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Die Seligenstädter Stadtbücherei zeigt mit einem Regal, welche Werke in Teilen der USA an Schulen verboten sind. Darunter auch Orwells „1984“ und „Call me by your name“.
Seligenstadt – 33 Bücher sind in dem Regal im Eingangsbereich der Seligenstädter Stadtbücherei aufgereiht. Wer zur Tür hereinkommt, läuft unweigerlich darauf zu. Viele Besucher dürften sie an ihre Schulzeit erinnern – schließlich gehörten einige der Titel lange Zeit fest in den Lehrplan und tun es teilweise heute noch. Mittlerweile verbindet die Bücher allerdings ein ganz anderes Schicksal: Die 33 Exemplare stehen beispielhaft für tausende Titel, die an vielen Schulen in Teilen der USA verboten sind.
Autorenverband zählt mehr als 4000 Titel
„Es ist erschreckend, wenn man die Titel sieht“, sagt Bücherei-Leiterin Petra Heinrich. „Vieles davon habe ich während meiner Schulzeit auch privat gelesen und es ist bis heute hängen geblieben.“ Mehr als 4000 verbotene Titel – insgesamt über 10.000 Bücher – hat der amerikanische Autorenverband „Pen“ allein für das Schuljahr 2023/24 aufgelistet. Vor allem konservative Gruppen und Elterninitiativen setzten sich für solche Verbote ein. Insbesondere in Florida und Iowa sei die Zahl der „verbannten Bücher“ hoch.
Mehr als 30 Bücher, die an US-Schulen teilweise verboten sind, hat die Stadtbücherei aus ihrem Bestand herausgesucht. © Oehl, Laura
Beim Blick auf die Liste ergibt sich, zumindest in Teilen, ein roter Faden: So finden sich dort Bücher über Rassismus, autoritäre Systeme, mit sexuellen Bezügen sowie zu sexueller Gewalt ebenso wie Werke, die sich mit queeren Themen beschäftigen. Auch Titel von Autoren, die zu vermeintlichen Minderheiten zählen, sind darunter. „Für viele Jugendliche sind genau solche Bücher identitätsstiftend“, sagt Petra Heinrich. „Beim Lesen geht es auch darum, andere Welten kennenzulernen, mit denen man sonst nicht in Berührung kommt.“
Beim Lesen geht es auch darum, andere Welten kennenzulernen, mit denen man sonst nicht in Berührung kommt.
Viele Menschen in den USA scheinen das allerdings anders zu sehen. Obwohl es bisher keine staatliche Institution gibt, die Bücherverbote durchsetzt, steigt die Zahl der verbannten Werke stetig an. Mit den mehr als 4000 Titeln war im vergangenen Schuljahr ein neuer Höchstwert erreicht. Im Januar dieses Jahres hat der republikanische US-Präsident Donald Trump Schulen zudem per Dekret untersagt, „anti-amerikanische“ Inhalte wie etwa „Gender-Ideologie“ oder Diversität zu unterrichten. Zwar richtet sich das Dekret nicht explizit gegen bestimmte Bücher, wie unter anderem das Recherche-Netzwerk Correctiv berichtet, habe es in der Praxis allerdings zu einer „systematischen Entfernung von Büchern“ geführt.
So stehen Titel wie Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“, George Orwells „1984“ und „Farm der Tiere“, André Acimans „Call me by your name“ oder Harper Lees „Wer die Nachtigall stört …“ vielen Schülern in den USA nicht mehr zur Verfügung.
Auch das Tagebuch der Anne Frank und „Die Tribute von Panem“ wurden vielerorts verbannt. „Bücher, in denen es um Diktatur, Machtergreifung und verschiedene Systeme geht, sind offenbar problematisch“, erklärt Petra Heinrich. Oft, sagt sie, werde auch der Schutz der Kinder und Jugendlichen als Grund vorgegeben. Beispielsweise dann, wenn es – wie in Jodi Picoults „19 Minuten“ und Jay Aschers „Tote Mädchen lügen nicht“ – um Amokläufe oder Vergewaltigung geht. „Ich finde es merkwürdig, wenn so etwas verboten wird. Es ist ja nicht so, dass die Jugendlichen nicht mitbekommen, wenn es einen Amoklauf gab. Das bewegt sie ja auch und solche Bücher zu lesen, kann eine Art sein, das Ganze zu verarbeiten“, sagt Heinrich.
Leser reagieren oft erschrocken
Überraschend erscheinen auf den ersten Blick Titel wie „Harry Potter“, die ebenfalls auf der Liste der „verbannten Bücher“ auftauchen. Auch in Deutschland ist Autorin J.K. Rowling zuletzt aufgrund transfeindlicher Äußerungen häufiger in die Kritik geraten. Der Grund für die Verbote in den USA scheint das allerdings nicht zu sein: „In manchen religiösen Kreisen ist es ein Problem, dass es darin um Magie geht“, erklärt die Bücherei-Leiterin.
Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten würden queere Themen in deutschen Schulen mittlerweile häufiger behandelt, hat Petra Heinrich festgestellt. „Für viele Menschen, die sich mit ihrer Sexualität oder ihrem Geschlecht nicht wohlfühlen, fängt das ja schon sehr früh an. Umso wichtiger ist es, dass sie in der Schule durch Bücher sehen, dass sie Vorreiter haben und dass auch das Umfeld dieses Thema kennenlernt. Das erleichtert es gegebenenfalls dann auch, das eigene Geschlecht zu leben.“
Die verbotenen Bücher
… sind noch bis zum Beginn der Herbstferien, 6. Oktober, im Eingangsbereich der Stadtbücherei ausgestellt. Öffnungszeiten: montags von 15 bis 18.30 Uhr, mittwochs von 9.30 bis 11.30 Uhr, freitags von 15 bis 18.30 Uhr.
Für sie als Buchliebhaberin sei die Entwicklung in den USA schlimm zu sehen. Auch deshalb sei sie von der Idee ihrer Kollegin zur Ausstellung gleich begeistert gewesen, sagt Heinrich. Sowohl unter den Kollegen als auch mit Lesern, die in die Stadtbücherei kommen, habe sie schon darüber gesprochen. „Viele Leser reagieren erschrocken darauf. Teilweise, weil sie noch nicht mitbekommen haben, dass es diese Verbote gibt; teilweise auch wegen der Titel.“ Sie selbst könne sich nicht mehr vorstellen, mal in den USA zu leben. „Nicht, wenn man dieses Gefühl von Zensur hat.“ (Von Laura Oehl)