Das Attentat auf Charlie Kirk hat die US-Gesellschaft tief gespalten. Das liegt auch daran, dass über den Aktivisten verkürzte und falsche Aussagen kursieren und so auf beiden Seiten ein verzerrtes Bild entsteht.
Liberaler Kämpfer für Toleranz und freie Meinungsäußerung oder rechtsradikaler Hetzer: Zwischen diesen Polen schwankt die Einordnung des getöteten US-Aktivisten Charlie Kirk – mit wenig Raum für Nuancen dazwischen.
Beide Einschätzungen werden seiner durchaus komplexen Persönlichkeit jedoch nicht gerecht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Kirk seine grundsätzlichen Positionen mehrfach radikal geändert hat und sich immer wieder widersprüchlich äußerte. So gab Kirk sich zunächst libertär und kritisch gegenüber staatlichen Institutionen, propagierte dann aber einen starken Nationalstaat.
Radikaler Kurswechsel in Bezug auf Staat und Religion
Noch 2018 vertrat Kirk die Meinung, Politik müsse durch eine säkulare Weltanschauung bestimmt werden. Er verurteilte die Versuche der evangelikalen Rechten, ihre Moralvorstellungen In die politische Agenda der Regierung einzubringen. „Wir haben eine Trennung von Kirche und Staat“, sagte Kirk in einem Interview.
Vier Jahre später erklärte er jedoch in seinem Podcast, eine solche Trennung von Kirche und Staat existiere nicht: Sie sei eine Erfindung säkularer Humanisten und stünde nicht in der Verfassung. „Ich möchte für meinen Mut und meinen Glauben in Erinnerung bleiben. Das wäre das Wichtigste. Das Wichtigste ist mein Glaube“, sagte er im Juni in einem Podcast.
Diskriminierende und hasserfüllte Aussagen
Unbestritten ist, dass Kirk immer wieder unbewiesene oder sogar widerlegte Behauptungen aufstellte, zum Beispiel über die Covid-Pandemie oder einen angeblichen Wahlbetrug in den USA. Regelmäßig fiel er durch rassistische frauenfeindliche, diskriminierende sowie homo- und islamophobe Aussagen auf.
So sagte er in seiner Show: „Wenn ich einen schwarzen Piloten sehe, denke ich mir: Junge, hoffentlich ist er qualifiziert?“ Wenn er im Kundenservice mit einer „schwachsinnigen schwarzen Frau zu tun habe“, frage er sich, ob sie wegen ihrer Exzellenz dort sei oder wegen der positiven Diskriminierung (Affirmative Action).
Für Ärzte, die geschlechtsangleichende Operationen durchführen, verlangte er eine Verfolgung nach Vorbild der Nürnberger Prozesse. Die Sängerin Taylor Swift forderte er nach ihrer Verlobung auf, dem Feminismus abzuschwören und sich ihrem Mann zu unterwerfen: „Du hast nicht das Sagen.“
Den Civil Rights Act von 1964, der Diskriminierung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder nationaler Herkunft in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens verbietet, bezeichnete er als „großen Fehler“ und kritisierte den ermordeten Bürgerrechtler Martin Luther King als „überbewertet“, „schrecklich“ und „keine gute Person“.
Kirk bezeichnete sich als starker Unterstützer des jüdischen Staates, verbreitete aber gleichzeitig antisemitische Verschwörungsmythen. In seiner Show behauptete er, „Juden haben in den letzten 30 bis 40 Jahren maßgeblich zur Finanzierung und Verbreitung der Ideen des kulturellen Marxismus beigetragen.“
Dialog und Diskriminierung
Kirk galt als einer der wenigen radikalen rechten Aktivisten, die immer wieder aktiv den Dialog mit Gegnern suchten. Er plädierte dabei für die Meinungsfreiheit und beklagte Cancel Culture: „Wenn die Leute aufhören zu reden, kommt es zu Gewalt. Dann kommt es zum Bürgerkrieg, weil man die andere Seite für so böse hält und sie ihre Menschlichkeit verliert“, sagte er.
Auf der anderen Seite veröffentlichte Kirk Listen politischer Gegner, die sich daraufhin Repressalien und Drohungen ausgesetzt sahen. Menschen, deren Positionen oder Lebensweise er ablehnte, dämonisierte er als Parasiten, Faschisten, Staatsfeinde und Gottesgräuel.
Kirk teils falsch zitiert
Kirk wurde seinerseits Opfer von Falschbehauptungen. Mehrfach wurde postuliert, er habe die Steinigung von Homosexuellen gefordert, indem er eine entsprechende Bibelstelle ansprach. In einer Diskussion wies er damit das Argument zurück, man müsse die Rechte beispielsweise von Homosexuellen akzeptieren, weil man nach der christlichen Lehre seinen Nächsten lieben müsse wie sich selbst.
Wenn man sich auf die Bibel berufe, müsse man laut dem Buch Levitikus aber auch Homosexuelle steinigen, entgegnete Kirk, um die Aussage zu entkräften. Allerdings erklärte er auch, dies sei „Gottes vollkommenes Gesetz, wenn es um sexuelle Angelegenheiten geht.“
Keine pauschale Abwertung schwarzer Frauen
Weiterhin wurde Kirk die Aussage zugeschrieben, schwarze Frauen verfügten nicht über die nötige Hirnleistung, um ernst genommen zu werden. Diese war tatsächlich in seinem Podcast in Bezug auf vier prominente liberale schwarze Frauen gefallen: die demokratische Abgeordnete Shirley Jackson Lee, die Fernsehmoderatorin Joy Reid, die Richterin am Obersten Gerichtshof Ketanji Brown Jackson sowie die Anwältin und ehemalige First Lady Michelle Obama.
„Hätten wir vor drei Wochen […] gesagt, dass Joy Reid, Michelle Obama, Sheila Jackson Lee und Ketanji Brown Jackson für die Förderung von Minderheiten ausgewählt wurden, hätte man uns als Rassisten bezeichnet. Aber jetzt bekennen sie sich und sagen es für uns! Sie outen sich und sagen: ‚Ich bin nur wegen der Affirmative Action hier.'“
Anschließend zeigte Kirk ein Video der Abgeordneten Lee als Nutznießerin von Affirmative Action, die aber auch auf ihre eigene Leistung hinwies: „Ich mag aufgrund von Affirmative Action zugelassen worden sein, sowohl als Frau als auch als Woman of Color, aber ich kann erklären, dass ich nicht aufgrund von Affirmative Action meinen Abschluss gemacht habe.“
Kirk interpretierte die Aussage so, dass Jackson nicht die nötige Gehirnleistung habe, um wirklich ernst genommen zu werden und „einem Weißen den Platz wegnehmen musste“. Auch wenn die Aussage Kirks zu den vier Genannten eindeutig diskriminierend ist, kann sie nicht in Bezug auf alle schwarzen Frauen verallgemeinert werden.
