Die Gespanne werden vor über 100 Jahren im Hof der Brauerei Dinkelacker an der Tübinger Straße beladen. Heute tanzen Raver bei der Brewery Session des StR.711 Kollektivs auf dem Areal. Foto: Dinkelacker
Carl Dinkelacker gründete 1888 seine Brauerei. Heute tanzen Raver auf dem Areal – und machen Bier für die junge Generation wieder cool. Die Geschichte einer Familienbrauerei.
Immer dann, wenn Bier gebraut wird, liegt über der Tübinger Straße ein süßlicher Duft. Dann riecht es nach Malz und zugleich nach Geschichte. Der 50 Meter hohe Schornstein ragt über den Backsteinmauern hinaus in die Höhe, sieht aus wie ein steinernes Denkmal und ist immer noch im Betrieb.
Den Ravern, die unter dem Schornstein tanzen, gefällt dieses Ambiente. Ein historischer Dancefloor hat seinen besonderen Reiz. Das Dinkelacker-Areal, das bis ins Jahr 1888 zurückgeht, vereint Tradition und Zukunft.
Mit 26 Jahren gründete Carl Dinkelacker seine Brauerei
Bundesweit klagen Brauereien über Umsatzverluste. Im Stuttgarter Süden will Dinkelacker bei der nun zweiten, erneut ausverkauften Brewery Session des StR.711 Kollektivs open air vorführen, wie cool Bier sein kann. Für die Markenbildung muss gerade bei jungen Leuten etwas getan werden.
Carl Dinkelacker war gerade mal 26 Jahre alt, als er im Jahr 1888 den Mut hatte, eine Brauerei zu gründen. Damit war er keineswegs ein Pionier in Stuttgart. Vor ihm hatten schon Ernst Wulle und Robert Leicht (Chef von Schwabenbräu) ihre unternehmerische Leidenschaft dem Bier gewidmet.
Die Brewery Session des StR.711 Kollektivs auf dem Dinkelacker-Gelände Foto: Dinkelacker
Als die ersten Bierbrauer der Menschheit gelten die Sumerer. Vor etwa 6000 Jahren sollen sie im südlichen Mesopotamien (dem heutigen Irak) durch Zufall darauf gekommen sein, als ein vergorener Brotteig zu einem „Göttertrank“ führte. Grundstein für das Brauwesen, wie man es heute in unseren Breiten kennt, legten die Mönche im Mittelalter in der Fastenzeit. Stuttgart allerdings war Weinstadt. Über Jahrhunderte war Bier unerwünscht. 1630 notierte die Stadtchronik streng: „Die Bierbrauerei kommt auf, wird aber mit Rücksicht auf den Weinbau wieder verboten.“ Erst Herzog Eberhard III. erlaubte das Brauen wieder – weil der Wein nicht mehr für alle reichte.
Tiefe Stollen in die Karlshöhe gebohrt
Für seinen Firmensitz an der Tübinger Straße, die sich damals noch außerhalb von Stuttgart befand, entschied sich Carl Dinkelacker aus gutem Grund: Zum Brauen und Lagern braucht man Kälte. Also ließ er tiefe Stollen in die Karlshöhe bohren. Noch heute können Besucherinnen und Besucher den Eingang bei den beliebten Brauereiführungen sehen. Damals hackte man im Winter Eis aus den Seen in Vaihingen, um es in Blöcken heranzuschaffen. Das CD-Pils trägt die Initialen des Firmengründers – auch die nachfolgenden Generationen gaben den Söhnen Vornamen mit einem C am Anfang.
Nur wenige Firmen in Stuttgart sind seit über 130 Jahren am selben Ort geblieben. Die Brauerei Dinkelacker, die sich bis heute im Familienbesitz befindet, ist damit ein industrielles Denkmal. Dort, wo Malz, die Seele des Bieres, angeliefert wird, wo hinter den Mauern die Öffentlichkeit normalerweise keinen Zugang hat, treffen sich neuerdings also Raver zum Techno-Tanz.
1971 kauft Dinkelacker den Konkurrenten Wulle auf
Auch die Firmengeschichte liest sich wie ein Tanz zwischen Aufstieg und Krise. 1971 fusionierte Dinkelacker mit Wulle, 1977 kam Sanwald hinzu, 1996 folgte Schwabenbräu (die Produktionsstätte in Vaihingen ist seitdem Vergangenheit) . Als der Konzern InBev 2003 Mehrheitseigner der Stuttgarter Traditionsbrauerei wurde, schien der Name Dinkelacker verloren.
Doch Ende 2006 geschah das Unerwartete: Wolfgang Dinkelacker kaufte das Unternehmen zurück – und brachte damit die Familie wieder ans Sudhaus. Seit dem 2. Januar 2007 ist Dinkelacker zusammen mit Schwaben Bräu unter dem Namen Dinkelacker-Schwaben Bräu GmbH & Co. KG ein eigenständiges Unternehmen im Familienbesitz.
Auslieferungsgespann um 1930. Foto: Dinkelacker
1971 hatte Dinkelacker den Konkurrenten Wulle aufgekauft und ruck-zuck vom Markt genommen. 37 Jahre lang durfte keiner mehr Wulle wollen. Seit 2008 aber wird das Bier mit der großen Tradition an der Tübinger Straße gebraut – und auf dem Volksfest gibt es wieder ein Wulle-Zelt.
Wo frühere Kutschen Malz lieferten, fahren heute Lastwagen vor. Und von Zeit zu Zeit erobern Techno-Fans das Gelände. Dinkelacker steht für ein Unternehmen zwischen Tradition und Aufbruch. An diesem Ort lebt die Vergangenheit auf – und gleichzeitig merkt man, dass die Gegenwart von der Zukunft gar nicht so weit entfernt ist. Das gute, alte Bier findet Fans auch in der jungen Generation.