Zu Beginn der Podiumsdiskussion recken und strecken wir uns erst einmal. Den Impuls dazu hat Maria Ritt von den Nacht(sch)lichter*innen der Dresdner Neustadt gegeben. Die Konfliktforscherin und ihr Kollege Alessandro Finke, Nachtbürgermeister im Bezirk, geben Einblick in die Arbeit des Teams, welches seit 2021 auf den nächtlichen Straßen im Viertel unterwegs ist – insbesondere an der sogenannten „Schiefen Ecke“, der Kreuzung Louisenstraße/Rothenburger Straße/Görlitzer Straße.
Die Nacht(sch)lichter*innen sind die städtische Antwort auf eine Klage wegen Lärm, welche 2021 gegen die Stadt Dresden einging. Mit ihrer Arbeit verfolgen sie einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, setzen auf Prävention und darauf, Angebote zu machen.
Wir sind auf der MiNa, der Mitteldeutschen Nachtkulturkonferenz. Sie findet in diesem Jahr zum zweiten Mal statt, die „Premiere“ wurde 2024 in der Moritzbastei in Leipzig gefeiert. Dieses Mal kommen Akteur*innen der Nachtkultur, zivilgesellschaftlicher Bündnisse überhaupt alle, die es interessiert, auf dem Gelände des Experimentariums imaginata in Jena zusammen.
Die Schirmherrschaft für die Konferenz hat die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Elisabeth Kaiser (SPD), übernommen und tritt damit in die Fußstapfen ihres Vorgängers und Parteikollegen Carsten Schneider.
Zwei Tage lang wird in verschiedenen Workshops, Panels und Podien diskutiert über Themen wie barrierefreie Öffentlichkeitsarbeit, die Gründung eines Clubs oder wirksames Konfliktmanagement – beispielsweise, wenn Veranstaltungsräume und Anwohnende nicht die gleiche Vorstellung von akzeptabler Lärmbelastung haben.
Es werden Fragen aufgeworfen nach einer möglichen Infiltrierung der Kultur durch rechte Strömungen oder nach Möglichkeiten, junge Menschen stärker in der Nachtkultur zu beteiligen. Zu der Konferenz sind Menschen aus allen Teilen Deutschlands angereist, man möchte voneinander lernen.
Nächtliche Interessen vereinen
In der bereits erwähnten Podiumsdiskussion stellen nicht nur Maria und Alessandro ihre Arbeit vor. Jelte Mertens aus Bremen berichtet von ihrer Tätigkeit im Team des Sicherheitsdienstes L’Unita, welches neben Security-Dienstleistungen auch das Thema Awareness abdeckt – auf Partys, Stadtfesten oder manchmal sogar auf Konzerttourneen mit verschiedenen Künstler*innen.
Ähnlich arbeiten auch die Teams von thinkSI³ aus Berlin – dort, wo Menschen (nachts) zusammenkommen, wo verschiedene Interessen aufeinanderprallen (können), wo oftmals der Konsum von Alkohol oder anderen Drogen eine Rolle spielt, wo gefeiert wird. Laura Kleine und Varvara Porodkina erzählen von dem Ansatz des Projektes, verschiedene Konzepte in unterschiedlichen Räumen anzuwenden: Es gibt Park- und Kiezläufer*innen, Bahnhofsläufer*innen, Nachtlichter, Awareness-Teams.
Sie alle wollen mit ihrer Arbeit dazu beitragen, öffentliche Orte sicherer für Besucher*innen zu gestalten, Anlaufstelle sein für hilfebedürftige Personen und dabei helfen, Konflikte zu lösen. In den Teams kommen Personen mit unterschiedlichen Hintergründen zusammen: Kommunikations- & Sozialwissenschaftler*innen, Sicherheitsexperten, Künstler*innen und Landschaftsarchitekt*innen und weitere.
