Nach dem Eindringen russischer Militärdrohnen in den polnischen Luftraum soll die Armee des NATO-Landes von der Ukraine in der Bekämpfung der Flugobjekte ausgebildet werden. Man habe daher mit dem ukrainischen Verteidigungsministerium ein Abkommen unterzeichnet, das unter anderem den Erwerb von Fähigkeiten im Umgang mit Drohnen betrifft, sagte Polens Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz am Donnerstag bei einem Besuch in Kiew.

„Wir sind bereit, unsere Erfahrung zu teilen und polnische Militärs und Ingenieure auszubilden, wie die Abwehrsysteme in verschiedenen Bereichen einzusetzen sind, besonders im Luftraum“, schrieb der ukrainische Verteidigungsminister Denys Schmyhal nach dem Treffen. Kiew zähle dabei auch darauf, dass gemeinsame Rüstungsprojekte mit Polen aus dem europäischen Rüstungsprogramm „SAFE“ mitfinanziert werden.

Beschädigte russische Drohne auf Ackerland in Polen

Reuters/Dariusz Stefaniuk

Eine der in der letzten Woche in polnischen Luftraum eingedrungenen Drohnen Russlands

Bei dem Eindringen vieler russischer Drohnen in den polnischen Luftraum in der vergangenen Woche waren polnische F-16-Kampfjets und in Polen stationierte Maschinen vom Typ F-35 der niederländischen Luftstreitkräfte aufgestiegen und hatten Drohnen abgeschossen. Dieses Verfahren ist jedoch aufwendig und teuer. Der Vorfall offenbarte Lücken bei der Abwehr von Militärdrohnen durch das westliche Verteidigungsbündnis.

Ukraine mit innovativen und kostengünstigen Methoden

Max Enders, Chef des Münchner Start-up-Unternehmens Tyton, das Drohnenabwehrsysteme herstellt, sagte gegenüber der „Financial Times“ („FT“), es gebe eine „ganze Reihe von Bedrohungen, gegen die sich Europa derzeit nur schwer verteidigen kann“. Die Ukraine hingegen entwickelte seit Beginn der russischen Invasion 2022 viel innovative und kostengünstige Methoden zum Umgang mit russischen Angriffsdrohnen, wie das Blatt weiterschrieb.

Da herkömmliche Radarsysteme die kleinen, tief fliegenden im Iran entwickelten Schahed-Angriffsdrohnen nicht erkennen können, haben ukrainische Technologieunternehmen ein landesweites System von akustischen Sensoren entwickelt, die diese anhand ihrer Geräusche identifizieren können.

Diese Informationen werden an Hunderte von mobilen Einsatzgruppen weitergeleitet, die hauptsächlich mit Flugabwehrkanonen und schweren Maschinengewehren ausgerüstet sind – eine weitaus kostengünstigere Lösung als der Einsatz von Raketenabwehrsystemen.

Selenskyj: Polen bei Drohnenangriff Russlands schutzlos

Nach Einschätzung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sei Europa nicht für einen Krieg gegen Russland gerüstet. Das habe der jüngste Vorfall in Polen gezeigt, wie er im Interview mit dem britischen Sender Sky News zuletzt sagte. Der ukrainische Staatschef verglich in dem Interview den Vorfall in Polen mit dem bisher stärksten russischen Angriff auf die Ukraine.

Die Ukrainer hätten mehr als 700 der über 800 von Russland eingesetzten Flugobjekte abgewehrt. Polen sei es hingegen nur gelungen, vier der 19 Drohnen abzuschießen, die in den Luftraum des Landes eingedrungen seien – und dabei hätten sie es noch nicht einmal mit Marschflugkörpern und Raketen zu tun bekommen.

