde als OB als erstes „alle Fahrradwege wegreißen und schön Straße für Autos“ bauen. Da wäre man dann wieder ganz bodenständig beim Stuttgarter Grundkonflikt. Viral ging auch das Video aus den vollautomatischen Stuttgarter Toiletten: Das machte bislang 2,8 Millionen Klicks.

Fast schon putzig-anachronistisch, aber auch sehr authentisch kommen da die Stadtspaziergänge mit Bürgergruppen zwischen 40 und 100 Leuten daher, wobei das Thema öffentliche Toiletten (in diesem Fall die sich überhaupt nicht selbst reinigende in Zuffenhausens Unterländer Straße) auch hier das Wahlvolk bewegt. Viele Themen dürften Nopper so gar nicht neu sein: Sauberkeit, Sicherheit natürlich. Ebenso wie: Zubetonierte Plätze, die dringend begrünt oder beschirmt werden müssen (nur nicht so wie in Botnang, wo die teuren städtischen Sonnenschirme im Schatten der Bäume stehen), die schlechte Busanbindung mancher Stadtteile („Nach Cannschtatt nunder isch a Kataschtroph“), sterbende Nahversorgung („In Zazzenhausen gibt es nur noch einen Bäcker bis 11 Uhr“).

Baustellen, bezahlbare Mieten, Nachverdichtung sind beim Rundgang auf dem Hallschlag große Themen. Foto: Landeshauptstadt Stuttgart / Fabrice Weichelt

Und auch das Publikum ist in großen Teilen ein vertrautes. Bezirksbeiräte, Gemeinderäten Schulsozialarbeiterinnen, Vorsitzende von Liederkränzen, Bürger- und Sportvereinen, Ehrenamtler, Geschäftsleute, (zwei mal auch ein Hund), alle eher mittelalt plus (bis auf zwei Start-up-Gründer) und generell politikinteressiert. Wobei auch diese engagierten Staatsbürger ja mal eine Chance verdienen, ihre Themen loszuwerden oder ein Selfie mit Bürgermeister zu machen.

Frank Nopper kann dieses Publikum dabei durchaus gewinnen. Wenn er der Leiterin einer Kinderfeuerwehr sagt, deren Erfolg liege doch ganz sicher vor allem an ihr. Wenn er erklärt, die Stadt wollen den Eichenhain den Sillenbuchern ja wieder zugänglich machen, scheitere aber am Regierungspräsidium. Wenn er im Heumadener Backhäusle die ihm überreichte „Dr. Frank Nopper-Schürze“ gar nicht mehr ablegen mag und in Botnang verspricht, die Wohnung des Ehrenkommandanten zu sanieren, dann sind die Leute bei ihm. Allerdings verhindert dieser vermaledeite Haushaltsvorbehalt allzu überbordenden Enthusiasmus auf beiden Seiten.

Am Ende ist es vielleicht so, wie ein Spaziergänger nach der Cannstatter Tour sagt: „Ich finde es gut, den Nopper mal gesehen zu haben.“ Nicht mehr, aber wirklich auch nicht weniger.