Israels Premierminister Benjamin Netanjahu.

Stand: 16.09.2025 14:34 Uhr

Eine israelische Untersuchungskommission schärft die Vorwürfe gegen Premierminister Netanjahu wegen der Marinegeschäfte mit Deutschland, mit Folgen für den Premier und neuen Erkenntnissen über das deutsch-israelische Verhältnis.

von Stefan Buchen

Israel bezieht seit Jahrzehnten Marineschiffe aus Deutschland, vom Hersteller Thyssenkrupp. Es geht vor allem um U-Boote. Mit Beginn seiner zweiten Amtszeit im Frühjahr 2009 trieb Langzeitregierungschef Benjamin Netanjahu diese Geschäfte maßgeblich voran. Sein wichtigster politischer Partner auf der deutschen Seite war Langzeitkanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Marinegeschäfte mit Deutschland sind seit 2021 Gegenstand eines Strafverfahrens wegen Bestechung vor dem Bezirksgericht in Tel Aviv. Seit 2022 befasst sich in Israel zudem eine Untersuchungskommission unter Führung des pensionierten Richters Asher Grunis mit den Marinegeschäften.

Neuer Beschluss belastet Netanjahu

Wie berichtet, zog die Grunis-Kommission im Juni 2024 ein Zwischenfazit, das Premierminister Netanjahu schwer belastet. Mit seiner Beschaffungspolitik in Deutschland habe Netanjahu u.a. die nationale Sicherheit und die wirtschaftlichen Interessen des Staates Israel gefährdet, heißt es da. Die Gründe für dieses für Netanjahu verheerende Zwischenfazit hat die Kommission jetzt in einem neuen Beschluss näher ausgeführt. Auslöser für das neue Dokument ist die bisherige Weigerung Netanjahus und der anderen in dem Zwischenfazit kritisierten Personen, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. „Zu vage“ seien die Vorwürfe, als dass man darauf reagieren könne, hatte ein Anwalt die Kommission wissen lassen. Also gut, müssen sich Asher Grunis und seine vier Kollegen gesagt haben, da habt Ihr´s. Der 39-seitige Beschluss ist spektakulär. Es wirft ein Schlaglicht auf die Regierungsführung von Benjamin Netanjahu und auf seinen Pakt mit Angela Merkel und Thyssenkrupp.

Benjamin Netanjahu hisst eine israelische Flagge an Bord eines U-Boots.

Ein Gericht in Israel geht dem Verdacht nach, bei dem Geschäft sei Bestechungsgeld geflossen.

Aus deutscher Sicht ist das durchaus unangenehm. Denn die Kommission beleuchtet Vorgänge, die in der politischen Kultur der BRD „geheim“ sind, etwa den Verlauf von Verhandlungen zwischen Merkel und Netanjahu sowie diskrete Absprachen, die beide dabei trafen. Die Kommission hat dafür Tausende israelische Regierungsdokumente ausgewertet und etwa 150 Zeugen befragt. Die ehemalige Bundeskanzlerin erscheint in den 39 Seiten wie eine Exportagentin von Thyssenkrupp. Sie wollte, dass die Rüstungssparte des Essener Konzerns möglichst viele Marineschiffe verkauft, nicht nur an Israel, sondern auch an das Nachbarland Ägypten. Dabei war, wie die Kommission enthüllt, Netanjahu ihr perfekter Verbündeter. Denn dieser winkte die Exporte nach Ägypten durch, obwohl der Verkauf deutscher U-Boote in das arabische Nachbarland vom israelischen Sicherheitsapparat kritisch gesehen wurde. Das Verteidigungsministerium etwa war dagegen.

Merkel und Netanjahu

Netanjahu gab Merkel grünes Licht für den Verkauf von deutschen U-Booten an Ägypten.

In den besonderen bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel ist es üblich, dass die Bundesregierung ihren engen Partner um Zustimmung fragt, bevor Waffen an ein Nachbarland im Nahen Osten geliefert werden. Das geschah auch im Fall des Exports von zweimal zwei U-Booten an Ägypten in den Jahren 2010-12 sowie 2014-15. Allein: Netanjahu gab Merkel laut Kommission sein Placet unter Umgehung aller in Israel zuständigen Gremien. Er verheimlichte dem Verteidigungsministerium beide Male über einen längeren Zeitraum, dass er Kanzlerin Merkel grünes Licht für den Verkauf an den Nachbarn Israels gegeben hatte.