Ob Dresdener Neustadt, Berlin oder Bremen – alle Vortragenden berichten auch von den Schwierigkeiten, mit welchen sie in der nächtlichen Arbeit konfrontiert sind, von psychischer Belastung und dem Wunsch nach besseren Unterstützungsstrukturen. Psychologische Betreuung für die Teams, welche nachts unterwegs sind, ist rar.
Dabei nehmen sie Ordnungsamt und Polizei viel Arbeit ab. Problematisch sei außerdem, dass Awareness kein bundesweiter Begriff sei, führt Jelte Mertens an. Dadurch könnten bundesweit Standards verlorengehen.
Das Thema Awareness und die Frage nach der Verantwortung von Clubs und Veranstaltungsorten kommt in einem ganz anderen Panel am nächsten Tag auch wieder auf. Es geht um Jugendbeteiligung und die Frage nach der Mitgestaltung der Nacht durch junge Menschen. Letztere sind in dem Fall Personen im Alter ab 14 Jahren, bis etwa 30 ist man gerade noch dabei.
Hanne Alex Josi Hohmann von J-TownSessions e. V. Jena (JTS) hat die Lacher auf ihrer Seite, als sie weitere Unterkategorien innerhalb dieser Altersspanne einordnet – da gibt es Juniors und Seniors etc.
Hanne ist Vorstandsmitglied des Vereins, der Partys und Veranstaltungen in Jena organisiert, aber auch Unterstützung bietet bei der Planung und Durchführung von Veranstaltungen sowie bei der Umsetzung eines Awareness-Konzeptes. Die Vereinsmitglieder sind zwischen 16 und 23 Jahre alt – sie wissen, wovon sie sprechen, wenn es darum geht, wie junge Menschen feiern (wollen).
Neben ihrer Tätigkeit bei JTS ist Hanne auch stellvertretende Vorsitzende des Beirat Soziokultur in Jena. Fragt man sie, wie es gelingen kann, junge Menschen dazu zu bringen, sich zu beteiligen, ist ihre Antwort ganz klar: Einfach machen. Vorzeigen, wie es geht – da geht sie als Beispiel voran.
„Durch Neugier entstehen blöde Ideen“
Laut einer Umfrage unter den Besucher*innen der JTS-Parties wünschen sich viele der jungen Feiernden einen zeitigeren Party-Beginn. Mit diesem Wunsch liegen sie wahrscheinlich gar nicht so weit entfernt von „älteren Kolleg*innen“, die sich im Flow von Familien- und Berufsleben vermehrt auf tagsüber stattfindenden Raves tummeln. Viele der Befragten gaben als Hürden im Nachtleben auch die hohen Eintritts- und Getränkepreise an.
Feiern und Vergnügen muss man sich in Zeiten von Inflation leisten können, Orte ohne Konsumzwang gibt es nicht viele – schon gar nicht, wenn die Temperaturen kühler und Parkflächen ungemütlicher werden.
Ebenso eine Rolle beim Feiern spielen für die Jugendlichen die Themen Sicherheit und Drogenkonsum. Über letzteren klärt der Verein auf seinen Veranstaltungen auf – wenn die Gäste über 18 Jahre alt sind. Auf Partys mit Publikum ab 14 Jahren wird weder Alkohol ausgeschenkt noch Informationsmaterial über chemische Drogen ausgegeben.
