Der aktuelle Film „Der Tiger“ rührt einmal mehr an der Legende dieses Panzers. Dabei wurden die wenigen Exemplare den technischen und taktischen Anforderungen kaum gerecht. Dennoch gelten sie als berühmteste Waffen der Wehrmacht.

Zu den ebenso beharrlich wuchernden wie falschen Mythen des Zweiten Weltkriegs gehört die Überlegenheit der deutschen Panzer. Sie wurden zusammen mit den Sturzkampfbombern zu Symbolen des Blitzkrieges. Dabei waren die meisten der knapp 2500 Kampfwagen, die 1940 über die Benelux-Staaten und Frankreich herfielen, den alliierten Modellen sowohl zahlenmäßig als auch technisch unterlegen.

Das galt erst recht für den Angriff auf die Sowjetunion 1941, deren T 34 sich fast allen deutschen Typen überlegen zeigte. Dass die Wehrmacht ihnen dennoch ihre großen Erfolge in den Anfangsjahren des Krieges verdankte, erklärt sich aus ihrer überlegenen operativen und taktischen Führung und der Bereitschaft, die Panzer in hochmobilen Großverbänden zusammenzufassen, während die Gegner ihre Tanks überwiegend zur Unterstützung der Infanterie verteilten.

Erst Ende 1942 präsentierte die deutsche Rüstungsindustrie einen Panzer, der dem amerikanischen Sherman und dem russischen T 34 nicht nur gleichwertig, sondern in vielen Belangen überlegen war: den Kampfwagen VI I, bekannt als „Tiger“. Wenn der neue Film von Dennis Gansel diesen Titel trägt, sagt das einiges über seine Wirkungsgeschichte aus.

Nach Stalingrad, Kursk und El Alamein, als die Wehrmacht nicht mehr mit weiträumigen Offensiven, sondern mit verzweifelten Abwehrkämpfen von sich reden machte, verbanden sich mit dem „Tiger“ die trügerischen Hoffnungen auf eine Kriegswende, die von Abschusszahlen einzelner Kommandanten genährt wurden. Männer wie Kurt Knipsel, Otto Carius oder Michael Wittmann schalteten um die 150 feindliche Panzer aus, – der Bestand ganzer Divisionen – aber an der deutschen Niederlage änderte das am Ende nichts.

Der „Tiger“ war alles andere als eine Wunderwaffe. Zwar war er mit seiner Schnellfeuerkanone vom Kaliber 8,8-Zentimeter und einer Frontpanzerung von bis zu 11,9 Zentimetern allen alliierten Typen überlegen. Aber seine Mängelliste war lang. Sein Gewicht von 57 Tonnen übertraf die Tragfähigkeit der meisten Brücken. Wegen seiner Maße benötigte er speziell ausgerüstete Eisenbahnwaggons für den Transport.

Der 650-PS-Motor der ersten Baureihen reichte kaum aus, um das Monstrum auf der Straße auf 45 Kilometer pro Stunde zu bringen, was sich im Gelände auf 20 km/h reduzierte. Sein neuartiges Schachtellaufwerk blockierte leicht bei Schlamm und Schnee. Die zahlreichen technischen Probleme strapazierten die Instandsetzungsabteilungen.

Eine Tankladung Benzin – immerhin 540 Liter – reichte gerade für eine Reichweite von etwa 60 Kilometer im Gelände. Damit schied der „Tiger“ für Aufklärungsaktionen, wie sie der Film zum Thema hat, von vorneherein aus. Die darin gezeigten Tauchszenen dürften im Übrigen nur den wenigen Fahrzeugen gelungen sein, die über eine seltene Ausrüstung verfügten.

Überhaupt litten die ersten „Tiger“, die 1942/3 vor Leningrad (St. Petersburg) und in Tunesien zum Einsatz kamen, unter zahlreichen Konstruktionsmängeln. Das war der Hektik geschuldet, mit der der Panzer nach dem „T 34-Schock“ ab 1941 zur Serienreife getrieben worden war. „Vom Reißbrett aus schrittweise in die Großfertigung“, so beschrieb einer seiner Konstrukteure seine Einführung, was auch erklärt, warum der Panzer – wie der leichtere, aber kaum weniger kampfkräftige Panzer V „Panther“ – die in ihn gesetzten Erwartungen in der Panzerschlacht von Kursk im Juli 1943 kaum erfüllte.