Enthüllungen der Untersuchungskommission

Die Grunis-Kommission enthüllt, wie Merkel sich Netanjahus Zustimmung für den Export nach Ägypten buchstäblich erkaufte. Als Gegenleistung für die ersten beiden an Ägypten verkauften U-Boote bot sie einen deutschen Finanzbeitrag auch für das sechste Thyssenkrupp-U-Boot für Israel. Merkel steuerte 135 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt bei. Bei den ersten fünf U-Booten für Israel, für deren militärische Notwendigkeit es in Israel keine Meinungsverschiedenheiten gegeben hatte, war eine finanzielle Beteiligung Deutschlands von vornherein fest vereinbart gewesen. Beim U-Boot Nr. 6 war das nicht mehr so. Netanjahu hatte den Erwerb dieses sechsten U-Bootes gegen Widerstände in Armee und Verteidigungsministerium, wo diese Anschaffung als zu kostspielig und militärisch nicht notwendig eingestuft wurde, durchgedrückt.

Das Dokument des Untersuchungsgremiums zum israelischen Kauf deutscher Schiffe.

Das neu veröffentlichte Dokument der Grunis-Kommission.

Die Untersuchungskommission spricht nun von einem „Verknüpfungsgeschäft“ („´isqat havila“ im hebräischen Original). Merkel und Netanjahu haben danach den deutschen Geldzuschuss für das sechste Boot für Israel mit der israelischen Zustimmung für den Export von zwei Thyssenkrupp-U-Booten nach Ägypten „verknüpft“. Die Feststellung der Kommission erfolgt im Indikativ, als gesicherte Erkenntnis.

2014-15 folgt ein weiteres Verknüpfungsgeschäft, als Netanjahu vier Korvetten von Thyssenkrupp kaufen wollte. Merkel stimmte einem deutschen Anteil von 27,5 Prozent am Kaufpreis zu und erhielt im Gegenzug Netanjahus „Go“ für den Export zweier weiterer U-Boote nach Ägypten, alles aus dem Hause Thyssenkrupp.

Aus Sicht von Merkel gaben bei der Verknüpfung zwischen den Exportgeschäften mit Israel und Ägypten wirtschaftliche Motive den Ausschlag. Thyssenkrupp sollte so viele Schiffe wie möglich verkaufen, auch wenn es zu Lasten des deutschen und des israelischen Steuerzahlers ging. Ursprünglich hatte die Bundesregierung auch politische Bedingungen für den Export weiterer U-Boote nach Israel gestellt. Netanjahu sollte Schritte in Richtung eines Friedens mit den Palästinensern nachweisen. Aber diese Bedingungen, die bei Netanjahu auf keine Gegenliebe stießen, ließ Merkel rasch wieder fallen. Netanjahu hatte deswegen sogar, wie von Panorama aufgedeckt, die Entlassung von Merkels außenpolitischem Berater Christoph Heusgen, der solch politische Bedingungen eingebracht hatte, verlangt.

Das U-Boot "INS Drakon" ist im Kieler Hafen zu sehen.

Ein U-Boot-Deal zwischen Deutschland und Israel aus der Merkel-Zeit sorgte wiederholt für Aufregung. Panorama-Recherchen zeigen nun, dass Premier Netanjahu im Zuge der Verhandlungen die Entlassung von Merkel-Berater Heusgen forderte.

Netanjahus Doppelspiel

Dank der akribischen Aufarbeitung durch die israelische Untersuchungskommission wird klar: Das Bundeskanzleramt war spätestens seit 2010 über die Tricksereien von Netanjahu informiert. Man weiß seitdem in Berlin genau, mit wem man es zu tun hat. Denn bezüglich der U-Boote 6 bis 9 für Israel (6 liegt fertig in Kiel, 7 bis 9 sind bestellt) und der U-Boote für Ägypten gab es immer wieder erstaunte bis ungläubige Nachfragen anderer israelischer Akteure, vor allem aus dem Verteidigungsministerium, bei den Deutschen: ob die Deals tatsächlich abgeschlossen seien, ob Netanjahu tatsächlich seine Zustimmung für deutsche U-Boote an Ägypten gegeben habe?

Für die Bundesregierung lag offen zu Tage, dass Netanjahu die Marinegeschäfte mit Thyssenkrupp an den zuständigen Gremien vorbei, unter Einweihung weniger Vertrauter, einfädelte und zum Abschluss brachte. Als ein neuer Deal mit Deutschland abgeschlossen war und sich intern nicht mehr verbergen ließ, habe Netanjahu, so die Kommission, seinen innerisraelischen Kritikern eine stereotype Begründung für das eigenmächtige Handeln geliefert: Er müsse jetzt alles rasch mit Merkel unter Dach und Fach bringen, denn in Deutschland drohe bald eine Regierung, die Rüstungsgeschäften mit Israel nicht mehr so aufgeschlossen sei.

