Deutschlands Top-Segler Boris Herrmann blickt nach einem herausfordernden Ocean Race Europe nach vorn – und seine Malizia wird bei künftigen Regatten nicht mehr sein Zuhause sein. Erst einmal geht es aber in die Antarktis. WELT traf den Hamburger in Montenegro.
Einst war der Hafen von Tivat in weiten Teilen militärisches Sperrgebiet. Die jugoslawische Marine hielt hier bis in die 1990er-Jahre hinein Fregatten und U-Boote in Schuss. Heute dümpeln in der Marina, die sich längst Porto Montenegro nennt, protzige Luxusyachten. Die Touristen, die über die helle Hafenpromenade schlendern, zücken unentwegt ihre Smartphones. Fotos hier, Fotos da – und mittendrin ragen die 29-Meter-Masten der sieben Imoca-Rennsegler in den blauen Himmel. Das Ocean Race Europe endet an diesem Sonnabend mit einem Küstenrennen in der Boka Bay. Es wird das letzte Spektakel sein, das Skipper Boris Herrmann mit seiner Malizia-Seaexplorer erlebt.
Bei einem Treffen an der Mole erzählt Herrmann, dass er erstmals in der Gegend rund um Tivat und die benachbarte Welterbe-Stadt Kotor ist. 2014 sei er mal mit Segellegende Jochen Schümann die Adriaküste entlang gesegelt – jetzt hier zu sein, sei „wunderbar“. Anderseits ist er mit dem Abschneiden seines Teams in der vor sechs Wochen in der Kieler Förde gestarteten Regatta nicht wirklich glücklich. „Wenn wir die ‚Allagrande Mapei‘ noch hinter uns lassen, sind wir am Ende immerhin Vierter“, sagt der 44-Jährige vor der abschließenden Prüfung. Dann erklärt er, warum seine Malizia gegen Gesamtsieger Paul Meilhat und das Team Biotherm keine echte Chance hatte.
„Erstens ist Paul ein noch unterschätzter Weltklassesegler, und zweitens spielten die Wetterbedingungen den Schiffen von Biotherm und auch Holcim-PRB in die Karten.“ Beide hätten den gleichen Rumpf, beide wären bei leichtem Wind und flachen Wellen im Vorteil. Das ist keine Ausrede, sondern die nach Herrmanns Vorstellungen konstruierte Malizia-Seaexplorer liegt tatsächlich ganz anders im Wasser. „Südlich von Sardinien kamen wir in Mistral-Ausläufer. Der starke Rückenwind hat uns an den anderen kurz vorbeifliegen lassen“, erzählt Herrmann noch. Segelexperten wissen um die Stärken und Schwächen der Yacht, die 2022 speziell für seine zweite Vendée Globe-Teilnahme gebaut wurde.
Nicht ganz 200.000 Kilometer hat der 44-Jährige mit der Malizia-Seaexplorer hinter sich gelassen – sobald sie nach dem Ocean Race Europe wieder im Heimathafen Lorient ist, geht sie in den Besitz der Italienerin Francesca Clapcich über. Die Top-Seglerin, aktuell Herrmanns Teamkollegin, will 2028 bei der 11. Auflage der Vendée-Weltumrundung dabei sein – in direkter Konkurrenz zu Herrmann, der dann mit einer völlig neuen Yacht antritt. „Der Rohbau ist bereits abgeschlossen. Nun gilt es, für viele Details optimale Lösungen zu finden“, blickt Herrmann nach vorn. Besonders bemerkenswert ist an dem Projekt, dass gleich drei Teams beteiligt sind. Neben den „Malizians“ tüfteln auch die Mannschaft von Thomas Ruyant und das Team Banque Populaire um Loïs Berrehar an neuen Hightech-Booten. Bei Schiffbauingenieur Antoine Koch in Lorient laufen die Fäden zusammen.
Drei Teams bündeln also ihr Know-how – ein Vorgang, der zum Beispiel in der Formel 1 undenkbar wäre. Werden sich die neuen Hightechyachten am Ende trotzdem unterscheiden? „Das Ziel ist nicht, Unterschiede zu schaffen, sondern die drei besten Boote ins Wasser zu bringen“, antwortet Herrmann. Er lässt sich von einem olympischen Gedanken leiten: „Wer bei Olympischen Spielen etwas gewinnen will, der braucht vorher die besten Sparringspartner. Im Training, bei Rennen – der Austausch über die Erfahrungen mit den Booten ist extrem befruchtend.“ Thomas Ruyant und Loïs Berrehar, der aktuell ebenfalls zum Team Malizia gehört, bezeichnet er als Freunde. Bis sie sich dann am Start der Vendée Globe 2028 in Rivalen verwandeln werden.
Am 29. Juni 2026 soll die neue Malizia-Yacht ins Wasser kommen. Der Termin steht, und so stellt sich die Frage, ob Herrmann ohne Schiff zur Landratte mutieren wird. Er grinst. Und dann erzählt er, dass er Mitte November etwas äußerst Außergewöhnliches vorhat. „Ich fliege nach Ushuaia und werde für einen Monat mit unserem Forschungsschiff, der Malizia-Explorer, durch die Antarktis schippern.“ Ushuaia liegt in Argentinien ganz im Süden der Insel Feuerland. Vier Vorhaben stehen in diesem Zeitraum an, besonders freut sich Herrmann auf den Besuch der „Danger Islands“, einer Inselgruppe, die auf Betreiben der Bundesregierung zum Schutzgebiet erklärt wurde. „Danger Island“ klingt zwar irgendwie nach Trash-TV, tatsächlich sind die Felsen aber das Habitat seltener Seevögel. Unter anderem brütet dort eine riesige Kolonie von Adeliepinguinen.
„Wir werden im Auftrag des Bundesumweltamtes wissenschaftliche Daten sammeln“, erläutert Herrmann, der im März 2024 im Hamburger Rathaus das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen bekam. Damals wurde sein Einsatz für den Schutz der Meere und unser Klima gewürdigt. „Unser Schiff ist eine Plattform für Wissenschaftler und Umweltorganisationen. Es ist eine Erweiterung unserer Klimaschutzaktivitäten“, betont Herrmann. Zuletzt kreuzte die Malizia-Explorer im Senegal und auch vor den Kapverden war sie schon im Einsatz. „Ich bin in großer Vorfreude und sehr neugierig“, sagt Herrmann, der sich mit dem Gesamtkonstrukt Malizia zweifelsohne etwas Großartiges aufgebaut hat.
Zurück zum Imoca-Rennzirkus: Auch hier hat Herrmann bis 2030 viel vor. Wenn auf der Werft in Lorient alles planmäßig verläuft, will er im Sommer 2026 am Ocean Race Atlantic teilnehmen. Die neue Regatta wird von New York nach Barcelona führen, und Herrmann gibt einen Einblick in seine Gedanken: „Dieses Rennen wird ein Sprung ins kalte Wasser. Das neue Boot können wir vorher nicht großartig testen. Deswegen brauche ich jetzt Spezialisten mit viel Erfahrung in sämtlichen technischen Details.“ Klingt spannend, ist aufregend – zumal es im Januar 2027 mit dem Ocean Race um die Welt weitergeht. Herrmann möchte es möglichst mit der siebenköpfigen Crew bestreiten, die jüngst nach Montenegro segelte. Bei diesem Highlight soll dann allerdings ein Platz auf dem Podium Lohn der Strapazen sein.
Patrick Kiefer