Am 11. September 1955 lädt Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) zu einem Frühstück ein, das Geschichte schreiben sollte. In einer Datscha im russischen Sosnowka trifft er Nikita Chruschtschow, den Ministerpräsidenten der Sowjetunion. Und bei Schildkrötensuppe, Rehkeule und einer teuren Flasche Moselwein erreicht Adenauer einen Durchbruch.
Die Staatsmänner einigen sich darauf, dass die letzten 10.000 deutschen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion nach Hause kommen dürfen. Und der Legende nach hat der Wein aus der Lage „Bernkasteler Doctor“ bei der Völkerverständigung geholfen.
Der Doctor stand auf der Menükarte
Ralf Frenzel ist sich da sogar ganz sicher. „Früher haben gutes Essen und gute Weine eine wichtige Rolle bei diplomatischen Verhandlungen gespielt“, sagt der Weinkenner aus Wiesbaden: „Und Adenauer war ein Fuchs. Der wusste das.“
Frenzel hat natürlich einen guten Grund, die überzeugende Kraft des Moselsweins zu beschwören. Denn der Verleger und Sommelier ist der heutige Eigentümer des Weinguts „Geheimrat Wegeler“, aus dem jener berühmte Bernkasteler Doctors stammt, den Adenauer damals serviert hat.
Ralf Frenzel aus Wiesbaden ist Weinkenner, Verleger und Eigentümer von mehreren Weingütern.
Arne Landwehr für Tre Torri Verlag
Und er hat dafür sogar einen Beweis: Auf der Menükarte des besagten Frühstücks, die im politischen Archiv des Auswärtigen Amtes aufbewahrt wird, ist die Spätlese des Jahrgangs 1953 aufgelistet. „Das macht uns natürlich stolz“, sagt Frenzel.
Auktion in Boston ab Samstag
Die Weinflaschen, die Adenauer auf seiner Russlandreise dabei hatte, sind ausgetrunken. Auch die, die der Bundeskanzler als Gastgeschenke an die sowjetischen Politiker überreichte. Zumindest fünf Flaschen aus dem Jahrgang haben aber die mehr als 70 Jahre seit der Abfüllung überstanden – im kühlen Keller des Weingutes Wegeler in Kues.
Ralf Frenzel hat sich angesichts des 70. Jahrestags der Russlandreise Adenauers entschieden, sich von einer der noch vorhandenen Flaschen zu trennen. Sie kommt nun bei einer Auktion in Boston unter den Hammer. In dem Angebot wird der Doctor als „Wein, der 10.000 deutsche Kriegsgefangene befreit hat“ beworben.
Der Bernkasteler Doctor
Der Bernkasteler Doctor ist eine der berühmtesten Weinlagen der Welt. Der Steilhang liegt direkt oberhalb des Stadtteils Bernkastel und umfasst nur etwas mehr als drei Hektar. Erstmals erwähnt wird der Doctor 1677. Der Name rührt daher, dass der britische König Edward VII. ihn als Medizin getrunken haben soll. Im Jahr 1900 hat Geheimrat Julius Wegeler eine Parzelle am Doctorberg für 100 Goldmark pro Rebstock gekauft. Seither gilt der Bernkasteler Doctor als teuerster Weinberg Deutschlands. Denn der Kaufpreis wurde nie wieder übertroffen.
Wein könnte Tausende Euro einbringen
Entsprechend teuer dürfte der Wein versteigert werden. Ralf Frenzel hat eine ungefähre Vorstellung im Kopf: „Wir wären schon sehr stolz, wenn jemand bereit wäre, für die Flasche über 10.000 Euro zu zahlen.“
Der Bernkasteler Doctor an der Mosel gilt als teuerster Weinberg Deutschlands.
picture-alliance / Reportdienste
Und der Sommelier glaubt auch, dass der Wein das wert ist. Nicht nur wegen seiner Geschichte, sondern auch wegen seines Geschmacks. Der Weinkenner hat eine Spätlese aus dem Jahr 1953 schon einmal selbst verkostet: „Am Anfang riecht er ein wenig nach Waldboden, aber das verfliegt rasch. Dann kommen Zitrusnoten, Pfirsich, Pampelmuse. Das war so fantastisch, dass ich hoch emotional wurde.“
Diese Weinflasche wird in Boston versteigert. Und sie könnte mehr als 5.000 Euro einbringen.
Könnte so ein Wein auch die Trumps und Putins dieser Welt erweichen? Ralf Frenzel hält das nicht für ausgeschlossen. „Wenn Herr Merz mit einer Flasche Bernkasteler Doctor in eine wichtige Besprechung gehen würde, könnte das etwas bewirken.“ Gemeinsam etwas Gutes zu trinken, helfe immer – auch in schwierigen Lagen.
Doch solche exquisiten Getränke und Speisen aufzutischen, sei leider außer Mode gekommen, glaubt Frenzel: „Als Scholz dem Macron in Hamburg Fischbrötchen serviert hat, war das eine Schande. Das nehmen die Franzosen uns heute noch übel.“
Eklat an der Elbe: Olaf Scholz (SPD) hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Hamburg ein Fischbrötchen serviert. Das kam wohl nicht gut an.
picture-alliance / Reportdienste
Warten auf weiteres historisches Ereignis
Deshalb will das Weingut Wegeler die übrigen Flaschen des Jahrgangs 1953 auch nicht einfach irgendwem verkaufen. Man wartet lieber auf ein weiteres historisches Ereignis.
„Wir glauben, dass dieser Wein eine Symbolik hat“, sagt Eigentümer Ralf Frenzel: „Und wir werden uns nur von ihm trennen, wenn es wieder etwas Großes zu begießen gibt.“