Lange Bearbeitungszeiten, langwierige Digitalisierung, offene Stellen: Die Ämter in Stuttgart und in anderen baden-württembergischen Städten kämpfen mit Überlastung, Sparmaßnahmen und dem Ärger der Bürgerinnen und Bürger, während es gleichzeitig eine Debatte um vermeintliche Privilegien von Beamten gibt und die Kosten immer weiter steigen. „Das Vertrauen in die Verwaltung nimmt ab“, sagt Jörg Röber, Professor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. „Die Übergriffe gegenüber den Beschäftigten nehmen zu.“ Doch wie könnte man Abhilfe schaffen?

Herr Röber, wann waren Sie zuletzt auf einem Amt?

Vor wenigen Wochen. Ich musste den Personalausweis für meinen zehnjährigen Sohn beantragen. Ich konnte schon recht viel digital ausfüllen und zusenden und auch den Termin digital buchen. Das war in Singen, einer Stadt mit 50000 Einwohnern.

In Stuttgart gibt es noch immer viel Unmut über lange Wartezeiten bei der Kfz-Zulassungsstelle oder der Ausländerbehörde. Verstehen Sie den Ärger der Bürger?

Natürlich, denn das sind genau jene wichtigen Bereiche, wo Bürger mit Verwaltung zu tun haben. Wenn da etwas nicht funktioniert, ist das schlecht – auch für das Image von Ämtern.

Jörg Röber hat selbst viel Erfahrungen in Verwaltungen gesammelt. Foto: privat

Woran liegt es?

Das hat viele Gründe. Die Zahl der Einbürgerungsanträge steigt stark an, weil nach neuem Recht Zugewanderte jetzt schneller einen deutschen Pass bekommen. Deutschland als Rechtsstaat prüft hier wie in anderen Bereichen nach den einzelnen Fällen, was sehr aufwendig ist. Das trifft in Stuttgart, aber auch in anderen Großstädten, auf einen gewaltigen Personalmangel. Stuttgart hat zwar jüngst mehr als 1400 neue Stellen im aktuellen Doppelhaushalt eingeplant – die Frage aber ist, ob man sie besetzt bekommt.

Gibt es dafür überhaupt genügend Geld? Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer sind massiv eingebrochen, weil die Automobilindustrie darbt.

Das hoffe ich. Die Stadt muss auf der einen Seite sparen, aber andererseits Lücken stopfen, die Kitas ausbauen, Sozialleistungen sichern und in die Digitalisierung und Modernisierung der Verwaltung investieren. Das ist eine heikle Balance.

Sie haben selbst lange in der Verwaltung gearbeitet. Was hat sie am meisten überrascht?

Wie schwer es ist, in Zeiten, in denen es uns besser geht, Gemeinderäte und auch die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, zu sparen. Aber auch das Image von Verwaltungen ist schlechter als die Realität.

Wie könnte man Verwaltungen verbessern?

Man müsste Standardprozesse schneller digitalisieren, etwa Anmeldungen von Kfz und Gewerbe, Ummeldungen oder die Hundesteuer. KI-Anwendungen könnten vor allem bei der Prüfung von Bescheiden helfen. Wenn wir dieses Brot-und-Butter-Geschäft digitalisierten, könnte die Verwaltung sich ein stückweit freischwimmen und die Digitalisierung weiterer Bereiche vorantreiben. Schwieriger ist es, wo viel Abstimmung nötig ist oder die Betreuung personalintensiv ist.

Schließt die Digitalisierung auch Bevölkerungsgruppen aus?

Diejenigen, an denen die Digitalisierung jetzt schon vorbeigeht. Das sind Seniorinnen und Senioren oder Menschen, die die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen. Hier würde es helfen, wenn in den Verwaltungen Menschen mit Kenntnissen vieler Sprachen arbeiteten.

Viele Bürgerinnen und Bürger verlieren ihr Vertrauen in die Verwaltung, gerade AfD-Wähler sehen sie besonders kritisch.

Das Vertrauen in die Verwaltungen schwindet. Die Übergriffe gegenüber den Beschäftigten nehmen zu. Immer mehr Gemeinden arbeiten mit Sicherheitsdiensten oder führen Schließzeiten ein – die Idee des offenen Rathauses verblasst. Gleichzeitig gibt es Übergriffe auf Bürgermeister oder Gemeinderäte. All das ist ein Riesenproblem, denn mit dem Misstrauen schwindet die Legitimität. Ich sehe das mit großer Sorge.

Der Personalmangel verschärft sich, weil viele „Boomer“ in Rente gehen. Was heißt das für die öffentliche Verwaltung?

Wir haben viel um Studierende geworben – aber wir können an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl nicht so viele Studierende ausbilden, wie das Land es gerne für den gehobenen Verwaltungsdienst hätte. Als ich kürzlich mit Studierenden einen Termin mit der Regierungspräsidentin hatte, warb selbst sie: „Ich sehe hier die zukünftigen Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Stuttgart.“ Die Sache ist: Auch eine Stadt wie München möchte unsere Absolventen gewinnen.

Welche Privilegien genießen Beamte heute noch?

Die Aussicht auf einen sicheren Job spielt in der aktuellen wirtschaftlichen Lage wieder eine größere Rolle. Man kann immer noch Familie und Beruf gut vereinbaren, das wird auch in Zukunft möglich sein. Außerdem kann man in der Regel dort arbeiten, wo man leben möchte.

Werden immer noch zu viele Menschen verbeamtet?

Ich persönlich frage mich, warum und für welche Bereiche man Beamte benötigt. Ist der Treueschwur für das Einwohnermeldewesen oder die Stadtentwicklung wichtig? Wir könnten den Einstieg in den öffentlichen Dienst breiter aufstellen und durchlässiger zur Privatwirtschaft gestalten. Darüber müssen wir diskutieren.

Allein die Landesverwaltung hat 39.000 Stellen in Stuttgart, die Stadt Stuttgart weitere 17.000. Wie groß ist die Macht des öffentlichen Dienstes?

Der öffentliche Dienst ist ein unterschätzter Riese – als Arbeitgeber, aber auch als großer Wirtschaftsfaktor für Stuttgart. Das macht sich bei der Wertschöpfung, der Einkommenssteuer und vor allem beim Konsum bemerkbar.

Wie ist der Einfluss auf Wahlen – gibt es hierzu Studien?

Der öffentliche Dienst ist im Wesentlichen ein Spiegel der Gesellschaft – vielleicht mit einer Tendenz zur Mitte.

 

Experte für Digitalisierung in den Ämtern

Person
Jörg Röber, Jahrgang 1980, wuchs in Zittau auf, studierte Politik- und Verwaltungswissenschaft und promovierte an der Uni Freiburg. Danach war er persönlicher Referent des OB von Villingen-Schwenningen. Seit 2020 lehrt er an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl.

Digitalisierung
In Stuttgart arbeiten mit 39.000 in der Landesverwaltung und rund 17.000 in der Stadtverwaltung besonderes viele Menschen im öffentlichen Dienst. Die Stadt Stuttgart konnte zuletzt bei der Digitalisierung in der Verwaltung große Fortschritte erzielen. Aufgrund des Personalmangels bleiben aber die Warteschlangen vor vielen Ämtern lang.