Stand: 17.09.2025 16:15 Uhr

Im Sprengel Museum sind erstmals Werke der Pop-Art-Ikonen Niki de Saint Phalle, Yayoi Kusama und Takashi Murakami vereint zu sehen. Hinter den bunten Oberflächen verbergen sich Abgründe aus Gewalt und Angst.


Jonas Kühlberg

Kristina Blaschke-Walther steht mit ihrer Taschenlampe im „Infinity Room“ und prüft jeden Spiegel millimetergenau. „Drei Flaschen Glasreiniger“, sagt die Restauratorin des Sprengel Museums und lächelt, „mehr brauchen wir nicht für die Unendlichkeit“.

Im „Infinity Room“ der Künstlerin Yayoi Kusama ist jede Wand mit Spiegeln ausgestattet, im Raum befinden sich bunte LED-Kugeln – so entsteht ein immersives Erlebnis mit pulsierendem Licht. Damit der Effekt so bleibt, müssen die Restauratoren allerdings selbst Hand anlegen – und putzen. Hinter dem größten Kunstereignis des Jahres in Niedersachsen steckt akribische Handarbeit.

Seit dem 6. September vereint das Sprengel Museum Hannover erstmals drei Ikonen der Pop-Art: Niki de Saint Phalle (1930-2002), Yayoi Kusama und Takashi Murakami. Bis zum Ende der Ausstellung werden 200.000 Besucher erwartet. Mehr als 110 Exponate verteilen sich auf 2.000 Quadratmetern, in zwölf thematischen Räumen. Der Titel „Love You for Infinity“ klingt wie ein Popsong – und das ist kein Zufall.


Bilderstrecke
Drei Ikonen der Kunst – eine Ausstellung

Farbe und Pop für die Landeshauptstadt

Es ist eine Anspielung auf die Kunstgeschichte der Landeshauptstadt. 1974 stellte Hannover drei monumentale Nana-Skulpturen am Leineufer auf. Die einen sahen darin eine Verschandelung, die anderen den Aufbruch in eine visionäre Zukunft. Es kam zu hitzigen Debatten und einem öffentlichen Tauziehen zwischen Befürwortern und Gegnern. Die Befürworter setzten sich durch. Hannover gewann drei neue Wahrzeichen.

Die Stadt brauche manchmal „ein bisschen einen Schub von außen“, erklärt Museumsdirektor Reinhard Spieler, einen Impuls, „sich auf Lebensfreude, auf Farbe, auf Pop einzulassen.“ Diesen Impuls hatte die französisch-schweizerische Künstlerin Niki de Saint Phalle der damals als etwas spröde geltenden niedersächsischen Landeshauptstadt verpasst. Im Jahr 2000 schenkte sie dem Sprengel Museum mehr als 400 Werke. Heute gibt es hier die weltweit größte Sammlung ihrer Kunst.

Auch das Kunstwerk „Skull, Medition Room“von Niki de Saint Phalle ist in der Ausstellung zu sehen.

Mit Gewehren auf Bilder geschossen

Doch in Nikis Leben herrschte keine bunte Unbeschwertheit. Als Teenager wurde sie vom eigenen Vater mehrere Jahre lang sexuell missbraucht. Ihr Trauma verarbeitete sie in radikaler Kunst. Sie schoss mit Gewehren auf ihre Bilder, ließ Farbbeutel platzen, Kunstwerke bluten.

Dahinter verbarg sich aber auch eine Kritik am damaligen Kunstbetrieb, sagt Sprengel-Direktor Reinhard Spieler im Interview mit der tagesschau: „Sie schießt auf die bürgerliche Kunst, die damals natürlich männlich konnotiert war.“ Ihre „Schießbilder“ der frühen 1960er-Jahre waren Befreiungsakte und feministische Statements zugleich – lange bevor die soziale Bewegung #MeToo zu einem globalen Phänomen wurde.

