Wenn es nach dem Kultusministerium in Baden-Württemberg geht, sollen Grundschulen und SBBZ (Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren) künftig Handys verbieten. Das geht aus einer vom Ministerium veröffentlichten Formulierungshilfe für die Schulen hervor, über die der SWR zuerst berichtet hatte. Die grün-schwarze Landesregierung will in einem neuen Gesetz dafür sorgen, dass sich alle Schulen Regeln für den Umgang mit privaten Geräten geben müssen. Wie genau die Regeln aussehen, sollen Schulen selbst entscheiden können. Das Ministerium hatte Mitte September aber eine Formulierungshilfe veröffentlicht, an denen Schulen sich orientieren können.
In Stuttgart treffen diese Formulierungen auf unterschiedliche Gefühle. Wir haben uns an Schulen umgehört, wie Schulleiterinnen und Schulleiter die Situation einschätzen.
Viele Schulen haben das Problem bereits im Griff
Michael Hirn, geschäftsführender Schulleiter der SBBZ (Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren) in Stuttgart und Rektor der Helene-Fernau-Horn-Schule, findet es grundsätzlich richtig, dass Schulen sich damit auseinandersetzen. Weil das vermutlich an allen Schulen immer wieder Thema sei und ein ungesteuerter Umgang zu Problemen führe.
„Ob diese Regelung jetzt das Problem löst, weiß ich nicht“, sagt er. Es gebe schon jetzt Schulen, die das Handyproblem im Griff hätten. An seiner Schule ist es zum Beispiel schon seit Jahren üblich, dass die Schülerinnen und Schüler ihre privaten Handys nicht nutzen. Er kann sich aber vorstellen, dass die Handreichung des Ministeriums solchen Schulen hilft, die bisher noch keine gute Regelung gefunden haben.
Einen Kritikpunkt hat er aber: „Das eigentliche Problem ist der Umgang mit Social Media“, sagt er – und da reiche ein Handyverbot nicht aus. Man könne dieses Problem zwar aus der Schule zurückdrängen. „Aber dann passiert es außerhalb der Schule.“ Eine gesellschaftliche Herangehensweise sei notwendig. Den Umgang mit den sozialen Medien und mit Fake News lernen Kinder und Jugendliche in seiner Schule als Teil des Unterrichts.
„Die Regelung ergänzt, was wir sowieso schon machen“
Jürgen Alber, Schulleiter der Grund- und Werkrealschule Ostheim im Stuttgarter Osten, hatte den Vorstoß unserer Zeitung gegenüber bereits im Juni begrüßt, als das neue Gesetz angekündigt worden war. Für die Schüler seiner Schule werde sich nicht viel ändern, sagte er damals.
Denn die Schule verbietet Handys und sogenannte Smartwatches schon seit einiger Zeit. „Die Regelung ergänzt, was wir sowieso schon machen – das ist sicher hilfreich“, sagt er. Und eventuell könnte sie potenzielle Diskussionen mit Eltern erleichtern, die sich gegen die Einschränkung stemmen.
Sabine Aab, Rektorin der Realschule an der privaten Torwiesenschule in Stuttgart-Süd, hatte bereits am Ende des vergangenen Schuljahres Nägel mit Köpfen gemacht: Schülerinnen und Schüler müssen ihre Handys morgens in sogenannte Handygaragen einschließen und bekommen sie am Ende des Tages wieder zurück. Entschieden habe man das, „weil wir bei einzelnen Schülern problematisches Handyverhalten beobachtet hatten“, sagt sie. Einige seien sehr nervös geworden, wenn das Handy nicht in der Nähe war, und auch die Konzentrationsfähigkeit habe gelitten. Zusätzlich habe die Debatte über das Handyverbot und die angekündigte Gesetzesänderung der Landesregierung die Schulleitung dazu gebracht, sich intensiver damit zu beschäftigen.
Da sind sich alle einig: Während der Schulzeit soll das Handy aus bleiben. Foto: IMAGO
Die Handreichung habe sie sich nur kurz durchgelesen. „Wir gehen ja sowieso schon einen Schritt weiter“, sagt sie. Natürlich seien die Schüler am ersten Schultag nach den Ferien nicht begeistert von der neuen Regelung gewesen. Aber Aab habe von anderen Schulen gehört, dass die Schüler sich selbst nach einiger Zeit als ruhiger wahrgenommen hätten. „Wir gucken mal, und evaluieren zum Halbjahr, ob wir noch mal was ändern“, sagt sie.