„Er „täuschte“, „verheimlichte“, „erweckte den falschen Eindruck, dass“ sind häufige Verben, mit denen die Untersuchungskommission auf den 39 Seiten das Handeln Netanjahus gegenüber den eigenen Institutionen beschreibt. Merkel war sich mit ihrem israelischen Gegenüber bei den Marinegeschäften zwar weitgehend einig. Aber einmal bekam die Kanzlerin auch selbst Netanjahus Doppelspiel zu spüren. Im August 2012 habe der israelische Premier im Gespräch mit Merkel plötzlich Ablehnung des Exports deutscher U-Boote an Ägypten geäußert. Dieses Gespräch habe Netanjahu, im Gegensatz zu den vorangegangenen Unterredungen, in denen er genau diesem Geschäft bereits zugestimmt hatte, protokollieren lassen.

Die Rolle der „Bild“

Passend erschien, wie die Kommission hervorhebt, am 6.9.2012 ein Artikel in der „Bild“-Zeitung. Darin heißt es: „Die israelische Regierung hat sich auf höchster politischer Ebene bei der Bundesregierung über die geplante Lieferung von zwei deutschen U-Booten (Typ 209) nach Ägypten beschwert.“ Eine öffentlich inszenierte „Beschwerde“, obwohl Netanjahu dem deutschen Geschäft mit Ägypten längst zugestimmt hatte! Auch der Pakt Netanjahus mit der „Bild“-Zeitung ist der Kommission also eine Erwähnung wert.

Israelis demonstrieren für die Freilassung aller Geiseln in der Gewalt der Hamas

Das Blatt veröffentlichte ein Geheimpapier der Hamas und half so Premier Netanjahu aus der Klemme. Zentrale Figuren der Affäre sind in Israel mittlerweile angeklagt.

Jonathan Urikh war langjährigen Berater des israelischen Premierministers Netanjahu.

In der Affäre um den Geheimnisverrat an die „Bild“-Zeitung kündigte die israelische Staatsanwaltschaft eine Anklage gegen den Netanjahu-Vertrauten Urikh an.

Netanjahus Motive

Das Handlungsmotiv von Merkel wird überdeutlich: Die maximale Förderung deutscher Rüstungsexporte. Netanjahus Motive werden in den 39 Seiten zwar nicht direkt angesprochen. Aber unweigerlich entsteht beim Leser die Frage: Warum macht Netanjahu das? Hat er persönlich profitiert? Die Kommission arbeitet heraus, dass Netanjahu und seine Vertrauten auf der einen Seite und Thyssenkrupp auf der anderen jedes Kaufprojekt definiert und vorangetrieben haben. Hier wird – unausgesprochen – der Bogen zu dem Strafprozess in Tel Aviv geschlagen.

Vor dem Bezirksgericht sind der ehemalige Verkaufsagent von Thyssenkrupp in Israel, Michael Ganor, und frühere Mitarbeiter aus Netanjahus Büro wegen Bestechungsdelikten angeklagt. Netanjahu selbst blieb bisher von einer Anklage verschont. Das kann die Untersuchungskommission ändern. Sollte ihr Abschlussbericht die Vorwürfe gegen Netanjahu weiter schärfen, kann am Ende auch eine Anklage gegen ihn stehen. Alle Sachkundigen sind sich einig: Ein solcher Strafprozess wäre für den Langzeitregenten gefährlicher als die bisher gegen ihn erhobenen Anklagen wegen Bestechlichkeit. U-Boote und Korvetten sind eben eine Nummer größer als Zigarren und Champagnerflaschen.

Weder Thyssenkrupp noch Netanjahu möchten auf Panorama-Anfrage den Beschluss der Untersuchungskommission kommentieren. Angela Merkel ist im Ruhestand. Unsere Anfrage ließ sie unbeantwortet. Nach einer Anfrage im Juli verwies sie auf das Bundeskanzleramt. Dort seien die Vorgänge „veraktet“, ließ die Altkanzlerin über eine Sprecherin ausrichten. Das Bundeskanzleramt verweigert jedoch jeden Kommentar zu dem Beschluss der israelischen Untersuchungskommission. Umso dankbarer muss die deutsche Öffentlichkeit für die Aufklärungsarbeit unter Richter a.D. Asher Grunis sein.

Die Ergebnisse sind nicht nur von zeithistorischem Interesse. Der hauptsächlich kritisierte israelische Regierungschef ist bekanntlich nicht im Ruhestand, sondern nach wie vor im Amt. Die amtierende Bundesregierung muss ihr Verhältnis zu Netanjahu, der nun seit fast zwei Jahren Krieg führt, definieren. Sie tut sich dabei schwer. Friedrich Merz kann sich jedenfalls nicht darauf berufen, dass er erst seit Kurzem wisse, mit wem er es zu tun hat. In den Akten des Bundeskanzleramts kann er, wie uns die israelische Untersuchungskommission lehrt, reichhaltiges Anschauungsmaterial finden, das bis 2009 zurückreicht.