Die Genossenschaft Ackerilla aus Leipzig hat es sich zur Aufgabe gemacht, Landwirtschaft zu revolutionieren. Das Konzept dahinter heißt Solidarische Landwirtschaft, kurz: Solawi. Doch solidarisch geht es nicht nur auf dem Acker zu – sondern auch darüber hinaus.
Der Himmel über Sehlis, einem Ortsteil von Taucha, ist wolkenverhangen. Häuser gibt es hier nur wenige, dafür umso mehr Felder. Eines davon pachtet die Ackerilla bei der Kulturland-Genossenschaft, die gemeinschaftlich erworbenes Land für die ökologische Landwirtschaft bereitstellt. Auf sieben Hektar Anbaufläche kümmert sich das Kollektiv der Ackerilla um den Gemüseanbau, damit die Ernteerträge später an die Solawistas, also die Genossenschaftsmitglieder, verteilt werden können.
Erste Regentropfen fallen auf das Plexiglasdach der Jungpflanzenzucht. Drinnen staut sich die Hitze. Hier ist es wie in einem Brutkasten – geschützt und warm, ideal für die kleinen Jungpflanzen. »Wir begleiten die Pflanze von Anfang an«, erzählt Vince. Vince ist Teil des Kollektivs und für die Jungpflanzen verantwortlich. Später kommen die neu gesäten Sprösslinge dann auf den Acker oder ins Tunnel-Gewächshaus – je nach Vorliebe. Salat etwa wächst gut im Freiland, Auberginen und Tomaten fühlen sich im Tunnel wohl.
Später landet das geerntete Gemüse dann in den Gemüsekiste der 155 Solawistas aus Leipzig und Taucha. Für einen regelmäßig gezahlten Beitrag bekommen die Mitglieder wöchentlich entweder einen kleinen oder großen Ernteanteil. Der kleine Anteil reicht für etwa zwei und der große Anteil für vier Personen. Zum Testen ist auch ein Probemonat möglich. Die Idee hinter einer Solidarischen Landwirtschaft: Kosten und Ernte werden solidarisch geteilt. Zum Beginn der jeweiligen Saison werden bei der Mitgliederversammlung die Kosten, etwa für Gehälter, Saatgut oder Geräte, vorgestellt. Daraus werden Durchschnittsbeiträge für den kleinen und großen Anteil gebildet. Der monatliche Richtwert für den kleinen Anteil liegt bei 65 Euro und bei 117 Euro für den großen. Die anwesenden Mitglieder können dann bei einer sogenannten Bietrunde aushandeln, ob sie möglicherweise weniger oder mehr bezahlen möchten. Auf diese Weise wird ein solidarischer Ausgleich geschaffen. Laut Vince hat sich dieses System gut bewährt.
Das Gemüse an sich hat keinen Preis mehr, es geht lediglich um die Kostendeckung. »Die Idee dahinter ist, dass man sich nicht einfach nur ein einzelnes Gemüse kauft, sondern, dass man sich eben zusammentut und sich zusammen organisiert, um an regional und fair produziertes Gemüse zu kommen«, erzählt Vince. Die Genossenschaft wolle die Trennung von Konsum und Produktion aufheben. »Uns ist es wichtig, dass alle Mitglieder der Ackerilla zu Ackereinsätzen kommen und sehen können, wo das Gemüse herkommt.«
Rackern auf dem Acker
Bei den Ackereinsätzen packen die Solawistas selbst an. Dabei ist es erstmal nicht wichtig, wie viel Vorerfahrung die Personen mitbringen. »Wir hatten zum Beispiel mal einen Einsatz, wo wir ganz viel Mist aufs Feld draußen tragen mussten. Das ist halt körperlich anstrengend, aber das ist nicht so kompliziert. Da kann man im Zweifelsfall nicht so viel falsch machen«, erzählt Vince. Außerdem seien immer auch erfahrene Gärtner:innen dabei. Neben Vince sind das vier weitere ausgebildete Gärtner:innen, die jeweils vier Tage pro Woche hauptamtlich für die Ackerilla arbeiten. Jede Woche legt das Kollektiv in einem Plenum fest, wer für welche Aufgabe zuständig ist.
Aber nicht nur beim »rackern auf dem Acker«, wie es auf der Website der Ackerilla heißt, können sich die Solawistas beteiligen, sondern auch in den zahlreichen Arbeitsgruppen. So werden auch Aufgaben in Bereichen wie Öffentlichkeitsarbeit, IT, Verwaltung und Finanzen unter den Genossenschaftsmitgliedern aufgeteilt.
Natürlicher Schädlingsschutz
Doch nicht nur hinter der Arbeits- und Kostenteilung steckt ein Solidaritätsprinzip, auch für die Natur soll es solidarisch zugehen. Die Ackerilla setzt darauf, Monokulturen und Pestizide zu vermeiden. Dies gelinge etwa mit der Einhaltung der Fruchtfolge. »Das bedeutet, dass man nicht immer das Gleiche auf der gleichen Fläche anbaut. Wir bauen Tomaten zum Beispiel dieses Jahr im dritten Tunnel an und letztes Jahr waren sie in einem anderen Tunnel. Das schützt uns besser vor der Verbreitung von Schädlingen.«, erklärt Vince.
Ein Problem macht aber selbst vor der Ackerilla keinen Halt. »Wasser ist für uns hier und in der Landwirtschaft allgemein auf jeden Fall immer ein großes Thema«, sagt Vince. Zwar habe die Ackerilla mit zwei Brunnen und einem Wasserauffangbecken vorgesorgt, doch die trockenen Sommer machten sich bemerkbar. Auch dieses Jahr werde das Wasser wieder knapp.
»Emotionale Herausforderungen tragen wir als Kollektiv«
Jeden Tag um 13 Uhr gibt es ein gemeinsames Mittagessen – selbstverständlich mit dem selbstgeernteten Gemüse. Heute ist Findus Herchenhan an der Reihe mit kochen. Herchenhan macht gerade ein Praktikum bei der Ackerilla und möchte bald einen Bundesfreiwilligendienst hier beginnen. Eigentlich hat Herchenhan Sozial- und Kulturwissenschaften studiert. Doch jetzt steht eine berufliche Umorientierung an. »Der Stellenmarkt im Kulturbereich sieht gerade sehr schlecht aus, auch wegen der Kürzungspolitik«, sagt Herchenhan. Früher habe Findus Herchenhan die Oma, die selbst Landwirtin war, in ihrem Gemüsegarten beobachten können. Jetzt kann Herchenhan die Familientradition fortführen. »Ich merke, dass es mir voll guttut, nicht mehr in der Bibliothek am Schreibtisch zu sitzen, sondern so auf dem Acker rumzugraben.«
Was Herchenhan besonders am Gärtner:innen-Kollektiv der Ackerilla gefällt, ist, dass es sich um ein FLINTA*-Kollektiv handelt. »Für mich heißt das, dass dir keine cis Männer erklären, wie irgendein Gerät funktioniert, sondern du kannst halt einfach alles selbst ausprobieren«, erzählt Herchenhan. Außerdem sei das monatlich stattfindende Emo-Plenum schön. »Da sprechen wir darüber, wie es uns geht und wenn es emotionale Herausforderungen gibt, dann tragen wir die als Kollektiv.«
* Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nicht-binäre, trans und agender Menschen.