Fast nur erwachsene Menschen an den beruflichen Schulen
Felix Winkler, Schulleiter an der beruflichen Schule für Farben und Gestaltung in Stuttgart-Feuerbach und geschäftsführender Schulleiter der beruflichen Schulen in Stuttgart, hebt eine Besonderheit seiner Schulart hervor: „Rund 75 Prozent unserer Schülerschaft sind volljährig. Wir können nicht sagen, von nun an dürfen erwachsene Menschen nicht mehr frei entscheiden, ob sie ihr Handy benutzen.“ Einen solchen Schritt würde der Schulleiter als nicht realistisch und als unangemessen sehen. Wenn Schülerinnen und Schüler mit Mitte oder Ende Zwanzig an die Schule kommen, um ihren Meister zu machen, daheim womöglich Familien haben, könne man nicht von ihnen verlangen, ihre Handys wegzulegen.
Man würde die Menschen entmündigen und das Gegenteil dessen erreichen, was man eigentlich wolle: nämlich einen vernünftigen Umgang mit Handys lernen. Und auch die jüngeren Schüler seien beim Umgang mit ihren Handys eher besonnen, da sie sonst womöglich ihren Ausbildungsvertrag riskieren würden.
Dennoch, dort wo die Schulleitung es für pädagogisch sinnvoll hält, weil die Gefahr besteht, dass die Schüler abgelenkt würden und das Lernen sich schwer gestalten könnte, werden die Handys in sogenannten Handygaragen verstaut, erklärt Winkler, und erst nach Unterrichtsende wieder herausgeholt. Diese Maßnahme wurde schon vorher ergriffen und gilt vor allem für minderjährige Schüler.
Diskussion gehe an der Realität vorbei
Gerhard Menrad, Schulleiter der Anne-Frank-Gemeinschaftsschule in Stuttgart-Möhringen, sieht die Diskussion an der Realität vorbeiziehen. Warum? Die meisten Schulen hätten bereits hausinterne Regelungen. In der Hausordnung seiner Schule, der Anne-Frank-Gemeinschaftsschule in Möhringen, heißt es beispielsweise wörtlich: „Während der gesamten Unterrichtszeit einschließlich der Pausen sind auf dem Schulgelände Handys, MP3- Player, Kopfhörer sowie elektronische Aufnahme- und Wiedergabegeräte der Schüler/innen ausgeschaltet und in der Schultasche oder nicht sichtbar zu verwahren.“ Und die Erwähnung der MP3-Player deutet darauf hin, seit wann es diese Regelung wohl bereits gibt.
So gilt an der Anne-Frank-Schule: Sobald der Unterricht beginnt, verstauen Schülerinnen und Schüler ihre Handys in den Schultaschen, oder in den Handygaragen. Wer sein Handy während der Pausen dennoch benutz, muss es abgeben. In der großen Pause ist nämlich eine Lehrkraft mit einer Box unterwegs und sammelt das Gerät ein. Erst nach Unterrichtsende kann man es dann wieder abholen.
Der Schulleiter könne sich zwar vorstellen, dass die neue Gesetzesregelung durchaus eine Rückendeckung für die Schulen ist gegenüber Eltern, die die Sinnhaftigkeit der Regelungen nicht einsehen wollen, betont aber klar, diese würden nur eine kleine Minderheit ausmachen. Widerstand seitens der Schüler gebe es keinen: „Sie kennen es nicht anders, das war ja schon immer so“, erklärt Gerhard Menrad.
„Handy ist ein Werkzeug, um die Welt zu erschließen“
Die Bildungsgewerkschaft GEW spricht sich klar gegen Handyverbote aus. „In einer digitalen Welt mit Fake News helfen uns Verbote nicht weiter“, sagte GEW-Landesvorsitzende Monika Stein laut einer Pressemitteilung am Mittwoch. Die Schule sei der einzige Ort, wo alle Kinder und Jugendlichen einen sinnvollen Umgang mit dem Handy lernen könnten.
„Das Handy ist ein Werkzeug, um die Welt zu erschließen und da darf es nicht den finanziellen, zeitlichen und intellektuellen Fähigkeiten der Herkunftsfamilie überlassen bleiben, ob der Umgang damit sinnvoll begleitet werden kann.“ Die GEW begrüße es, wenn Schüler, Eltern und Pädagogen für den Umgang mit Handys mehr Unterstützung bekommen und Schulen auf der Grundlage der landesweiten Empfehlungen Regelungen treffen, die zum Alter der Schüler passen.