Stand: 16.09.2025 12:04 Uhr
Die Haftentlassung von Christian B. soll unmittelbar bevorstehen. Sein Anwalt glaubt nicht, dass der 48-Jährige ein normales Leben führen kann. Er erhebt Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft Braunschweig.
Es ist einer der mysteriösesten Vermisstenfälle der Welt: der Fall „Maddie“ McCann. 2007 verschwand das damals dreijährige britische Mädchen aus seinem Zimmer in einer Hotelanlage in Portugal. Nun kommt der Mann frei, der schon lange im Visier der Ermittler steht und zeitweise in Braunschweig gelebt hat: Christian B. Noch immer hält ihn die Staatsanwaltschaft Braunschweig für den Hauptverdächtigen im Fall „Maddie“. Nun saß er sieben Jahre wegen einer anderen Sexualstraftat in Niedersachsen in Haft und kommt voraussichtlich morgen, am 17. September 2025, frei. Der NDR Niedersachsen hat mit seinem Rechtsanwalt, Friedrich Fülscher aus Kiel, gesprochen.
Christian B. ist seit seiner Kindheit immer wieder kriminell geworden und wurde mehrfach verurteilt. Können Sie das mulmige Gefühl in der Bevölkerung verstehen, wenn er jetzt freigelassen wird?
Friedrich Fülscher, Anwalt von Christian B., spricht vor Medienvertretern.
Friedrich Fülscher: Die Bedenken in der Öffentlichkeit kann ich durchaus nachvollziehen. Damit muss aber unsere Bevölkerung klarkommen. Der Verurteilte hat seine Haftstrafe vollständig abgesessen. Er muss jetzt rehabilitiert werden und hat einen Anspruch darauf, wieder vollständiges Mitglied unserer Gesellschaft zu werden.
Glauben Sie, dass Ihr Mandant ein „normales“ Leben in Freiheit führen kann?
Fülscher: Nein, das glaube ich tatsächlich nicht. Ich gehe davon aus, dass die mediale Vorverurteilungskampagne, die durch die Staatsanwaltschaft Braunschweig angestoßen wurde, insofern Auswirkungen auf sein zukünftiges Leben haben wird, dass es sehr schwierig für ihn werden wird, einen Job zu finden, eine Wohnung, und ganz allgemein in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen. Man wird mit einem vermeintlichen Kindermörder nicht in irgendeiner Form Kontakt haben wollen.
Ich glaube nicht, dass er ein normales Leben führen wird.
Friedrich Fülscher, Anwalt von Christian B.
Wo wird sich Christian B. niederlassen?
Fülscher: Dazu möchte ich nichts sagen. Das verletzt die Persönlichkeitsrechte meines Mandanten.
Wie ist denn Ihr Mandant auf die Freiheit vorbereitet?
Fülscher: Grundsätzlich gar nicht. Es gab keinerlei Lockerungen im Rahmen des Vollzugs und keine Entlassungsvorbereitung. Er wird am Mittwoch auf freien Fuß gesetzt werden und muss dann selber gucken, wie er zurecht kommt. Das sehe ich kritisch. Nach so einer langen Inhaftierung wäre es angezeigt gewesen, Entlassungsvorbereitungen durchzuführen. Die Justizvollzugsanstalt sah sich aber nicht in der Lage, das zu leisten. Aufgrund verschiedener Umstände, wie zum Beispiel Fluchtgefahr oder wegen einer Gefährdungssituation für die Bevölkerung.
Christian B. solle nach der Haftentlassung im September unter Aufsicht stehen, fordert die Staatsanwaltschaft Braunschweig.
Wird es für Christian B. künftig Auflagen geben, etwa, dass er sich regelmäßig bei Gericht melden muss oder dass er eine elektronische Fußfessel tragen muss?
Fülscher: Zum Führungsaufsichtsverfahren darf ich Ihnen nichts sagen. Das ist ein nicht öffentliches Verfahren. Das tangiert auch die Privatsphäre meines Mandanten zu sehr. Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass es mittlerweile auch allgemein bekannt ist, dass Auflagen und Weisungen von der Staatsanwaltschaft beantragt wurden. Es gibt mittlerweile auch eine Entscheidung des Landgerichts Hildesheim, der Strafvollstreckungskammer. Wie die aussieht, werde ich Ihnen aber nicht sagen.