Yayoi Kusama teilt mit Niki de Saint Phalle die Verarbeitung traumatischer Erfahrungen durch Kunst. Die heute 96-jährige Japanerin litt schon als Kind unter Halluzinationen. Ihre Mutter zwang sie, den untreuen Vater zu beobachten und ihr davon zu berichten. Diese frühe Instrumentalisierung prägte Kusamas gesamtes Werk. Zu ihrem Markenzeichen wurden ihre obsessiven „Polka-Dots“, die aus Halluzinationen geboren waren.

Seit Jahrzehnten lebt sie freiwillig in einer psychiatrischen Klinik, von wo aus sie den globalen Kunstmarkt eroberte. Ihre „Infinity Rooms“ sind heute Magneten für die Social-Media-Generation. Einer davon ist jetzt auch in der Ausstellung zu beobachten. „Man ist mittendrin in diesem Universum“, beschreibt ein Spieler das Erlebnis, „es gibt kein Oben, kein Unten. Man ist komplett schwerelos.“

Die „Superflat-Skulptur“ von Takashi Murakami. Seine lachenden Emoji-Blumen stehen nicht nur in Museen, sondern zieren auch Handtaschen oder sind in Musikvideos US-amerikanischer Künstler zu sehen.

Totenköpfe hinter bunten Blumen

Takashi Murakami, Jahrgang 1962, komplettiert das Trio. Der promovierte Kunsthistoriker führt seine Kunst wie ein Unternehmen: Kaikai Kiki beschäftigt über 100 Mitarbeiter und produziert nicht nur Kunst, sondern auch Filme, Mode und Merchandising. Anfang der 2000er revolutionierte er die Louis-Vuitton-Kollektion, nach über 100 Jahren Firmengeschichte.

Seine lachenden Emoji-Blumen stehen deshalb nicht nur in Museen, sondern zieren heute auch Handtaschen oder sind in Musikvideos US-amerikanischer Künstler zu sehen. „Superflat“ nennt Murakami seine Philosophie: keine Trennung zwischen „High“ and „Low“, zwischen fernöstlicher Hochkunst und westlich-kommerzialisierter Konsumkultur.

Doch auch bei ihm lauert das Trauma unter der bunten Oberfläche. Seine Mutter stammt aus Kokura, ursprünglich das Ziel der Atombombe, die über Nagasaki abgeworfen wurde. Diese und andere Geschichten von knapp verfehlter Auslöschung durchziehen sein Werk. Wenn man genau hinsieht, kann man hinter fröhlichen Blumen oft auch Totenköpfe entdecken.

Takashi Murakami produziert nicht nur Kunst, sondern auch Filme, Mode und Merchandising. Anfang der 2000er designte er für die Luxusmarke Louis Vuitton Taschen.

„Persönlicher Schmerz in universeller Kunst“

Was verbindet diese drei so unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten? „Jeder hat es geschafft, ein Key Visual zu schaffen, das man sofort erkennt“, analysiert Museumsdirektor Reinhard Spieler. Nanas, Punkte, Blumen: Es sind drei unverwechselbare Markenzeichen, die zu globalen Ikonen wurden. Alle drei verwandeln persönlichen Schmerz in universelle Kunst.

„Hinter der scheinbar bunten, positiven Oberfläche verbergen sich oft existenzielle Themen“, erklärt Spieler. „Aggression, Gewalt, Tod, Angst. Man kann sich mit solchen Themen beschäftigen, und trotzdem kann es Spaß machen.“ Diese Gleichzeitigkeit von Trauma und Lebensfreude, von Abgrund und Pop macht die Ausstellung im Sprengel zum Ereignis.

Im Vordergrund steht das Kunstwerk Oval Buddha Silver (2008) von Takashi Murakami, dahinter sie Skulptur von „Obelisque de miroirs“ von Niki de Saint Phalle.

13 Menschen für den Aufbau einer Skulptur

Während Kristina Blaschke-Walther vor der Eröffnung letztmals Hand anlegt, wird die Dimension des Unterfangens deutlich: 22 Kisten schwer war allein Kusamas „Infinity Room“. Mit dem Aufbau einer der Murakami-Skulpturen waren 13 Menschen eineinhalb Tage lang beschäftigt. „Wann hat man mit solchen Werken so nah zu tun?“, fragt sich die Restauratorin. Auch für sie sei das ein Privileg.