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Härtere Sanktionen und vollständiger Leistungsentzug soll der Kern der Bürgergeld-Reform der Merz-Regierung sein. Doch eine Studie wirft jetzt Fragen auf, ob der Ansatz sinnvoll ist.

Nürnberg – Besonders die Union macht bei der Reform des Bürgergelds Druck. Die „neue Grundsicherung“ soll das Prinzip des Forderns stärken. Letztendlich bedeutet das vor allem mehr Härte für Beziehende, die dadurch – so die Hoffnung – schneller anfangen zu arbeiten. „Kern des Kerns“, wie es CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann ausgedrückt hat, ist dabei die Streichung aller Leistungen für Leute, die wiederholt Arbeitsangebote ablehnen.

Die Einführung des „vollständigen Leistungsentzugs“ findet sich auch im gemeinsamen Koalitionsvertrag mit der SPD. Zwar zeigt sich Arbeitsministerin Bärbel Bas bei den Totalsanktionen skeptisch, dennoch spricht die SPD-Chefin davon, Sanktionen „anschärfen“ zu wollen.

„Totalverweigerer“ im Bürgergeld kaum vorhanden: Sanktionen im „niedrigen zweistelligen Bereich“

Eine neue Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wirft allerdings erneut die Frage auf, ob die geplante Härte die gewünschte Wirkung bei den Arbeitsaufnahmen entfaltet. Die Experten haben die bisherige Möglichkeit untersucht, Beziehenden den Bürgergeld-Regelsatz für zwei Monate vollständig zu streichen, wenn sie innerhalb eines Jahres mehrfach wegen abgelehnten Angeboten Sanktionen erhalten. Die Ampel-Koalition hatte diese Verschärfung Ende März 2024 eingeführt.

Bundeskanzler Merz besucht ein Werk der Henkel AG und spricht bei einer Pressekonferenz.Friedrich Merz macht das Bürgergeld zum Kern der Sozialstaatsdebatte und will auf Härte setzen. Doch das ist der falsche Ansatz. © Christopher Neundorf/Imago

Es spreche „viel dafür, dass die Gesamtzahl dieser Leistungsminderungen zwischen April 2024 und Juni 2025 im niedrigen zweistelligen Bereich lag“, erklärten die IAB-Forscher. Wegen der hohen Hürden für den vollständigen Bürgergeld-Entzug überrasche nicht, „dass es verschiedene Hinweise gibt, die in diese Richtung deuten“.

Jobcenter drohten 455 Bürgergeld-Beziehenden innerhalb eines Jahres Totalsanktionen an

Damit wären weniger als 100 der rund vier Millionen Leistungsberechtigten, die als erwerbsfähig gelten, sanktioniert worden. Das IAB verwies jedoch darauf, dass die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) dabei „nicht qualitätsgesichert“ seien. Das sei „aufgrund der extrem geringen Fallzahlen“ auch nicht möglich.

Zudem hatten die Forschenden untersucht, wie häufig Beziehende über die Möglichkeit der Bürgergeld-Streichung belehrt worden seien. Im Zeitraum von April 2024 bis März 2025 habe es 455 Fälle gegeben. Auch diese Zahl ist im Verhältnis sehr gering. Das IAB begründet die geringe Zahl mit den hohen Hürden für diese spezielle Sanktion sowie für Bürgergeld-Kürzungen im Allgemeinen.

Zahlen aus IAB-Studie weit unter bisherigen Zahlen im Bürgergeld-Streit

Die Zahlen liegen auch weit unter dem, was in der Debatte um die sogenannten „Totalverweigerer“ bisher kursiert ist. Die BA hatte häufiger erklärt, keine Daten darüber zu haben, wie oft einzelne Beziehende der Grundsicherung wegen abgelehnten Arbeits- und Ausbildungsangeboten sanktioniert wurden. Ob jemand mehrfach Stellen abgelehnt hat, können sie nicht ermitteln, so die BA.

Die Statistik weist lediglich die Anzahl der Sanktionen aus, die Jobcenter insgesamt aus diesem Grund verhängen. Im ganzen Jahr 2024 waren das lediglich 23.352. Die laufende Jahressumme, also jeweils die letzten zwölf Monate vor der Erhebung, liegt derzeit bei 26.127 Sanktionen. Aufgrund fehlender Angaben wurde diese medial häufig genutzt, um die Zahl der angeblichen „Totalverweigerer“ einzugrenzen.

Harte Bürgergeld-Sanktionen führt nicht „zu hinreichend vielen zusätzlichen Arbeitsaufnahmen“

Die harten Bürgergeld-Sanktionen – und auch nur die Belehrung über die Möglichkeit – dürfte damit nicht „zu hinreichend vielen zusätzlichen Arbeitsaufnahmen führen“, um das im Gesetzentwurf vorgesehene Sparziel von 170 Millionen Euro pro Jahr zu erreichen, so das IAB.

Im Streit um die Bürgergeld-Sanktionen sprechen die IAB-Forscher dabei eine Empfehlung aus. Wenn die Regierung, wie bei der neuen Grundsicherung der Fall, „stärker auf das Fordern setzen möchte, sollte man daher eher an eine längere Dauer der Leistungsminderung denken als eine Leistungsminderung von mehr als 30 Prozent des maßgebenden Regelsatzes“. Sie würden also nicht an der Höhe der Sanktion, sondern an deren Dauer drehen. Bisher sind die Kürzungen um 30 Prozent für drei Monate möglich.

Fachleute kritisieren schon länger den einseitigen Fokus der Bürgergeld-Debatte auf „Totalverweigerer“. Um die Erwerbslosen in Arbeit zu bringen, müssten „alle Register“ gezogen werden, hatte etwa Enzo Weber, ebenfalls IAB-Forscher, bereits häufiger betont. Angesichts des „Mismatchs“ von Qualifikation der Bürgergeld-Beziehenden und Nachfrage am Arbeitsmarkt, brauche es neben mehr Verbindlichkeit auch Qualifizierung und Weiterbildung.