Der Intendant der Staatsoper Stuttgart, Viktor Schoner, ist stolz auf den großen Zuspruch für das Programm der vergangenen Saison – und blickt voraus auf die neue Spielzeit.
Was kann ein Opernhaus tun, um wahrgenommen zu werden? Fragen an Viktor Schoner, der sich immer wieder für „die coolste und verrückteste aller Kulturtechniken“ begeistert.
Herr Schoner, in der vergangenen Stuttgarter Opernspielzeit gab es die höchste Auslastung seit 20 Jahren. Was ist der Grund dafür?
Die Vielfalt unseres Angebots. Auch in der neuen Saison bieten wir mit 135 Vorstellungen sehr viel „klassische“ Oper an, aber zwischendurch öffnen wir uns auch für andere Interessensgruppen. Mutmaßlich führt dieser Mix dann dazu, dass am Ende eine gute Zahl steht. Und es zeigt, dass wir nicht nur eine Staats-Oper sind, sondern auch als Stadt-Oper angenommen werden. Wichtige Mitstreiter in dieser Sache sind die Leute vom JOiN. Sie sind Trüffelschweine auf der Suche nach der Gesellschaft, in der wir leben.
Was muss ein Opernhaus heute leisten, um wahrgenommen zu werden?
Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit ist riesig. Wenn wir ein Konzert mit der Punkband Die Nerven machen, dann tun wir das vor allem für Menschen, die vielleicht erst dadurch erfahren, dass es uns überhaupt gibt. Und das ist extrem wichtig.
Braucht das Publikum „Events“?
Das ist wie in einem guten Restaurant: Man braucht einen guten Grund, dort hinzugehen und dafür Geld auszugeben. Und man sollte so rausgehen, dass man Lust hat wiederzukommen. Wir haben einen großen Abonnentenstamm, aber der kann natürlich noch wachsen. Ansonsten: Nennen wir es nicht „Event“. Nennen wir es Aufregung, Stadtgespräch, vielleicht einfach: Enthusiasmus! Idealerweise bringt eine Aufführung Inspiration, die dafür sorgt, dass wir mal hinaustreten aus unseren alltäglichen Sorgen. Oper bietet solch einen Raum. Und sie ist ein Ort der Emotionen. Heute erzählt sich so Vieles über Emotionen, da ist die Oper das Genre der Zeit.
Sie holen Maeckes, Max Herre und Die Nerven ins Opernhaus. Geht das Publikum, das diese Konzerte besucht, dann auch in „Turandot“?
Diese Frage ist alt, und sie interessiert mich nicht so sehr. Jede Veranstaltung muss in sich selbst Qualität haben. Das allein zählt. Ob die Leute nach einem Pop-Konzert in die „Traviata“ gehen, ist nicht so wichtig. Im Übrigen waren die experimentellsten Projekte in der letzten Saison die mitunter erfolgreichsten, auch in den Zahlen. Aber ich feiere jeden Abend für sich. Und ich glaube immer noch an die Oper als die coolste, verrückteste und wahnsinnigste aller Kulturtechniken.
Unter welchen Gesichtspunkten suchen Sie Ihre Uraufführungen aus?
In einem Versammlungsort mit 1400 Plätzen ist eine Uraufführung eine Herausforderung. Wir haben jetzt aber Gefallen gefunden an Themen rund um unsere Stadt und zeigen deshalb in dieser Saison „Station Paradiso“ von der kroatischen Komponistin Sara Glojnarić, die in Stuttgart studiert hat. Die Erfolgsgeschichte Stuttgarts ist ja auch ein Erfolgsgeschichte der so genannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Mit einigen von ihnen hat Glojnarić Interviews geführt und sie nach der Musik gefragt, die bei ihnen Heimatgefühle auslöst. Da wurden historische Kassetten gehört, es wurde viel geweint, und diese Gespräche bilden die Basis für ein künstlerisches Projekt, das neben Matthias Klink auch unsere beiden kroatischen Ensemble-Stars Diana Haller und Goran Jurić mit tragen werden. Das wird die erste Oper überhaupt, die sich mit Geschichten von Migration auseinandersetzt!
„Sancta“ wurde von der Zeitschrift „Theater heute“ zur „Aufführung des Jahres“ gewählt. Ein Sieg des Skandals?
„Sancta“ war ein interessantes Experiment. Es hat gezeigt, dass es funktioniert, wenn man die Reizschwelle hoch setzt. Und interessant ist auch, dass der Ausgangspunkt des Projektes, Hindemiths „Sancta Susanna“, vor über hundert Jahren schon einmal für einen Skandal sorgte, weil der Dirigent damals die Uraufführung des Stücks in Stuttgart wegen Blasphemie ablehnte. Jetzt galt die Aufmerksamkeit der ästhetischen Umsetzung. Für mich ist Florentina Holzinger eine sehr wichtige künstlerische Stimme unserer Zeit, sie steht in der Tradition der frühen Projekte von La Fura dels Baus und des Wiener Aktionismus. Dass „Sancta“ ein solcher Erfolg wurde, freut uns natürlich, denn es gab ja auch viel Gegenwind. Es kann jetzt aber natürlich nicht darum gehen, die Reizschwelle noch weiter zu erhöhen.
