Elke Heidenreich muss nichts und niemanden mehr etwas beweisen. Auf ihren Wegen zwischen Volksnähe und Intellekt hat sie eigentlich schon alles und jeden erreicht. Von ihrer Grimmepreis-geehrten Metzgersgattin Else Stratmann aus Wanne-Eickel bis hin zur einflussreichsten Literaturkritikerin im Format „Lesen!“, mit dem sie auf dem Sendeplatz des „Literarischen Quartetts“ höhere Einschaltquoten hatte als ihr Vorgänger. Allerdings gab Marcel Reich-Ranicki auch den Anstoß für das Ende von Elke Heidenreichs ZDF-Karriere. Nach dessen öffentlichkeitswirksamer Ablehnung des Deutschen Fernsehpreises schämte sie sich in einem Artikel für die „FAZ“ solidarisch mit über den „kulturlosen Haufen“ im Sender – und provozierte so ihre Kündigung. Das war 2008. Wie viel Anerkennung brächte wohl heute ein Rausschmiss aus der Anstalt?

Meistverkauftes Buch 2024

Geschadet hat es Elke Heidenreich jedenfalls nicht, die weiterhin ein großes Publikum erreichte. Aber dass ihr nun mit 111 Seiten „Altern“ das meistverkaufte Buch 2024 gelungen ist, noch vor den 736 Seiten „Freiheit“ einer gewissen Angela Merkel, die allerdings auch erst zum Weihnachtsgeschäft auf den Markt geworfen wurden? Diesen „bombastischen Erfolg“ habe sie selbst nicht fassen können. Zumal sie ihn gar nicht wollte, beziehungsweise: Als sie der Hanser-Verlag um einen Beitrag für die Reihe „Das Leben lesen“ bat, habe sie gleich an das Thema „Wohnen“ gedacht. Schließlich ist sie in ihrem Leben 23-mal umgezogen. Aber über das Alter? „Auf keinen Fall“ – um sich bald darauf zu sagen: „Wer, wenn nicht ich?“ Und so nimmt sie mit ihren 82 Jahren am Dienstagabend auf der Bühne des ausverkauften Renitenztheaters Platz.

Aber Elke Heidenreich ist trotz gelegentlicher Husten- und Räusperattacken in ihrem Auftreten munter genug. Beim „Altern“ fängt sie mit dem Anfang an, der zeigt, dass es immer mindestens zwei Lesarten gibt, auch der eigenen Biografie. Auf die Aufzählungen zu „ich habe mein Leben komplett in den Sand gesetzt“ folgt ein „ich hatte ein unfassbar wunderbares Leben“. Obwohl sie Krankheit seit ihrer Kindheit kenne, weiß sie: „Ich bin privilegiert und kann mir solche Gedankenspiele leisten.“

Dabei liegt es Elke Heidenreich fern, negative Aspekte des Alterns auszublenden, aber zwischen „Defiziten und Zugewinn“ findet sie wohltuende Worte: für „die Falten, die man sich erworben hat“, oder das nachts zwischen drei und fünf Uhr wach liegen. Selbst Anstrengendes klingt mit einem „na und?“ leichter, etwa dass das Anziehen von Strumpfhosen zu mühsam sei und sie deswegen kaum noch Röcke trage.

Lastenräder ab in die Hölle

„Altwerden ist nichts für Feiglinge“, zitiert sie Bette Davis. Joachim Fuchsberger überschrieb ein ganzes Buch so und verschärfte den Spruch nach einem Schlaganfall zu „Altwerden ist scheiße“. Auch das darf man sagen. Bei aller Gelassenheit „in hysterischen Zeiten“ muss sie aber sagen: „Wir sind doch nicht nur die alten selbstsüchtigen Deppen, die den heute Jungen das alles eingebrockt haben.“ Sie wettert zwar auch gegen die Großindustrie, gegen Trump und all die anderen durchdrehenden Herrscher dieser Welt, will aber nicht auf jeder Welle mitreiten und hofft, dass „Lastenräder bald in der Hölle der Entbehrlichkeiten verschwinden“.

So hinterlässt Elke Heidenreich auch im Renitenztheater viel Bleibendes, mindestens die Anregung: Altern? So könnte es gehen. Sei es wie bei ihr mit einem kleinen Hund oder im Sinne von Keith Richards: „Ein Mittag- oder Abendessen ohne ein Glas Wein ist lächerlich.“