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Seite 1Kann Europa sich das leisten?
Seite 2Europa ersetzt die USA
Es ist ein bemerkenswerter Tonwechsel, den Bundesfinanzminister Lars Klingbeil vor dem Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen in Kopenhagen vollzogen hat. Seit mehr als drei Jahren konnten weder die Ampelkoalition noch Schwarz-Rot sich dazu durchringen, Russlands eingefrorene Vermögenswerte in der EU im größeren Stil zugunsten der Ukraine anzuzapfen. Noch im August sprach sich Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) dagegen aus. Zu groß seien die juristischen Risiken. Vor dem EU-Treffen sagte Vizekanzler Klingbeil (SPD) nun, dass alles doch noch einmal genau geprüft werden müsse: „Deutschland wird eine Rolle einnehmen, bei der wir Dinge möglich machen wollen und nicht, bei der wir Dinge blockieren“.
Für die Ukraine ist dieser Satz zumindest ein Grund für vorsichtigen Optimismus in einer finanziell misslichen Lage. Über ebendiese werden sich Europas Finanzminister bei ihrem Treffen am Samstag in Kopenhagen intensiv beraten müssen. Seit die USA sich unter Donald Trump aus der Ukrainefinanzierung weitgehend zurückgezogen haben, muss Europa die Hauptlast tragen. Und diese fällt jetzt offenbar deutlich schwerer aus als bisher angenommen.
Dies deutete vor wenigen Tagen ein Bericht des Internationalen Währungsfonds (IMF) an. Nach der Prüfung des ukrainischen Finanzbedarfs im September kamen die Experten zu dem Schluss, dass in den kommenden beiden Jahren zusätzlich bis zu 20 Milliarden US-Dollar an Unterstützung benötigt werden, das sind rund 17 Milliarden Euro. Einige Tage später legte das ukrainische Finanzministerium dann einen Haushaltsplan für 2026 vor, der den Befund bestätigt. Das kriegsbedingte Defizit bezifferte das Ministerium damit auf rund 57 Milliarden Dollar, rund 10 Milliarden mehr als 2025. Davon wiederum müssten mindestens 50 Milliarden Dollar durch Zuschüsse von Verbündeten gedeckt werden.
Reparationsdarlehen im Gespräch
Woher das Geld kommen soll, ist bisher nicht abschließend geklärt. Nach Angaben des ukrainischen Finanzministers Serhij Martschenko fehlten Zusagen für mindestens 18 Milliarden US-Dollar, oder umgerechnet mehr als 15 Milliarden Euro. Er hoffe dabei auf die Kreativität seiner europäischen Kollegen. „Sie können einen realen Mechanismus schaffen, der uns die Nutzung der eingefrorenen russischen Vermögen ohne ihre tatsächliche Konfiskation erlaubt“, sagte Martschenko auf einer Sicherheitskonferenz in Kyjiw vor wenigen Tagen.
Insgesamt haben westliche Staaten russische Zentralbankreserven in Höhe von rund 300 Milliarden Euro eingefroren. Fast 200 davon liegen auf Konten beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear. Dabei handelt es sich um Bargeldguthaben und verzinste Anleihen. Bislang bekommt die Ukraine nur die Zinseinkünfte aus diesen Mitteln über das sogenannte ERA-Programm der G7-Staaten überwiesen. Insgesamt soll das Land dadurch in Tranchen bis Ende 2027 rund 45 Milliarden US-Dollar erhalten.
© Lea Dohle
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Für die Ukraine ist das allerdings viel zu langsam. Deswegen hat die EU-Kommission in diesen Tagen eine neue Idee vorgelegt. Die besteht darin, das russische Geld als Sicherheit für einen Kredit an die Ukraine zu nutzen, ein sogenanntes Reparationsdarlehen. Die Ukraine müsste diesen Kredit nur dann zurückzahlen, wenn sie wiederum nach einem Friedensschluss Reparationen, also Geld aus Russland, bekäme.
In gewisser Weise würden die hypothetischen russischen Reparationszahlungen per Kredit vorgezogen, ohne dass die russischen Vermögenswerte formal konfisziert würden. Mit diesem Kniff würden die Einwände jener EU-Staaten, die sich gegen eine formale Beschlagnahmung aussprechen, adressiert. Völkerrechtlich gedeckt ist der ukrainische Anspruch auf Reparationen zweifellos. Und Russland könnte das Geld in ferner Zukunft als eine Anzahlung auf eben diese Reparationen anrechnen lassen. Zahlt Russland nicht, bleiben die Mittel der Moskauer Zentralbank auf europäischen Konten.