Auch mit seiner Form entsprach der „Tiger“ nicht mehr den Erfordernissen der Zeit. Während der „Panther“ dem Vorbild des T 34 folgte und mit abgeschrägten Front- und Seitenflächen mehr Schutz gegen Granatentreffer bot, griff man beim „Tiger“ auf Pläne aus den 1930er-Jahren für einen „Durchbruchswagen“ zurück. Das erklärt die enorme Panzerung, die bei der folgenden Version, dem „Königstiger“, noch einmal verstärkt wurde. Die hohe Mobilität der deutschen Panzertruppe, die einmal ein Grund für ihre Erfolge gewesen war, wurde dieser Gigantomanie geopfert.

Wie im Film wurden die „Tiger“ nicht über die Panzerdivisionen verteilt, sondern in schweren Panzerabteilungen zusammengefasst, die als Feuerwehren gegen Durchbrüche in der Front eingesetzt wurden. Auch diese Praxis widersprach den Einsatzgrundsätzen, mit denen die Wehrmacht ihre Panzertruppe aufgebaut hatte. Zusammengefasst in motorisierten Großverbänden, sollte sie mit schnellen Operationen den Gegner umfassen, während das Niederkämpfen der dadurch entstandenen Kessel den nachrückenden Infanterie-Divisionen überlassen wurde.

Ab 1943 an der Ostfront und 1944 auch im Westen mussten die Panzer jedoch in der linearen Defensive kämpfen. Dafür wären die wesentlich schneller, da weniger kompliziert und preiswerter zu produzierenden Sturmgeschütze – gepanzerte Selbstfahrlafetten mit 7,5-Zentimeter-Kanonen – die ideale Waffe gewesen. Stattdessen steckte die NS-Führung die schwindenden Ressourcen in den Bau eines Waffentyps, mit dem der erträumte „Endsieg“ doch noch erreicht werden sollte.

Die Zahlen sprechen für sich. Während von „Tiger“ und dem noch schwereren „Königstiger“ nur knapp 2000 Exemplare die vom Bombenkrieg gezeichneten Werkshallen verließen, avancierten die Sturmgeschütze mit rund 10.000 Exemplaren zum meistgebauten deutschen Kampfwagen.

Zwar konnte Rüstungsminister Albert Speer die Produktionsleistungen der deutschen Industrie enorm steigern. Aber im polykratischen Dschungel zwischen diversen Dienststellen der Wehrmacht, dem Konkurrenzkampf der Hersteller – beim „Tiger“ gelang es Henschel, das Porsche-Modell auszustechen – und nicht zuletzt Hitlers irrwitzigen Forderungen war es bis zum Kriegsende nicht möglich, auch nur einen einzigen Panzertyp am Fließband zu produzieren. Stattdessen setzte man auf Qualität, die mit Handarbeit erzeugt wurde.

Während die USA allein mehr als 50.000 Sherman- und die Sowjetunion mehr als 80.000 T 34-Tanks bauten, konnte das Dritte Reich von seiner wichtigsten Waffe nur knapp 30.000 Exemplare ins Feld führen. Selbst die Idee, nach den alliierten Vorbildern den „Tiger“ mit einem robusten Diesel-Motor auszustatten, scheiterte an der Fantasie und den nötigen Produktionskapazitäten.

Dass der „Tiger“ dennoch zum Symbol des deutschen Panzers wurde, verdankte er den enormen Abschusszahlen, die einzelne Exemplare erzielten. Mit 168 Abschüssen gilt Kurt Knispel als erfolgreichster Panzerkommandant des Zweiten Weltkriegs. Da er aber als Querkopf galt, erhob die NS-Propaganda Leute wie den SS-Mann Michael Wittmann (138 Abschüsse) zu vorbildlichen Helden. Schließlich entsprachen solche Zahlen der Ausrüstung ganzer Divisionen.

Das hinterließ auch beim Gegner einen bleibenden Eindruck, womit auch Dennis Gansels Film spielt: „Das Husten eines in der Ferne anspringenden ,Tiger‘-Motors war ein Geräusch, an das sich alle alliierten Soldaten mit Respekt erinnerten“, befand der britische Militärhistoriker John Keegan.

Sein deutscher Kollege Markus Pöhlmann zieht in seinem Standardwerk „Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges“ (auf dessen Einband das Foto eines „Tigers“ prangt) ein prosaischeres Fazit: „Angesichts der geringen Zahlen, in denen der ,Tiger‘ produziert werden konnte, gilt daher, dass sein Ruf den tatsächlichen taktischen Wert übertönt hat. Ein solcher Ruf kann militärisch zwar hilfreich sein, als Rechtfertigung für ein derart ressourcenverschlingendes und kostenintensives Waffensystem taugt es aber wenig.“

Schon in seiner Geschichts-Promotion beschäftigte sich Berthold Seewald mit Brückenschlägen zwischen antiker Welt und Neuzeit. Als WELT-Redakteur gehörte die Militärgeschichte zu seinem Arbeitsgebiet.