Sie planen also nicht schon ein neues T-Shirt, das den Aufdruck „In der Oper gewesen. Gekotzt“ toppen soll?
Nein. Und das T-Shirt haben ja nicht wir gemacht, das kam vom Blog Kessel.TV. Wir finden das natürlich sehr lustig, aber: „Sancta“ ist ein sehr ernsthaftes Projekt. Dass es zu so einem Hype wurde, hat mich überrascht.
Zuletzt noch zur Sanierung – wie kriegt man die Politik dazu, da voranzugehen?
Man kann Fußball auf einem Bolzplatz spielen. Wenn man aber Bundesliga spielen will, dann reicht der Bolzplatz nicht aus. So ist das auch bei uns. Unser Auftrag ist es, Bundesliga zu spielen, mit 225 Vorstellungen in der Saison im Littmann-Bau, gemeinsam mit dem Stuttgarter Ballett, und Erlösen von über 18 Millionen für die Staatstheater insgesamt. Wenn man das will, braucht man eine bestimmte Infrastruktur. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Kulturland wie Baden-Württemberg dieses Projekt nicht am Ende mit bestem Wissen und Gewissen im Sinne der Steuerzahler und im Sinne des kulturellen Leuchtturms für dieses Land voranbringen wird. Deshalb bin ich voller Hoffnung, dass es in den nächsten Wochen wieder konstruktive Gespräche in dieser Sache geben wird, sodass es endlich vorangeht: unternehmerisch, baden-württembergisch, mutig und für die Sache.
Zum Start in die neue Saison offerieren die Stuttgarter Staatstheater ein Wochenende voller Möglichkeiten. Am Samstag, 20. September, ist das Stuttgarter Ballett von 15 bis 17 Uhr zu Gast in der Stadtbibliothek im Europaviertel. Dort wird das druckfrische Annual der Kompanie präsentiert, es gibt, wenn man möchte – und wer möchte nicht? – Autogramme von Tänzerinnen und Tänzern, und schließlich auch noch Einblicke in die neue Saison.
In die Vollen geht abends dann das Schauspiel: Um 19.30 Uhr beginnt im Kammertheater die Uraufführung des neuen Stücks von Tomer Gardi. „Eine runde Sache“ – laut Ankündigung „eine Höllenfahrt durch die deutsche Kultur, gemeinsam mit Goethes Erlkönig und einem Deutschen Schäferhund namens Rex“ – da schließt sich die öffentliche Premierenfeier im Anschluss garantiert nahtlos an.
Am Sonntag, 21. September, steigt von 11 bis 18 Uhr in Großem und Kleinem Haus und auf dem schönen Platz davor das traditionelle Theaterfest, natürlich bei freiem Eintritt. Oper, Schauspiel, Ballett und Orchester bieten Programme für alle Altersklassen und machen Appetit auf die neue Saison. Achtung, Extratipp: Wer einen Vorgeschmack bekommen möchte auf die Musiktheater-Premiere „I Did It My Way“, bei der eine Woche später Larissa Sirah Herden und Lars Eidinger mit den Songs von Nina Simone und Frank Sinatra auf der Bühne stehen werden, der hat dazu gleich um 11 Uhr im Foyer des 1. Ranges im Großen Haus bei einer Einführungsmatinee Gelegenheit (Eintritt: 5 Euro).
Um 18 Uhr bittet dann das großartige Staatsorchester zum Eröffnungskonzert ins Opernhaus. „Musik von Zuhause“ ist der Titel eines Abends, an dem der Dirigent Daniel Cohen gemeinsam mit Ensemblemitgliedern Musik aus vielen Ländern und in vielen Sprachen präsentieren wird. Der Staatsopernchor ist auch mit von der Partie, der Intendant Viktor Schoner führt persönlich durchs Programm, und als Special Guest wird vom Haus nebenan die Landtagspräsidentin Muhterem Aras erwartet.
Musik gibt es zur gleichen Zeit (18 Uhr) auch im Schauspielhaus: der großartige Burgschauspieler Nicholas Ofczarek wird gemeinsam mit Musicabanda Franui ein weiteres Mal seine Version von Thomas Bernhards „Holzfällen“ zelebrieren. Und spätestens dann werden die Theaterfreunde beim Nachhausgehen denken: Was für ein Glück – die Staatstheater spielen wieder.