Vom 25. bis zum 27. September wird die Bundeswehr in Hamburgs Stadtbild so gegenwärtig sein wie lange nicht. Bei der Verteidigungsübung Red Storm Bravo proben etwa 500 Soldaten den Ernstfall – was für die viele Hamburger auch sicht- und hörbar sein wird.
Bundeswehr-Übung in Hamburg: Es wird laut
Das Übungsszenario sieht die Verlegung von Nato-Truppen über das Hamburger Stadtgebiet ins Baltikum vor. Laut Landeskommando werden vom Hafen aus zahlreiche Fahrzeuge mit Truppenkontingenten und Gerät auf Straßen und Autobahnen in Richtung Osten rollen. Hubschrauber unterstützen aus der Luft. Störfälle mit vielen Verwundeten sind Teil der fiktiven Übungslage.
Tagsüber sei daher mit Fluglärm zu rechnen, warnt die Bundeswehr. Dagegen sollen die Truppenbewegungen auf den Straßen in der Nacht stattfinden, um die Beeinträchtigungen für den Verkehr und die Wirtschaft zu verringern.
Kapitän zur See Kurt Leonards, Chef des Landeskommandos der Bundeswehr in Hamburg.
Foto: Markus Lorenz
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Ein besonderer Schwerpunkt des Manövers liegt auf dem Zusammenspiel von Militär und zivilen Einrichtungen. Es gelte, Abläufe und Verfahren zu koordinieren und die Akteure miteinander zu vernetzen. Kapitän zur See Kurt Leonards, Chef des Landeskommandos Hamburg: „Da Verteidigung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die nicht allein von der Bundeswehr geleistet werden kann, nehmen an Red Storm Bravo auch zivile Blaulichtorganisationen, Hamburger Behörden und Unternehmen der Hafen- und Logistikbranche teil.“ Dazu zählen Polizei, Feuerwehr, Innenbehörde und Technisches Hilfswerk, die Hafenverwaltung HPA, aber auch die Werft Blohm+Voss sowie der Flugzeughersteller Airbus.
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Erstmals rückt die Übung aber auch einen bisher wenig beachteten Aspekt der Vorbereitungen auf ein Kriegsszenario in den Vordergrund: die ausreichende Verfügbarkeit nicht-militärischer Arbeitskräfte im Ernstfall. Auf der Liste der eingebundenen Institutionen bei Red Storm Bravo findet sich daher auch die Agentur für Arbeit. Denn sie darf im Spannungs- und Kriegsfall Arbeitskräfte requirieren, um wichtige Funktionen im Land aufrechtzuerhalten. Auch das muss geübt werden.
Im Krieg darf der Staat Arbeitskräfte zwangsverpflichten
Am Manöver selbst nimmt die Arbeitsagentur zwar nicht teil, sie führt aber zeitgleich ein eigenes Übungsszenario durch. Dabei proben 75 Mitarbeiter – etwa ein Zehntel des Hamburger Personals – die Anwendung des Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG). Dieses greift, sobald der Bundestag den Spannungs- oder Verteidigungsfall beschließt. Laut Grundgesetz ist dafür eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.
Das ASG ermöglicht es, Grundrechte der Bürger außer Kraft zu setzen, vor allem das Recht auf freie Berufswahl. Der Staat erhält im Kriegsfall die Möglichkeit, Arbeitskräfte für zivile Tätigkeiten zwangszuverpflichten, um lebensnotwendige Funktionen zu gewährleisten.
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Der Einsatz von Arbeitskräften erfolge zwar auch im Ernstfall in erster Linie auf freiwilliger Basis, heißt es vom Landeskommando. Sollten sich aber nicht genügend Freiwillige für die vielen existenziellen Tätigkeiten finden, würden entsprechende Maßnahmen greifen. Dazu gehören laut Bundeswehr die „Verpflichtung in Arbeitsverhältnisse“, aber auch die „Beschränkung der Beendigung von Arbeitsverhältnissen“.
Das Gesetz, das aus den Zeiten des Kalten Krieges stammt, ermöglicht es also auch, Kündigungen zu unterbinden. Beispielsweise müsste eine Krankenschwester den Job auch gegen ihren Willen weitermachen, sollte die Stelle anderweitig nicht besetzt werden können.
Jobs, die im Ernstfall nicht freibleiben dürfen
Denkbare Anwendungsbereiche seien vor allem Krankenhäuser, Wasser-, Strom- und Lebensmittelversorgung, Transport, Zivilschutz und Rettungsdienste. Betroffen sein könnten Jobs wie Netztechniker, Wassermeister, Bäcker, Metzger, Logistiker, IT-Systemadministratoren, Lokführer, Lehrer, Busfahrer, Fluglotsen, Pflegekräfte, Ärzte, Rettungssanitäter, Apotheker, Labormitarbeiter, Müllwerker, Verwaltungsbeamte, Redakteure, Techniker bei der Rundfunkübertragung und viele andere.
Die Agentur für Arbeit Hamburg übernehme im Falle eines Falles „klare Aufgaben zur Vorbereitung und Durchführung der Arbeitsvermittlung für lebens- und verteidigungswichtige Bereiche“, teilt die Behörde mit.
Wie sich die Arbeitsagentur auf den Krieg vorbereitet
Seit Schaffung des Gesetzes 1968 ist dieses noch nie angewendet worden. Auch haben die Arbeitsämter bislang nicht geprobt, wie die konkreten Abläufe sein würden. Insofern erlebt Hamburg nun eine Premiere. Zentrale Übungsziele sind laut Arbeitsagentur, die Mitarbeiter zur Umsetzung des ASG zu befähigen, die Bereitstellung der nötigen Informationen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu simulieren, diese dabei über Rechte und Pflichten in Kenntnis zu setzen sowie interne Trainings und Supervisionen, „um Abläufe unter Zeitdruck sicherzustellen“.