Dass konsumiert wird, ließe sich trotzdem nicht verhindern, sagt Hanne. Für sie ist klar, dass viele Jugendliche sich ausprobieren wollen. „Es ist mir lieber, eine 16-Jährige raucht und trinkt auf einer unserer Partys, wo es Ansprechpersonen gibt, wenn etwas schiefgeht“, so die 21-Jährige. „Durch Verbote entsteht nur Neugier und durch Neugier entstehen blöde Ideen.“
Dass die Partygäste sicher nach Hause kommen, dafür können aber auch die Mitglieder von JTS nicht Sorge tragen. Schnell entsteht im Publikum die Diskussion darüber, ob die heutigen Zeiten unsicherer geworden seien oder ob auch Eltern mit mehr Sorgen dazu beitragen, dass ihre Kinder sich unsicherer fühlen. Trägt die Sensibilisierung über Szenarien, die passieren könnten, dazu bei, dass das allgemeine Sicherheitsempfinden sinkt? Das Panel endet mit der Frage: „Müssen wir mehr Vertrauen in die junge Generation lernen?“
Blick nach Rechts
Dass die Gesellschaft gut daran tut, auch von ihren jungen Mitgliedern zu lernen, wird deutlich in der Diskussion, die sich mit den Folgen der politischen Entwicklung im Osten für die kulturelle Infrastruktur auseinandersetzt. Unter dem Titel „Rechts abgebogen? Nicht mit uns!“ diskutieren Lena Lehmann vom Miteinander e. V. Sachsen-Anhalt, Grünen-Politiker Max Reschke und Mitglied des Netzwerks Buntes Weimarer Land, Ernesto Uhlmann vom Atomino Chemnitz und Jakob Rau, welcher sich bei SOE gegen Rechts im Landkreis Sächsische Schweiz Osterzgebirge engagiert.
Jakob ist 18 Jahre alt, politisch aktiv wurde er mit 13 Jahren. Er berichtet davon, wie junge Menschen in Pirna und Umgebung antifaschistische Aktionen und Anti-AfD-Proteste organisieren – ganz nach dem Motto „Was wir nicht machen, macht sonst keiner“.
„Die Herausforderungen, vor denen wir momentan stehen, sind groß“, bekräftigt Max Reschke das Bild, das Jakob zeichnet. Erst einen Tag zuvor saß Max im Apoldaer Stadtrat und erlebte mit, wie das Gremium den Austritt aus der europäischen Städtekoalition gegen Rassismus beschloss. Der Antrag dazu war vom Bürgermeister selbst gekommen. Gleichzeitig „knackte“ die Stadt in diesem Jahre die 200er-Marke rassistischer Überfälle.
Lena Lehmann kennt solche Szenarien, welche sich derzeit (noch) abseits der Großstädte abspielen. „Rechte Kräfte haben in den letzten Jahren viel dafür getan, Toleranzgrenzen zu unterwandern. Oftmals, wenn sie für die Arbeit im Verein im ländlichen Raum unterwegs ist, begegnet sie Menschen, die es sich mit antifaschistischem Engagement mit der Dorfgemeinschaft verscherzt haben. Während des Panels spricht sie sich dafür aus, dass „Institutionen, die sich als demokratisch verstehen, Position beziehen“.
Aufgrund des Zweckneutralitätsgebots, welches an die Ausgabe von Fördermitteln geknüpft ist, fände das oft einfach nicht statt. Das nutzen auch rechte Kräfte aus, welche versuchen, (sozio-)kulturellen Einrichtungen, die ihnen aufgrund ihrer politischen Ausrichtung ein Dorn im Auge sind, nach und nach den Geldhahn abdrehen.
Dazu muss man nicht ins „Hinterland“ blicken – Leipzigs AfD-Fraktion hatte in der Vergangenheit schon mehrfach versucht, mit Anträgen Einrichtungen wie dem Conne Island in Connewitz Gelder zu streichen. Unterstützt werden sie dabei inzwischen öfter auch von CDU und BSW.
Gerade in kleineren Orten komme das einem Rufmord gleich, so Lena. Soziales Canceln, nennt sie es. Umso wichtiger sei es, Formate auf die Beine zu stellen, die Personen verschiedenster Hintergründe an einen Tisch bringen. „Man muss dem Ort gefallen – auch den Konservativen.“
Vor allem Kindern und Jugendlichen gilt es, (kulturelle) Räume zum Ausprobieren zu schaffen und ihre Stärken zu fördern. Wo Jugendclubs und Co. dichtmachen, haben rechte Akteur*innen oft ein leichtes Spiel bei den jungen Menschen.
Den Kampf aufgeben? Keine Option. „Ich bin Optimistin und ich kann nicht anders“, bekräftigt Lena. Ihre Mitdiskutierenden und das Publikum nicken. Denn am Ende geht es um die Welt, in der wir leben wollen.