Ukrainische Abwehr-Drohne in Luft

Reuters/Valentyn Ogirenko

Eine ukrainische FPV-Abfangdrohne während ihres Fluges inmitten eines russischen Angriffs auf die Ukraine in Dnipropetrowsk

Seine Worte seien nicht als Affront gegen Warschau gemeint, betonte Selenskyj. „Sie sind nicht im Krieg, daher ist es klar, dass sie nicht gerüstet sind für solche Sachen.“ Aber die Ukraine könne den Polen und den Europäern insgesamt bei der Entwicklung ihrer Verteidigungstechnologien und dem Training von Soldaten helfen, da sie kriegsgeschult sei. Kiew brauche aber Geld, um die Entwicklungen umzusetzen.

Von der Leyen: Europa braucht „Drohnenwall“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte nur Stunden nach dem Vorfall in Polen erklärt, Europa müsse an seiner Ostgrenze einen „Drohnenwall“ errichten. Dazu wurde ein neues Programm zur militärischen Unterstützung der Ukraine vorgeschlagen. Das Programm für einen qualitativen militärischen Vorsprung („Qualitative Military Edge“) solle Investitionen in die Fähigkeiten des ukrainischen Militärs fördern, kündigte sie an.

Die östlichen NATO-Mitglieder sollen zudem fast 100 Milliarden Euro an verteidigungsbezogenen Krediten erhalten, von insgesamt 150 Milliarden Euro, die aus dem gemeinsamen Haushalt der EU bereitgestellt werden.

„Drohnenallianz mit Ukraine“

Bei der Drohnenproduktion kündigte von der Leyen eine „Drohnenallianz“ mit der Ukraine an. Für das Projekt werde Europa sechs Milliarden Euro bereitstellen, sagte sie. Zum Hintergrund der Initiative sagte von der Leyen, man wolle mit der Stärke der europäischen Industrie dazu beitragen, den ukrainischen Erfindergeist im Bereich der Drohnentechnologie zum Vorteil in den Kampfgebieten werden zu lassen.

Bereits heute gingen mehr als zwei Drittel der Verluste an russischer Ausrüstung auf das Konto von Drohnen, die die Ukraine einsetze. Russland hole allerdings durch den Vorteil industrieller Massenproduktion schnell auf.

NATO-Mission „Eastern Sentry“ an Ostflanke

Als weitere Reaktion auf den Drohnenvorfall in Polen, startete die NATO letzte Woche zudem eine Luftverteidigungsmission namens „Eastern Sentry“, an der Kampfflugzeuge, Schiffe und Aufklärungssysteme beteiligt sind, die entlang der Ostflanke von Finnland bis Bulgarien stationiert sind.

Polen, die baltischen Staaten und Finnland – die an Russland angrenzenden EU-Staaten – kündigten zudem alle Pläne zur Verstärkung ihrer Grenzen an. EU-Beamte warnen jedoch, dass dieser Ansatz nur dann wirksam sein wird, wenn er einheitlich ist und auf gemeinsamen und vollständig integrierten Technologien basiert.

eine Grafik zeigt die NATO-Mitgliedsländer und die Beitrittsbewerber

Grafik: APA/ORF; Quelle: APA

Einer der EU-Beamten sagte gegenüber der „Financial Times“ („FT“): „Die Verteidigungshaltung Europas ist zu fragmentiert, aber gerade in diesem Bereich müssen wir wirklich viel mehr Koordination sehen.“ „Es kann nicht sein, dass ein Staat an seiner Grenze das eine tut und ein anderer etwas anderes“, fügte der Beamte hinzu. „Russland wird seine Vorgehensweise einfach an unsere Schwächen anpassen.“

NATO stark von USA abhängig

Neben einigen technischen Hindernissen stellt sich jedoch auch die Frage nach dem politischen Willen. Ein funktionierender NATO-Schutzschild hänge sehr stark von den USA ab, die unter Präsident Donald Trump ihren Schwerpunkt von Europa auf andere Schauplätze verlagern, wie etwa der „Economist“ schreibt. Die europäischen Luftstreitkräfte verfügen zwar über Hunderte von Kampfflugzeugen – die Hauptquartiere sind jedoch nach wie vor auf die Beteiligung und das Fachwissen der USA angewiesen.