Rafael Seligmann oder Rafi, wie ihn seine Münchener Lehrer in den 1960er-Jahren nannten, ist Politikwissenschaftler und Autor und für seine zeitgeschichtlichen Analysen – national wie international – bekannt. Mit zehn Jahren wanderte er mit seinen Eltern aus Tel Aviv nach Deutschland aus, ein Zeuge der Nachkriegszeit, der alltäglichen Judenfeindlichkeit. Er studierte in München und Tel Aviv Politik und Sicherheitsstrategien, schrieb anschließend für viele deutsche Medien und kam den Mächtigen auch als Berater nahe. In seiner Biografie kristallisieren sich die groben wie die feinen Linien der deutschen und israelischen, der Nahost- und internationalen Geschichte. Sein neues, dokumentarisch-autobiografisches Buch „Keine Schonzeit für Juden“ stellte er jetzt als Gast des Buchladens am Obstmarkt und der Augsburger Allgemeinen vor.
Feindselige Sprüche wie „Saujud“ trafen Rafael Seligmann
Auf dem Podium im mehr als ausverkauften Saal der Stadtbücherei berichtet Rafael Seligmann mit jüdischem Blick über das schweigende Deutschland der 1960er-Jahre. Er formuliert scharf, findet auch Gelegenheit für Humor und Selbstironie. Ein „Tagträumer und Schulabbrecher“ sei er gewesen, der immer zurückwollte nach Israel, zum Militär. Doch seine Mutter erklärte ihn für verrückt. „Die arabischen Nazis bringen dich um“, sagte sie. Die deutschen Nazis hielt sie nicht für gefährlich, die wollten jetzt lieber Geld verdienen als Juden umbringen. Sie besorgte ihm eine Lehrstelle als Fernsehtechniker.
Feindselige Sprüche und „Saujud“ seien dort an der Tagesordnung gewesen. Als Israel im Juni 1967 in Voraussicht der Angriffe Jordaniens, Ägyptens und Syriens seinerseits mit einem Überraschungscoup die arabischen Staaten angriff, berichtete das Radio in der Werkstatt, die arabischen Armeen bombardierten Haifa. Günter, der Geselle, kommentiert: „Endlich werden die Juden ausgerottet.“ Rafael Seligmann brach die Lehre ab, bewarb sich bei der israelischen Armee. Doch er wurde – mutmaßlich durch Intervention der Mutter bei dem Münchener Arzt – für wehruntauglich befunden. Auf die Frage von Moderator Peter Müller, Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen, ob Seligmann ihr heute dafür dankbar sei, sagt der lachend: „Heute schon.“
Christian Ude spricht mit Rafael Seligmann auf der Bühne
Zusammen mit Christian Ude, dem langjährigen Münchener Oberbürgermeister, ließ er in der Stadtbücherei die Kohl-Ära, die Flüchtlingskrise und vor allem eben die Politik in und in Bezug auf Israel Revue passieren. Die beiden verbindet eine zeitgleiche, politisierte Jugend in München und ihre Aufmüpfigkeit gegen das bleierne Schweigen zum Holocaust. „Leider waren es auch früher schon eher nicht die Linken, die sich in großen Uni-Veranstaltungen vor Israel oder die Juden stellten, sondern konservative Professoren. Die Linken wollen ihren eigenen Antisemitismus bis heute nicht wahrhaben“, stellt Ude fest. Juden andererseits wollten nicht erkennen, dass Israels Politik heute in Teilen auf die Vernichtung eines anderen Volkes zusteuere. Darauf hinzuweisen müsse möglich sein, ohne als antisemitisch zu gelten.
Auch die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland kommentieren sie differenziert. Mit der Flüchtlingskrise 2015 habe der Antisemitismus eine weitere Facette bekommen, eine islamistische. „Nicht jeder, der damals aus dem Nahen Osten kam, war ein lupenreiner Demokrat“, so Ude. Eine ungemütliche Debatte sei das, aber sie müsse geführt werden. Dass bestimmte Bezirke in Berlin für Juden seit dem Terrorangriff der Hamas und den anschließenden antiisraelischen Ausschreitungen in Deutschland nicht mehr „sicher“ seien, ist für Seligmann unerträglich. Doch er schaut noch tiefer. „Die Hamas und ihre Unterstützer sind ehrlich. Wie die Nazis sagen sie deutlich, was sie wollen, nämlich die Juden vernichten. Schlimmer sind für mich die, die gleichgültig zuschauen. Diese mentale Verkommenheit, die macht mich fassungslos.“
„Keine Schonzeit für Juden“ heißt Seligmanns neues Buch
Antisemitismus auch an höchster Stelle: Bei hochrangigen Politikern habe er sie in seiner Zeit als Journalist zu spüren bekommen. Merkel habe ihn in einem Interview gefragt, wann denn die „jüdischen“ Fragen kämen, und Steinmeier in seiner Amtszeit als Außenminister habe ihm erklärt, er werde jetzt „seinen Außenminister“, also den israelischen, besuchen. „In Deutschland ist man als Jude immer draußen.“
Info: Rafael Seligmann, „Keine Schonzeit für Juden“, Herder Verlag, 2025, 18 Euro.
-
Stefanie Schoene
Icon Haken im Kreis gesetzt
Icon Plus im Kreis
-
Augsburg Stadt
Icon Haken im Kreis gesetzt
Icon Plus im Kreis
-
Rafael Seligmann
Icon Haken im Kreis gesetzt
Icon Plus im Kreis