Besucher betrachten eine beschädigte iranische Drohne vom Typ Shahed.

Eine beschädigte Drohne vom Typ Shahed. Russland lässt die fliegenden Bomben bei sogenannten Schwarm-Angriffen zu Hunderten aufsteigen. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Efrem Lukatsky)

Die Firma Alabuga hat ihren Sitz in der gleichnamigen Sonderwirtschaftszone, rund 1000 Kilometer südöstlich von Moskau. 43 Unternehmen haben sich in dem Gebiet angesiedelt, darunter Hersteller von Glasfaser und Autokarosserien. In einer Fabrik werden offiziell Motorboote gefertigt.

Tatsächlich handelt es sich bei dem Werk um eine geheime Drohnenfabrik. Spencer Faragasso vom Institut für Wissenschaft und Internationale Sicherheit in Washington hat sich seit Ausbruch des Ukrainekriegs mit der geheimen Drohnenfabrik beschäftigt, hat Satellitenbilder und geleakte Dokumente ausgewertet. In dem Werk stelle Russland sogenannte Shahed-Drohnen her, sagt er. Das sind einfach konstruierte Einweg-Drohnen, die billig produziert werden können. „Fliegende Mopeds“ werden sie von ukrainischen Soldaten genannt, weil ihr Zweitaktmotor beim Anflug knattert, erklärt Faragasso.

Die Flugkörper stellen eine ernstzunehmende Bedrohung für die Ukraine dar: „Die Shahed-Drohne ist eine fliegende Bombe und hat eine große Reichweite“, sagt Faragasso. Fast jede Nacht würden Hunderte davon ausschwärmen und auf ukrainische Ziele fliegen.

Hilfe aus dem Iran

Die Fähigkeit, die Shahed-Drohnen in Massen herzustellen, verdankt Russland offenbar einer Top-Secret-Kooperation mit dem Iran. Geleakte Dokumente lassen laut Faragasso darauf schließen, dass die Drohnen zunächst in Einzelteilen aus dem Mullah-Staat nach Russland importiert wurden. In Alabuga wurden die fliegenden Bomben dann nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzt. Iran half auch beim Bau der Fabrik, sagt Faragasso. Russland habe dem Iran dafür rund eine Milliarde US-Dollar bezahlt.

Für die Massenproduktion braucht das Werk viele Arbeitskräfte. Die Arbeitskosten sollen niedrig sein. Um die geeigneten Arbeiter zu bekommen, wurde eigens eine Berufsschule eröffnet. Neben der Fabrikhalle entstand ein Wohnheim für junge Leute. Das Angebot für die künftigen Arbeiter: eine Ausbildung, während sie parallel bei Alabuga tätig sind.

Rekrutierung auf Tinder

Die Rekrutierung fand zunächst über Dating-Plattformen wie Tinder statt. Die Verantwortlichen kontaktierten junge Afrikanerinnen, die in Russland studierten. Ab Ende 2022 wurde ein internationales Rekrutierungsprogramm aufgesetzt, um junge Frauen in Afrika und Lateinamerika direkt anzusprechen.

Das Job-Angebot aus Russland muss verlockend klingen für junge Menschen aus armen Ländern wie Uganda: Eine Karriere bei Alabuga könne mit einem Gehalt von 500 US-Dollar beginnen, heißt es in einem Werbevideo, das auf afrikanischen Social-Media-Accounts verbreitet wird. „Nach sechs Monaten Arbeit haben Sie die Möglichkeit, rund 4000 US-Dollar zu verdienen und eine Reise durch das größte Land der Welt zu unternehmen: Russland!“ Die Frauen erwartet laut den Werbefilmchen eine blendende Zukunft: „Das Alabuga-Work-and-Travel-Programm bietet Ihnen außerdem die Möglichkeit, Ihre Karriere voranzutreiben und eine Führungsposition zu übernehmen.“

Die Werbetrommel für die Drohnenfabrik wird längst auf TikTok, Facebook, Instagram und X gerührt. Freilich ohne den wahren Unternehmenszweck preiszugeben. Auf der Webseite des Unternehmens berichten die jungen Frauen über ihre positiven Erfahrungen und preisen in Videos die Freizeitmöglichkeiten – von Fußball und Tennis bis Hockey.

Rund 1000 junge Frauen arbeiten in der Fabrik

Aber auch afrikanische Organisationen helfen bei der Rekrutierung mit. Die Nil-Stiftung beispielsweise, die in Somalia gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit kämpft, oder der Sambia-Russland-Alumni-Verband posten auf ihren Kanälen Werbevideos der russischen Firma. Die Organisationen können sich bei Alabuga um einen Zuschuss bewerben, wenn sie für das Unternehmen aus Tatarstan werben.

