Die Werkschau in München ist die größte Ausstellung Ihres Werkes in Europa – wie geht es Ihnen damit?
Miguel Chevalier: Es ist eine große Ehre, dass die Kunsthalle mir die Möglichkeit gibt, eine Auswahl der Werke aus meinen 40 Jahren Schaffenszeit zu zeigen. Die Kuratorin Fransziska Stöhr hat einen wunderbaren Parcours geschafen, der der Ausstellung einen roten Faden gibt und viele Eindrücke ermöglicht.
„Künstler haben immer die Mittel ihrer Zeit genutzt“
Ihr Werkzeug ist der Computer – warum?
Ich nutze Computer so, wie andere das Medium Fotografie oder Video nutzen. Künstler haben immer die Mittel ihrer Zeit genutzt. Ich versuche, mit den heutigen Werkzeugen meiner Zeit zu entsprechen. Ich habe schon in den 1980er Jahren begonnen, die Digitaltechnik zu erkunden. Nach all den Avantgarden des 20. Jahrhunderts, die die Malerei bis zur Minimal Art getrieben haben, fragte ich mich damals: Was muss ich tun? Und so kam ich dazu, mit computergestützten Werkzeugen zu arbeiten.
Viele Kunstwerke wurden eigens für die Ausstellung geschaffen. Wie entstehen diese multimedialen und interaktiven Werke?
Ich möchte mit meiner Arbeit nicht die digitale Welt verherrlichen, sondern zeigen, wie man Werke schaffen kann, die Installationen sind – generative Werke, die sich im Laufe der Zeit verändern, und interaktive Werke.
Wenn sich das Publikum bewegt, verändert sich das Werk, und wenn mehrere Personen anwesend sind, entsteht ein ganz anderes Ergebnis. Das macht die Besonderheit der digitalen Welt aus.
Diese Werke sind mit der Idee verbunden, dass man heute immaterielle Werke schaffen kann, aber auch etwas Virtuellem eine Materialität verleihen kann – ich kann postvirtuelle Skulpturen schaffen. Viele Künstler gehen heute von der Realität aus, um sich dem Virtuellen zu nähern. Ich gehe von einem algorithmischen Universum aus. Die Software ermöglicht es, Werke zu schaffen, deren Entwicklung ich anhalten kann: Ich kann mit einem 3D-Drucker daraus Skulpturen herstellen, digitale Keramiken oder mit einem Roboter ein Werk schaffen. Ich kann Verbindungen oder Traditionen, die wir kennen, wiederherstellen, aber mit einer digitalen Ästhetik.
Das Interessante an dieser Ausstellung ist, dass sowohl virtuelle als auch materielle Werke gezeigt werden. Das macht die Stärke dieser Ausstellung aus: Sie löst sich vom Bildschirm, um sich im Raum zu entfalten und Werke zu schaffen, die vollständig immersiv sein können.
„KI ist ein sehr mächtiges Werkzeug“
Wie bewerten Sie die Interaktion von Künstlicher Intelligenz und Kreativität?
Ich glaube nicht, was viele Künstler und Leute sagen – dass es vorbei ist, dass Künstler aufgrund von Künstlicher Intelligenz keine Ideen mehr haben können, dass es das Ende der Vorstellungskraft sein wird. Mit ermöglicht die KI eine Neuausrichtung meiner gesamten Arbeit, es eröffnet mir neue Möglichkeiten.
KI ist ein sehr mächtiges Werkzeug. Wer man keine genaue Vorstellung davon hat, was man machen will, bleibt es nur ein Werkzeug. Wir können sehr einfach Fotos machen mit unserem Smartphone. Aber ein Computer und die Künstliche Intelligenz haben kein Bewusstsein für das Bild.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
Chevalier: Es geht darum, wie man diese künstliche Intelligenz nutzt. Für das letzte Werk im Parcours der Ausstellung habe ich zunächst eine Datenbank mit Zeichnungen und Fotos angelegt. Mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz konnte ich eine neue Bilddatenbank mit Baumtexturen, Blättern und Blumen erstellen, wodurch Transparenzeffekte entstehen, die man mit Fotos oder von Hand nicht oder nur sehr schwer erzielen kann. Damit entsteht eine ganz neue Vorstellungswelt.
Ich würde die Arbeit eher als digitalen Impressionismus bezeichnen, eine Art Hommage an Monet, der zunächst mit seinen großformatigen Bildern versucht hat, in das Gemälde einzutreten und auch mit der Beziehung zur Zeit und zum Licht zu arbeiten.
In meinem Werk arbeite ich auch mit Licht und Zeit. Nur dass es um eine Serie von Bildern geht, die sich in dem Moment generiert, in dem wir sie sehen, und der Computer erstellt Tausende von Variationen. Sie werden nie wieder dasselbe Motiv sehen. Sie werden dieselben Elemente sehen, aber jedes Mal unterschiedliche Kompositionen.
Und das interessiert mich: wie man den Zufall nutzen kann. Der Zufall ist eine Quelle für Überraschungen und interessante Kompositionen. Und ich versuche, die richtigen Zutaten zu verwenden, um möglichst viele interessante Kompositionen zu erhalten.
„Ich beanspruche nicht die Software für mich, sondern den künstlerischen Teil, den man mit dieser Software schaffen kann“
Verändert sich damit die Rolle des Künstlers?
Das ist nichts Neues. Michelangelo arbeitete mit einer Gruppe von Assistenten zusammen, die ihm halfen, einen Teil der Körper zu gestalten, und er vollendete die Hände, den Kopf.
Ich bin nicht der Autor der Software. Ich lasse nach meinen Ideen produzieren. Ich arbeite mit Informatikern zusammen, die sich sehr gut mit Sensoren auskennen, mit Experten, die sich in ihren Bereichen sehr gut auskennen. Ich bringe Kompetenzen zusammen und entwickele maßgeschneiderte Software, die es auf dem Markt nicht gibt, die man nicht kaufen kann.
Ich beanspruche nicht die Software für mich, sondern den künstlerischen Teil, den man mit dieser Software schaffen kann. Mein Team verschafft mir das Werkzeug, damit ich die Werke schaffen kann, die Sie hier sehen.
Mit geht es darum, mit den heutigen Mitteln in meiner Zeit zu wirken und künstlerisch über unsere Welt zu sprechen. Ich will nicht die digitale Welt verherrlichen, sondern Werke schaffen, die Emotionen und Sensibilität wecken und über die Technik hinausgehen. Das ist es, was ich mit diesen Kreationen erreichen möchte.