In den letzten Wochen hat Maurice Le Petit einige tränenfeuchte Augen gesehen. Le Petit gehört die Rorschach-Bar in der Südvorstadt, eine der allerbesten Bars in Leipzig. Sie hat seit Ende August geschlossen, nach neun Jahren. Der Grund: zu wenig Einnahmen. »Bei uns waren Februar, März und April immer richtig krachende Monate. Dieses Jahr hatten wir nicht mal annähernd unsere Mindestumsätze«, sagt Le Petit. An der Ausgabenseite – etwa weniger Personal oder preiswertere Spirituosen – ließ sich nicht drehen: »Dann hätten wir unser Konzept verändert und uns selbst verraten. Wir haben immer bis ins kleinste Detail auf Qualität gesetzt und nie Kompromisse gemacht.« Nachdem Le Petit die Schließung bekannt gegeben hatte, brummte die Bar plötzlich wieder – alle wollten noch mal kommen und Abschied nehmen.
Le Petit hat eine veränderte Ausgehkultur beobachtet. Während früher ein, zwei Getränke und ein kleiner Plausch zum Feierabend verbreitet waren, kommen die Gäste inzwischen eher zu besonderen Anlässen. »Natürlich ist Gastro etwas Besonderes«, sagt er. »Aber man kann sie täglich nutzen.« Stefan Niklarz ist beim sächsischen Dehoga, dem Hotel- und Gaststättenverband, für Leipzig sowie die Landkreise Leipziger Land und Nordsachsen zuständig. Ihm zufolge verbuchten die gastronomischen Betriebe insgesamt seit Jahresbeginn Rückgänge bei den Umsätzen. Er spricht davon, dass die Gäste das Geld »bewusst ausgeben«. Diesen bewussteren Konsum verzeichnen manche Gastrobetriebe in Leipzig schon länger (s. kreuzer 1/2023).
Carl Pfeiffer besetzt keine Nische wie das Rorschach. Er betreibt die Röseling-Feinkostgeschäfte und vier Lokale: Kaiserbad, Luise, Volkshaus, Killiwilly. »Unsere Umsätze gehen nicht runter, in keinem Laden, und wir sind ganz weit weg davon, einen Laden zu schließen«, sagt Pfeiffer. 1997 öffnete er die Luise in der Gottschedstraße, »da hatte Leipzig 17 Prozent Arbeitslosigkeit. Jetzt gibt es viel weniger Arbeitslose, aber die Leute verdienen nicht besonders gut.« Tatsächlich: Laut Amt für Statistik hatten die Haushalte in Leipzig 2024 im Mittel monatlich 2.336 Euro zur Verfügung. Bundesweit waren es 3.074 Euro, so das Statistische Bundesamt. Diese Differenz macht den Unterschied, so Pfeiffer: »zwischen ›Es reicht hinten und vorne nicht‹ und ›Ich gönn mir mal was‹«.
Zudem habe die Branche die Gäste zu lange an zu niedrige Preise gewöhnt: »Die Leute haben gedacht, dass ein Kalbschnitzel 13 Euro kostet. Dass das zu billig war, hätte man ihnen früher sagen müssen.« Entsprechend seien die Gäste nun von den realistischeren Preisen überrascht. Zudem hat sich für die Branche in den letzten Jahren alles verteuert: von Kochen, Kühlen, Heizen und Licht über Lohnnebenkosten, Transport, Glas und Kohlendioxid bis hin zu Lachs, Butter, Eiern und Kaffee. Diese erhöhten Ausgaben müssen natürlich an die Gäste weitergegeben werden – jedenfalls teilweise.
Und die Gewohnheiten haben sich verändert, zum Beispiel wird weniger Alkohol getrunken. Die Stimmung, die der Konsumklimaindex jeden Monat abbildet, zeigte im Juli 2025, dass die Leute weiterhin eher sparen und weniger konsumieren. Die Gründe laut Bericht: Man hält das Geld zusammen, um Rücklagen zu bilden sowie angesichts gestiegener Preise und aufgrund von Unsicherheit. Immerhin rissen gefühlt seit Corona die schlechten Nachrichten nicht ab, die indirekt auch den persönlichen Geldbeutel betreffen könnten: Ukrainekrieg, Inflation, Wirtschaftsflaute zum Beispiel.
Manche mögen diese Umstände als Ausnahmezustand begreifen. Im Kuultivo in Schleußig kennen sie es nicht anders. Anfang 2020 öffnete das Restaurant, seither war ständig irgendwie Krise. Das außergewöhnliche Fine-Dining-Konzept ist ebenfalls eine Nische für eine eher kleine Klientel. Betreiber Michael Bauß berichtet von Veränderungen bei den Reservierungen: »Wer einen Tisch buchen möchte, muss keine Wartezeit mehr von mehreren Wochen einplanen.« Das passe auch viel besser zum Charakter des Restaurants. »Wir können uns nicht beklagen«, fasst Bauß zusammen. »Aber es fühlt sich schwieriger und weniger selbstverständlich an, die nötigen Umsätze zu erreichen.« Möglicherweise ist dies die Normalisierung nach dem Hype seit dem ersten Michelinstern im Frühjahr 2023. Mit Blick auf die ganze Branche und ihre Gäste sagt Bauß: »Wer einen Laden mag, muss dafür sorgen, dass es ihn weiterhin gibt.« Und dort also bewusst Geld ausgeben.