Können Sie nachvollziehen, dass es für Ihren Mandanten aus Sicherheitsgründen gewisse Auflagen geben sollte?
Fülscher: Grundsätzlich muss man bei solchen Auflagen berücksichtigen, dass die Tat über 20 Jahre her ist (Anm. der Redaktion: Die Tat, für die Christian B. nun sieben Jahre in Haft saß, passierte 2005) und man sich dann fragen muss, ob solche Auflagen verhältnismäßig sind oder nicht.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ist sich nach wie vor sicher, dass Christian B. für das Verschwinden von Maddie veranwortlich ist. Was sagen Sie dazu?
Fülscher: Was ich an der Staatsanwaltschaft Braunschweig kritisiere, ist ihr Gang an die Öffentlichkeit und das gebetsmühlenartige Wiederholen solcher Parolen wie „Wir haben den Richtigen, er hat Maddie getötet, das steht für uns außer Frage“. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig befeuert diese Vorverurteilung immer wieder. Bisher haben sie aber keine Beweise geliefert, dass es wirklich so ist.
Die Staatsanwaltschaft scheint aber eindeutige Indizien zu haben …
Fülscher: Man kann sich so nicht in die Öffentlichkeit begeben und für so eine Vorverurteilung sorgen und andererseits dem Beschuldigten nicht die Möglichkeit geben, diesen Vorwürfen in der Öffentlichkeit auch mal entgegenzutreten. Die Verteidigung hat immer noch keine Akteneinsicht in die Ermittlungsakten. Wir wissen nicht, worauf diese Aussagen gestützt werden. Was wir wissen, ist, dass es trotz der unmittelbar bevorstehenden Haftentlassung keinen Untersuchungshaftbefehl gegen Christian B. gibt. Das spricht schon Bände. Einen dringenden Tatverdacht scheint die Staatsanwaltschaft Braunschweig nicht zu haben. Wie man dann zu der Annahme gelangt „Wir haben den Richtigen“, erschließt sich mir nicht.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hält Christian B. für gefährlich. Dennoch muss er jetzt wohl aus der Haft entlassen werden.
Welche Auswirkungen hat die Freilassung auf den weiteren Mordermittlungsprozess im Fall Maddie McCann, wo Christian B. bis heute als Hauptverdächtiger geführt wird?
Fülscher: Die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft werden fortgeführt. Die Freilassung bietet natürlich der Staatsanwaltschaft gewisse Ermittlungsmöglichkeiten. Also zum Beispiel längerfristige Observationsmaßnahmen, Telekommunikationsüberwachung, andere Überwachung technischer Art. Auch der Einsatz von verdeckten Ermittlern oder Ähnlichem ist in Betracht zu ziehen. Das sind natürlich alles strafprozessuale Maßnahmen, die in der Haft deutlich schwieriger durchzuführen sind, als wenn ein Beschuldigter auf freiem Fuß ist.
Ist sich Christian B. darüber bewusst?
Fülscher: Natürlich werden wir als Verteidiger unseren Mandanten über solche Ermittlungsmaßnahmen aufklären, was da die Strafprozessordnung hergibt und womit er gegebenenfalls zu rechnen hat. Insofern glaube ich nicht, dass der Staatsanwaltschaft Braunschweig die Freilassung irgendwelche Vorteile oder Erkenntnisse bringen wird.
Wird Christian B. denn in Deutschland bleiben?
Fülscher: Dazu möchte ich nichts sagen. Aber es ist natürlich so, dass sich ein Beschuldigter, der auf freiem Fuß ist, einem Strafverfahren auch entziehen kann, durch Flucht etwa. Sollte dies der Fall sein, wäre die Strafverfolgung praktisch unmöglich.
Die Staatsanwaltschaft legte sich früh auf ihn fest. Doch auch nach fünf Jahren wird er nicht angeklagt – sondern freigelassen.
Die Geldstrafe für Christian B. ist gezahlt worden. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hatte diese Zahlung zunächst überprüft.
Die neuen Ermittlungen waren von der Staatsanwaltschaft Braunschweig angestoßen worden. Ergebnisse sind bislang nicht bekannt.