Vor zwei Wochen sorgten die Füchse Berlin mit dem Aus von Stefan Kretzschmar und Jaron Siewert für ein Handball-Beben. Seitdem läuft es nicht mehr rund bei den Berlinern.
Zumindest das Lachen ist Mathias Gidsel nicht vergangen. Mit einem sehr freundlichen Gesichtsausdruck steht der aktuell beste Handballer der Welt am Dienstag im Trainingszentrum der Füchse Berlin. Gidsels Lächeln wirkt ehrlich, weil Gidsel ohnehin sehr oft ehrlich lächelt. Und dennoch arbeitet es in diesen Tagen spürbar mehr im Kopf und auch im Gesicht des Dänen.
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Sportliche Dämpfer inmitten des personellen Chaos
Zwei deftige Niederlagen gegen Magdeburg und Gummersbach haben nicht nur den eigentlich guten Saisonstart der Füchse zuletzt zunichte gemacht. Sie haben auch den Titelambitionen des Titelverteidigers zwei möglicherweise folgenschwere Dämpfer verpasst. Und dennoch wirken sie nahezu unbedeutend im Vergleich zu dem großen Chaos, das bei den Füchsen im Verein aktuell herrscht und auch die Niederlagen mit bedingt.
Zur Erinnerung: Vor knapp zwei Wochen hatten die Berliner um Geschäftsführer Bob Hanning mit den sofortigen Entlassungen von Sportvorstand Stefan Kretzschmar und Trainer Jaron Siewert für ein Beben gesorgt, das über die Grenzen des Handballs hinaus spürbar war. Kretzschmar hatte zu diesem Zeitpunkt bereits angekündigt, seinen bis Sommer 2026 laufenden Vertrag nicht verlängern zu wollen.
Aber Jaron Siewert? Der ging davon aus, bei seinem Treffen mit den Füchse-Verantwortlichen am 04. September eine bereits ausgehandelte Vertragsverlängerung zu unterschreiben. Stattdessen wurde er freigestellt. Bob Hanning – nicht weniger als Siewerts sportlicher Ziehvater – entschuldigte sich salbungsvoll für den Rausschmiss, rechtfertige ihn mit öffentlichem Druck und wurde dafür zuletzt von den Füchse-Fans hemmungslos ausgepfiffen.
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„Wir sind ja auch Menschen und keine Maschinen“
„Wir merken natürlich die Unruhe“, sagt Mathias Gidsel am Dienstag und ergänzt: „Wir befinden uns in einer sehr schwierigen Phase.“ Wenn Gidsel von diesen Schwierigkeiten spricht, meint er die sportlichen. Das Drumherum zu kommentieren, bringe schließlich nichts, sagt er, „weil unsere Verantwortung auf dem Platz liegt.“ Und dennoch bestreitet auch Gidsel die entstehenden Wechselwirkungen nicht: „Wir sind ja auch Menschen und keine Maschinen, die einfach so weitermachen können, wie im letzten Jahr.“
Ohnehin waren die jüngsten beiden Bundesligaauftritte der Füchse keinesfalls unerklärbar, ja nicht einmal wirklich überraschend. Es wäre auch nicht überraschend, wenn die Füchse am Donnerstag (18:45 Uhr) auch noch ihr Champions-League-Heimspiel gegen den dänischen Topklub Aalborg Handbold verlieren. Zu hart war der Cut weg von Siewert hin zum neuen Trainer Nicolej Krickau. „Wir hatten bislang keine echte Möglichkeit, mit ihm mal richtig zu trainieren“, sagt Gidsel.
Nicolej Krickau tritt in große Fußstapfen
Trainerwechsel innerhalb einer Saison bringen generell nur schwer kalkulierbare Folgen mit sich. Umso mehr, wenn der entlassene Trainer seine Mannschaft jahrelang geformt und gerade zur ersten Deutschen Meisterschaft der Vereinsgeschichte geführt hat. Auch Nicolej Krickau weiß das. „Die Spieler haben genug Entschuldigungen“, sagt der dänische Trainer über die jüngsten Niederlagen.
Gleiches gilt auch für den 38-jährigen selbst. Krickau muss im Eiltempo in Siewerts sehr große Fußstapfen treten, obwohl diese im matschigen Chaos der Füchse noch nicht einmal wirklich getrocknet sind. Druckvoll kommt hinzu, dass Siewert überhaupt nur so kurzfristig gehen musste, weil Bob Hanning Krickau so unbedingt in dessen neuer Doppelfunktion aus Sportdirektor und Trainer verpflichten wollte.
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Kennenlernen im Eiltempo
In dieser Doppelfunktion muss Krickau nun im Eiltempo das aktuell sportlich schlingernde Schiff der Füchse stabilisieren. Taktik sei dabei nebensächlich, sagt er, „ich muss die Spieler kennenlernen.“ Normalerweise habe man als Trainer vor einer Saison knappe zwei Monate lang Zeit, um in vielen individuellen Gesprächen die Bedürfnisse, Ecken und Kanten seiner Schützlinge kennenzulernen, sagt Krickau, „das müssen wir jetzt nebenbei erledigen.“
Dabei ist Krickau aktuell natürlich auch als Moderator einer komplizierten Gesamtsituation gefordert. Er muss seine Schützlinge durch die Diskussionen führen, die es rund um die Füchse aktuell gibt. „Wir müssen akzeptieren, dass dieses Thema um uns herum existiert“, sagt Krickau, „aber wir haben uns heute zusammen den Plan gemacht, dass wir unsere Welt ein bisschen kleiner machen wollen.“
Gidsel erwartet eine Reaktion
Krickau wird diesen Plan sicherlich auch in Abstimmung mit seinem Anführer und Landsmann Gidsel geschmiedet haben. Das Duo kennt sich aus seiner gemeinsamen dänischen Vergangenheit bei GOG Håndbold bestens. Genauso, wie Mathias Gidsel auch die Mechanismen bestens kennt, die seine Füchse nun zurück aus dem kleinen Tief herausführen sollen. „Du kannst in Gummersbach verlieren“, sagt Gidsel, „aber es ist nicht in Ordnung, wie wir uns präsentiert haben. Da war keine Reaktion, keine Energie – das tut weh.“
Deswegen erwartet der Däne nun genau das von seiner Mannschaft: eine Reaktion. „Vielleicht werfen wir in dieser Phase einmal mehr daneben, das ist egal. Aber wir müssen fighten“, sagt Gidsel und lächelt ein kleines bisschen kämpferischer als zuvor.
Sendung: rbb DER TAG, 16.09.2025, 18:30 Uhr