Und die Werbung zeigt Wirkung. Seit Beginn des Jahres 2023 stieg die Zahl der jungen Drohnenbauerinnen von 400 auf derzeit rund 1000. Die Frauen sind zwischen 18 und 22 Jahre alt und stammen aus insgesamt 85 Ländern. Ein großer Teil von ihnen kommt aus afrikanischen Staaten, darunter Kenia und Uganda.

Keine Schutzkleidung, permanente Überwachung

Dass die Arbeitsbedingungen in der russischen Fabrik alles andere als gut sind, sickert erst allmählich durch. „Eine Alabuga-Teilnehmerin schrieb mir aus Russland und hat mir erzählt, dass all diese Gehälter nicht der Realität entsprechen. Die Kosten für die Unterkunft werden vom Gehalt abgezogen“, berichtet Nicole Letaru. Die ungandische Influencerin stellt in ihrem YouTube-Kanal Jobs auf der ganzen Welt vor und hat 2024 auch für Alabuga geworben.

Journalisten der ugandischen Tageszeitung New Vision ist es gelungen, per WhatsApp mit weiteren Alabuga-Arbeiterinnen in Kontakt zu treten. „Wir werden permanent überwacht“, schrieb ihnen eine der Frauen im November 2024. Sie könne deswegen nicht offen berichten. Der US-Nachrichtenagentur AP wurden Handyvideos aus Alabuga zugespielt, die Ausschläge auf Händen und Gesicht zeigen. Zurückzuführen sind sie auf das Fehlen von Schutzkleidung beim Umgang mit Lacken.

Ukraine attackiert Drohnenfabrik

Doch die Arbeit in der geheimen Drohnenfabrik kann sogar lebensgefährlich sein. Seit 2024 habe es mehrere ukrainische Angriffe auf das Firmengelände gegeben, berichtet Drohnenspezialist Spencer Faragasso. Er hat Videos und Satellitenbilder von den Militärschlägen ausgewertet. „Beim ersten Angriff gelang es den Ukrainern, ein mit Sprengstoff beladenes Propellerflugzeug in die Wohnheime zu fliegen. Es gab mehrere Verletzte. Aber unseres Wissens nach ist niemand gestorben“, sagt er.

Im April 2025 sei Alabuga erneut angegriffen worden. Faragasso: „Die Ukraine nutzte eine ähnliche Strategie, aber mit mehr Zerstörungskraft. Diesmal wurden die meisten von der Luftabwehr abgefangen. Satellitenbilder zeigen nur einen Krater auf dem Gelände neben der Halle, wo die Shahed-Drohnen gefertigt werden.“

Dass niemand verletzt wurde, ist wohl dem Umstand zu verdanken, dass Russland die Anlage inzwischen besser schützt. Satellitenbilder vom September 2024 deuten darauf hin, dass eine Luftabwehranlage errichtet und Schutzbunker ausgehoben wurden. Mit Erfolg: Im Dezember 2024 wurde ein weiterer Angriff abgewehrt. Doch die Ukraine hat das Gelände nach wie vor im Visier, so Faragasso. 

Russische Botschaft spricht von „falsche Anschuldigungen“

Immerhin berichteten die Medien in Afrika inzwischen über die Zustände bei der Firma. Die kenianische Wochenzeitung „The East African“ etwa titelte im Mai 2025 „Der Horror der ostafrikanischen Frauen, die für den Russlandkrieg Drohnen fertigen“. Die russische Botschaft in Kenia reagierte prompt. Von einer „großangelegten Desinformationskampagne“ ist auf deren Webseite die Rede. Dies seien alles „falsche Anschuldigungen“. Auf Anfrage will sich die Botschaft jedoch nicht weiter äußern.

Trotz solcher Berichte hat Alabuga mit einigen Regierungen neue Abkommen unterzeichnet, beispielsweise mit Sambia im September und mit Madagaskar im November 2024. Mit weiteren Ländern sind Verhandlungen im Gange. Kenias Botschafter hat Alabuga im Mai 2025 besucht, nur wenige Wochen nach dem Angriff auf die Fabrik. Er war beeindruckt, wie er sagte.

Alabuga rekrutiert unterdessen kräftig weiter. Satellitenbilder zeigen, dass derzeit neue Unterkünfte für Arbeiterinnen gebaut werden.

Beitrag: Simone Schlindwein, Onlinetext: tmk